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Mehr InfosStudienarbeit, 2006, 42 Seiten
Studienarbeit
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Karlsruhe, früher: Berufsakademie Karlsruhe
1,7
Das Beschwerdemanagement gewinnt seit den 90er Jahren zunehmend an Interesse.[1] Aufgrund stagnierender und umkämpfter Märkte, sprunghaften Kundenverhaltens sowie zunehmender Internationalisierung wird der Stellenwert der Kundenbindung für den Unternehmenserfolg immer wichtiger.[2]. Hinsichtlich der zunehmenden Substituierbarkeit von Produkten ist es für die Unternehmen nicht mehr ausreichend gute Produkte zu verkaufen, sondern der Service ist für die Kunden immer mehr von Bedeutung.[3]
Die Bedeutung des Beschwerdemanagements ist in der Literatur und Praxis unterschiedlich stark ausgeprägt. In der Literatur gilt das Beschwerdemanagement schon seit einigen Jahren als wichtiges Marketing Instrument von Kundenbindungsstrategien. In der Praxis hingegen wird das Beschwerdemanagements oft unterschätzt. Viele Unternehmen begreifen die Beschwerde als lästige Störung ihres Betriebsalltags und unterschätzen die Chance die Kundenerwartungen und Kundenwünsche preiswert zu erfahren.[4]
Ziel dieser Arbeit ist es, die Bedeutung des Beschwerdemanagements für das Unternehmen als Mittel der Kundenbindung auszuarbeiten und die Aufgaben des Beschwerdemanagements darzustellen, die für eine effektive Nutzung zur Kundenbindung nötig sind.
Zu Beginn der Arbeit werden zunächst zentrale Begriffe des Beschwerdemanagements erläutert. In Kapitel 3 werden Gründe aufgeführt, welche für eine zunehmende Bedeutung bez. Kundenzufriedenheit und Kundenbindung führe. Darauf folgend wird die Entstehung der Kunden(un)zufriedenheit und ihre Auswirkung für das Unternehmen erörtert. Es folgt eine Beschreibung der Entstehung von Beschwerde(un)zufriedenheit und die Auswirkungen der Beschwerdezufriedenheit auf die Kundenbindung. Im nächsten Kapitel wird die Beschwerde aus Sicht der Kunden und deren Bedeutung für das Unternehmen behandelt. Eine Darstellung der Zusammenhänge zwischen Beschwerdemanagement, Customer Relationship Management und Customer Care folgt, sowie die Bedeutung des Beschwerdemanagements für das Qualitätsmanagement. Anschließend werden Arten, Ziele, Aufgaben sowie Rahmenfaktoren des Beschwerdemanagements aufgezeigt. Kapitel 5 beschreibt die Hauptaufgaben des Beschwerdemanagements näher. Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte ab und verdeutlicht dadurch noch einmal die Relevanz der Thematik.
In der Literatur existieren unterschiedliche Definitionen des Beschwerdebegriffs.[5] Die Beschwerde ist eine Äußerung von Unzufriedenheit gegenüber einem Unternehmen oder einer Drittinstitution, wenn der Konsument die wahrgenommenen Probleme mit dem Produkt oder der Dienstleistung als subjektiv schwerwiegend empfindet.[6] Darüber hinaus kann die Beschwerde auch durch gesellschaftspolitisches Verhalten des Unternehmens hervorgerufen werden.[7] Der Kunde möchte mit der Beschwerde auf das zu kritisierende Verhalten eines Anbieters aufmerksam machen, das zugrunde liegende Problem klären und/oder eine Wiedergutmachung der erlittenen Beeinträchtigung erreichen.[8]
Oft wird in der Praxis der Begriff der Beschwerde synonym für die Reklamation verwendet. Die Reklamation stellt allerdings einen Sonderfall der Beschwerde dar.[9] Reklamationen beziehen sich immer -implizit oder explizit- auf kaufrechtliche Ansprüche und stellen somit nur einen Teil der Beschwerde dar.[10] Unter Reklamationen versteht man Beanstandungen von Produkten oder Dienstleistungen des Kunden, die mit einer Forderung an das Unternehmen verbunden sind und die der Kunde auf dem Rechtsweg durchsetzen kann.[11] Bei der Beschwerde hingegen kann der Kunde nur darauf hoffen, dass das Unternehmen positiv reagiert.
Beschwerdemanagement oder auch Beschwerdepolitik umfasst die Planung, Durchführung und Kontrolle aller Maßnahmen, die ein Unternehmen im Zusammenhang mit Beschwerden ergreift. Beim Beschwerdemanagement handelt es sich somit um einen aktiven Prozess des Unternehmens zur zielgerichteten Gestaltung der Kundenbeziehung und Erhöhung der
Kundenzufriedenheit sowie Kundenbindung.[12] Durch das Beschwerdemanagement sollen die Geschäftsbeziehungen, die aufgrund von Kundenunzufriedenheit brüchig geworden sind, durch Wiedergutmachung und Problemlösung stabilisiert werden.[13]
Die organisatorische Implementierung des Beschwerdemanagements, bspw. in Form einer Beschwerdeabteilung, wird als Beschwerdemanagement-System verstanden.[14]
In der Literatur und im allgemeinen Sprachgebrauch wird auch der Begriff Kundenbindung unterschiedlich verwendet. Oft ist die Verwendung der Begriffe Relationship Marketing, Retention Marketing, Geschäftsbeziehungsmarketing, Beziehungsmanagement, Markentreue, Produkttreue oder auch Kundenzufriedenheit gleichbedeutend dem Begriff der Kundenbindung.[15] Einigkeit besteht nur darüber, dass Kundenbindung ein komplexer, mehrdimensionaler Prozess ist, bei dem zur Stabilisierung der Geschäftsbeziehung mehrere Phasen zu durchlaufen sind.[16]
Eine umfassende Definition in Bezug auf den Anbieter liefert Diller, der die Kundenbindung wie folgt definiert: „Kundenbindung umfasst sämtliche Maßnahmen eines Unternehmens, die darauf abzielen, sowohl die Verhaltensabsichten als auch das tatsächliche Verhalten eines Kunden gegenüber einem Anbieter oder dessen Leistung positiv zu gestalten, um die Beziehung zu diesem Kunden für die Zukunft zu stabilisieren bzw. auszuweiten.“[17]
Grundsätzlich ist eine nachfrager- und anbieterbezogene Sicht der Kundenbindung zu unterscheiden. Somit sollte man den Begriff der Kundenbindung von der Kundenloyalität abgrenzen. Die Kundenloyalität wird durch die nachfragerbezogene Perspektive beschrieben, d. h. dass der Kunde eine geringere Wechselbereitschaft aufzeigt. Die anbieterseitigen Aktivitäten beziehen sich auf das Management der Kundenbindung.[18]
Kundenzufriedenheit und Kundenbindung gewinnt als Unternehmensziel immer stärker an Bedeutung. Während sich die Marketingaktivitäten in der Vergangenheit traditionell auf die Neukundengewinnung konzentrierten, erweist sich die Kundenaquise in den letzten Jahren als immer schwieriger.[19] Die Gründe dafür sind steigende Marktsättigung, verschärfter Wettbewerb, steigende Ansprüche der Kunden und die zunehmende Internationalisierung.[20] Erfahrungswerte aus der Praxis zeigen, dass die Kosten 5- bis 6-mal höher sind einen neuen Kunden zu gewinnen, als die für die Kundenbindung.[21] Durch Reduzierung der Kundenabwanderungsrate können Unternehmen ihren Jahresgewinn um bis zu 85% steigern.[22] Die Gründe für den Mehrerlös liegen in Wiederholungskäufen, vermehrtem Kauf von weiteren Produkten und Dienstleistungen (cross-buying), geringerer Preissensibilität bei Stammkunden gegenüber Neukunden, sowie der Weiterempfehlung der Produkte.[23] Somit stellt die Kundenbindung ein Mittel zur Erreichung ökonomischer Ziele dar.[24]
Die Zufriedenheit des Kunden ist die Voraussetzung für Kundenbindung und dauerhafte Geschäftsbeziehungen.[25] Aus diesem Grund folgt in der weiteren Ausführung eine nähere Untersuchung der Entstehung von Kundenzufriedenheit und deren Auswirkungen.
Die Entstehung der Kundenzufriedenheit bzw. Kundenunzufriedenheit lassen sich anhand unterschiedlicher Modelle erklären.[26] Weitgehend durchgesetzt hat sich das sog. Confirmation/Disconfirmation-Paradigma (C/D-Paradigma). Dieses Modell basiert auf dem Vergleich der tatsächlichen Erfahrungen bei der Produktnutzung (Ist-Leistung) mit einem bestimmten Vergleichsstandard des Kunden (Soll-Leistung). Stimmen die Erwartungen (Confirmation) mit der wahrgenommenen Produktleistung überein oder werden die Erwartungen des Kunden sogar übertroffen (positive Disconfirmation), resultiert daraus Zufriedenheit beim Kunden. Ist die Soll-Leistung im Vergleich zur Ist-Leistung zu gering, (negative Disconfirmation) führt dies zu Unzufriedenheit.[27]
Abbildung 1 veranschaulicht dieses Prinzip.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Das Confirmation-Disconfirmation-Paradigma (in Anlehnung an Homburg/Becker/Hentschel 2005: 97)
Der Vergleichsstandard der Kunden ist sehr unterschiedlich ausgeprägt, da die Erwartungen der Kunden sehr umfangreich und komplex sind. Z. B. können die Erwartungen von den persönlichen Bedürfnissen, dem Ausmaß der bisherigen Erfahrungen, den Werbeversprechungen oder durch Mund-zu-Mund-Kommunikation beeinflusst werden. Dadurch wird auf die Höhe bzw. den Ausprägungsgrad von Erwartungen eingewirkt. Es kann nicht geklärt werden mit welchen Erwartungen der Kunde die Leistungen eines Unternehmens vergleicht, da gleiche Leistung hinsichtlich der Erfüllung von Erwartungen unterschiedlich beurteilt wird.[28] Die unterschiedlichen Handlungsalternativen von Kunden in Bezug auf Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit zeigt Abbildung 2.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Mögliche Reaktionen einzelner Kunden auf Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit (in Anlehnung an Bruhn/Homburg 2005: 98)
Der Effekt eines zufriedenen Kunden ist die Kundenloyalität.[29] Diese umfasst das Wiederkaufverhalten, das Cross-Buying und die positive Mundpropaganda.[30] Wiederholungskäufe sind sehr wichtig für das Unternehmen, weil sie fast 70% des Umsatzes ausmachen.[31] Ein weiterer Vorteil der Kundenzufriedenheit ist die quasi kostenlose Werbung für das Unternehmen, die durch die positive Mund-zu-Mund-Propaganda der begeisterten Kunden entsteht. Die Wahrscheinlichkeit, dass zufriedene Kunden das Unternehmen weiterempfehlen liegt bei 100%. Im Durchschnitt werden durch 100 zufriedenen Kunden 30 neue Kunden gewonnen.[32] Unklar ist hier allerdings, wie die Daten konkret erhoben und ausgewertet worden sind, um dieses dargestellte Ergebnis zu belegen
Liegt Kundenunzufriedenheit vor, wird der Kunde die Inaktivität, Widerspruch, negative Mundpropaganda oder die Abwanderung wählen. Diese Handlungsmöglichkeiten schließen sich nicht aus, sondern können auch zusammen auftreten.
Für das Unternehmen können die nicht artikulierten Beschwerden kurzfristig ohne Folgen sein, doch die Unzufriedenheit kann langfristig verhaltenswirksam werden. Bei erneutem Auftreten eines Problems kann die Erinnerung an die Unzufriedenheit zu einer schärferen Beurteilung und zu höherem Handlungspotential führen.[33]
Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass unzufriedene Kunden viel häufiger negative Mund-zu-Mund-Propaganda wählen, weil negative Ereignisse einen höheren Sensationscharakter haben. Positive Erlebnisse mit einem Unternehmen werden durchschnittlich nur an drei Personen weitererzählt, wohingegen Kunden mit Enttäuschungen ihre Erlebnisse mit elf Person kommunizieren. Berücksichtigt man, dass diese Personen die Erlebnisse wiederum Dritten übermitteln, dann ergibt sich daraus ein erheblicher Multiplikatoreffekt.[34]
Die meisten unzufriedenen Kunden wählen allerdings die stille Abwanderung. Für das Unternehmen ist dies besonders gefährlich, da diese Kunden verstärkt negative Mund Propaganda führen.[35]
Was in Kapitel 3.2 für die Entstehung der Kundenzufriedenheit dargestellt wurde, gilt analog für die Beschwerdezufriedenheit. Wenn ein Kunde sich für die Beschwerde entscheidet, hat er wiederum bestimmte Erwartungen in Bezug auf die Antwort und die angestrebte Lösung des Unternehmens. Übertrifft das Unternehmen die Erwartungen des Kunden, tritt Beschwerdezufriedenheit ein, werden sie nicht erfüllt, kommt es zu Beschwerdeunzufriedenheit. Erfüllt die Beschwerdeantwort die Erwartungen des Kunden ist Indifferenz zu erwarten.
Der sich beschwerende Kunde legt zur Beurteilung der Beschwerdeantwort zwei Erwartungsstandards fest, die gewünschte und die akzeptable Beschwerdeantwort. Die gewünschte Beschwerdeantwort ist die Vorstellung des Kunden, wie das Unternehmen auf Kritik antworten und welche Lösungen es anbieten sollte.[36] Die akzeptable Beschwerdeantwort legt das Minimalniveau fest, das gerade noch vom Kunden toleriert wird. Zwischen den beiden Erwartungsstandards liegt die Beschwerdetoleranz.[37]
Folgende Abbildung verdeutlicht dieses Konzept.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Das Konzept der Beschwerdetoleranz (in Anlehnung an Stauss/Seidel 2002: 70)
Die Erwartung hinsichtlich gewünschter und akzeptabler Beschwerdeantwort ist nicht bei jedem sich beschwerenden Kunden und jeder Beschwerdesituation gleich. Die Höhe der Erwartungen und die Breite der Toleranzzone wird von folgenden Faktoren beeinflusst: das Rollenverständnis des Kunden, die Problemrelevanz, die wahrgenommene Schuld des Anbieters, explizites und implizites Reaktionsversprechen, Beschwerdeerfahrungen, Mundkommunikation und vermutete Beschwerdeantwort.[38]
Die Beschwerdezufriedenheit wird durch acht Merkmale determiniert:[39]
- Zugänglichkeit
- Freundlichkeit/Höflichkeit
- Einfühlungsvermögen/Verständnis
- Bemühtheit/Hilfsbereitschaft
- Aktivität/Initiative
- Verlässlichkeit
- Reaktionsschnelligkeit
- Angemessenheit/Fairness
Beschwerdeunzufriedenheit führt zu einer negativen Einstellung zum Unternehmen, zu erhöhter Unzufriedenheit, negativer Mund-zu-Mund Kommunikation und Abwanderung[40]. Ist der Kunde dagegen mit der Beschwerdeantwort zufrieden, bewirkt dies eine Wiedergewinnung der Zufriedenheit mit Produkt und Unternehmen bzw. eine Verbesserung der Einstellung.[41] Dies führt wiederum dazu, dass sich der Kunde gegenüber Dritten positiv über das Unternehmen und Produkt äußert und zum Wiederkauf bereit ist.[42] Beschwerdeführer, die mit der Beschwerdeantwort zufrieden sind, kommunizieren dies durchschnittlich an fünf weitere Personen.[43] Dadurch wirbt der Beschwerdeführer neue Kunden, steigert die Bekanntheit der Servicequaliät und relativiert schlechte Erlebnisse anderer Konsumenten.[44]
Empirische Untersuchungen zeigen, „dass Konsumenten, die sich beschwert haben und durch das Unternehmen zufrieden gestellt wurden, eine doppelt so große Markentreue (70%) zeigen, wie jene Konsumenten, die sich überhaupt nicht beschweren“.[45] Daraus kann man folgenden Schluss ziehen: „Herausragendes Beschwerdemanagement ist eine nicht zu unterschätzende Chance zur Steigerung der Kundenzufriedenheit. Gelingt es dem Unternehmen, die Beschwerdeführer durch die Antwort zu überzeugen, so kann deren Kundenzufriedenheit sogar über dem Wert beschwerdefreier Kunden liegen. Beschwerdemanagement ist demzufolge auch ein ausgezeichnetes Instrument zur Kundenbindung.“[46] (vgl. Abbildung 4)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Beschwerdemanagement als Schlüssel zur Kundenbindung (in Anlehnung an Homburg/
Schäfer 2003: 284)
Eine hohe Kundenzufriedenheit in der Folge von Beschwerdezufriedenheit ist die notwendige Voraussetzung aber noch keine Garantie für Kundenbindung. Obwohl Kunden gute Erfahrungen mit dem Produkt machen, suchen sie bei der zukünftigen Kaufentscheidung bewusst nach Abwechslung. Zu diesem sog. Variety Seeking neigen häufig Kunden von Konsumgütern, da sie vom Konsumenten als relativ gleichartig wahrgenommen werden.[47]
In Kapitel 3.2 wurde beschrieben, dass die Beschwerde nur eine mögliche Reaktionsform für den unzufriedenen Kunden darstellt. Unzufriedenheit führt nicht immer zu einer Beschwerde, da sich der Kunde oft die Frage stellt, ob sich die Artikulation einer Beschwerde bei einem Unternehmen überhaupt lohnt. Der Konsument sieht die Auseinandersetzung mit dem Unternehmen oft als zeitaufwendig, belastend und/oder vergeblich.[48] Des Weiteren sind die Beschwerdewege und Ansprechpartner oft nicht bekannt, die Produktmängel treten erst nach Ablauf der Garantie auf, notwendiges Selbstbewusstsein fehlt, man will Konflikte aus dem Weg gehen oder es werden negative Konsequenzen durch Abhängigkeit (z. B. gegenüber Behörden) erwartet.[49] Erfahrungswerte zeigen, dass sich im Durchschnitt nur 4% der unzufriedenen Kunden beschweren.[50] Der Anteil dieser Unvoiced Complainers ist demzufolge relativ hoch. Je nach Branche betragen diese unausgesprochenen Beschwerden das Fünf bis Fünfzehnfache der tatsächlich artikulierten Beschwerden.[51] Die eingehenden Beschwerden stellen zwangsläufig nur die Spitze des Eisbergs der Unzufriedenheit dar.[52]
Die Bedeutung von Beschwerden wird in der Unternehmenspraxis trotz der stärkeren Kundenorientierung derzeit noch immer unterschätzt. Viele Unternehmen unterschätzen bislang den Informationswert der Beschwerden und die Chance, den Kunden von der Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu überzeugen und ihn zurück zu gewinnen. Ein großer Teil der Anbieter sieht die Beschwerde aber lediglich als eine Störung des Betriebsklimas.[53] Dabei gibt der sich beschwerende Kunde dem Unternehmen eine zweite Chance ihn doch noch zufrieden zu stellen.[54] Dadurch, dass er sich an das Unternehmen wendet hat er das Vertrauen noch nicht völlig verloren. Bei einem fehlenden Beschwerdemanagement besteht die Gefahr, dass der Kunde zur Konkurrenz abwandert.[55] Deshalb sollte es Ziel des Unternehmens sein den Anteil der Beschwerden unzufriedener Kunden zu maximieren.[56]
Beschwerden geben ein Feedback über die Qualitätswahrnehmung und den Qualitätsanspruch des Konsumenten. Sie liefern dadurch originäre Marktinformationen, die zur Verbesserung der Produkt- und/oder Serviceleistungen beitragen können. Obendrein stellen die Beschwerdeinformationen im Hinblick auf Marktchancen und Vermeidung von Marktrisiken ein Frühwarnsignal dar.[57]
Customer Relationship Management (CRM) hat in den letzen Jahren in Wissenschaft und Praxis an Bedeutung gewonnen.[58] Im Sinne des Kundenbindungsmanagement versteht man unter CRM „die Gesamtheit der unternehmerischen Maßnahmen für die systematische Anbahnung und die Entwicklung, gegebenenfalls auch für die Beendigung und Wiederanknüpfung von Kundenbeziehungen. Die Maßnahmen richten sich an potenzielle, aktuelle und verlorene Kunden und sind dementsprechend den Managementkonzepten des Interessenten-, Kundenbindungs-, Beziehungsauflösungs-, und Rückgewinnungsmanagements zuzuordnen.“[59]
Ein Teil des Kundenbindungsmanagements ist das Beschwerdemanagement mit der Zielgruppe der aktuellen Kunden, die sich wegen ihrer Unzufriedenheit an das Unternehmen gewandt haben.
Zum Aufgabengebiet des Customer Care gehören nicht nur Beschwerden, sondern alle kundeninitiierten Äußerungen, wie z. B. Lob oder Anfragen an das Unternehmen.[60]
Abbildung 5 verdeutlicht diesen Zusammenhang.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: CRM - Customer Care Management – Beschwerdemanagement (in Anlehnung an
Stauss/Seidel 2002: 39)
Beschwerden geben Informationen über die wahrgenommenen Qualitätsprobleme bei der Nutzung von Produkten und der Inanspruchnahme von Dienstleistungen. Sie enthalten sehr konkrete Problemschilderungen und Lösungsvorschläge. Daher liefern die Beschwerden meistens wertvollere Hinweise für Verbesserungsmöglichkeiten als die Ergebnisse von Zufriedenheitsbefragungen. Deshalb müssen die Beschwerden erfasst und ausgewertet werden[61]. Die aktive Beschwerdebehandlung stellt nicht nur die zentrale Grundlage für die Erhöhung der Kundenzufriedenheit und –bindung dar, sondern sie dient ebenfalls der Qualitätssicherung und Produktverbesserung und hilft Unternehmensprozesse zu optimieren.[62]
Demzufolge ist es ersichtlich, dass das Beschwerdemanagement ein wesentlicher Ausgangspunkt für das Qualitätsmanagement ist.[63] Die EN ISO 9000:2000 berücksichtigt die Kundenperspektive. In Abschnitt 0.2 der Norm heißt es, sie diene der „Entwicklung, Verwirklichung und Verbesserung der Wirksamkeit eines Qualitätsmanagementsystems, um die Kundenzufriedenheit durch die Erfüllung von Kundenanforderungen zu erhöhen“.[64]
Beschwerdemanagement umfasst das reaktive und aktive Beschwerdemanagement.
Vom reaktiven Beschwerdemanagement spricht man, wenn das Unternehmen erst dann reagiert, wenn die Beschwerde eintritt.[65] Beschwert sich der Kunde aus eigener Initiative bei dem Unternehmen und findet dabei keinen geeigneten Ansprechpartner oder stößt sogar auf Unverständnis, kann man die Schwächen dieses Ansatzes deutlich erkennen. In vielen Fällen reagiert das Unternehmen primär mit dem Ziel die aufgetretenen Kosten zu minimieren an statt Fehler vorzubeugen bzw. reagiert erst, wenn Fehler aufgetreten sind, um dann den Kunden bestmöglich entgegenzukommen. Beim reaktiven Beschwerdemanagement werden die Fehler, die Beschwerden auslösen von den Mitarbeitern gelöst, die dem Kunden als Ansprechpartner genannt werden. Dadurch kann weder die Fehlerverursachung noch die Fehlerbeseitigung analysiert werden. Ohne diese Daten ist es für das Management schwierig die notwendigen Schritte zur Fehlerminimierung einzuleiten.[66]
Ergreift das Unternehmen schon im Vorfeld Maßnahmen, um die Zahl der Beschwerden auf Dauer möglichst gering zu halten, spricht man vom aktiven Beschwerdemanagement.[67] Dies ist ein wichtiger Aufgabenbereich des Nachkaufmarketings. Im Kern beschäftigt sich das aktive Beschwerdemanagement mit der Stabilisierung gefährdeter Kundenbeziehungen.[68]
Das Hauptziel des Beschwerdemanagements ist die Erhöhung des Gewinnes und der Wettbewerbsfähigkeit durch die Generierung der Kundenzufriedenheit, der Minimierung negativer Auswirkungen von Kundenunzufriedenheit auf das Unternehmen und der Nutzung erhaltener Informationen in Beschwerden auf betriebliche Schwächen und Marktchancen.[69]
Aus diesem Globalziel lassen sich weitere Unterziele ableiten. Dabei kann man ökonomische bzw. monetäre Ziele und kommunikative/psychographische Ziele unterscheiden. Letztere können wiederum in markt- und unternehmensbezogene differenziert werden.
Ökonomische bzw. monetäre Ziele verkörpern allgemeine Marketingziele, während kommunikative bzw. psychographische Ziele speziell aus der Situation des Beschwerdemanagements abgeleitet sind. Die marktbezogenen kommunikativen Ziele sollen die soziale Distanz verringern, um eine Reduzierung der sog. unvoiced complaints, d. h. der nicht artikulierten Unzufriedenheiten, und der Kundenabwanderung zu herbeizuführen. Durch unternehmensbezogene kommunikative Ziele sollen betriebliche Schwächen und Marktchancen identifiziert werden. Die dadurch gewonnenen Informationen sollen zur Leistungsverbesserung genutzt werden.
Abbildung 6 stellt eine Übersicht der möglichen Ziele dar.[70]
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Abbildung 6: Ziele des Beschwerdemanagements (in Anlehnung an Schöber 1997: 28)
Grundvoraussetzung für die Erreichung der Beschwerdemanagementziele ist die Erfüllung einiger wesentlicher Aufgaben. Es müssen leicht zugängliche Beschwerdekanäle eingerichtet und sichergestellt werden, dass der Beschwerdeführer geradewegs einen verantwortlichen Ansprechpartner erreicht.[71] Die Beschwerdekanäle müssen so gestaltet sein, dass es der Kunde als einfach und unproblematisch empfindet seine Beschwerden zu äußern.[72] Die Kundenunzufriedenheit wird durch lange Wartezeiten aufgrund von überlasteten Beschwerdekanälen weiter verstärkt.[73] Empirische Untersuchungen zeigen, dass bei einer ausreichenden Reaktionsweise in einem vertretbaren Zeitraum, in der Regel nicht länger als fünf Tage, aus einem Beschwerdeführer ein überzeugter Stammkunde werden kann.[74] Um die tatsächlichen Beschwerdegründe und Ursachen herauszufinden, muss der Ansprechpartner über Ausbildung und Erfahrung verfügen.[75] Außerdem ist Sorge zu tragen, dass die eingehende Beschwerde sachgerecht angenommen, bearbeitet und angemessen darauf reagiert wird. Die enthaltenen Informationen der Beschwerde sind auszuwerten und an Entscheidungsträger weiterzugeben. Ebenfalls erforderlich ist eine kontinuierliche Überprüfung von Effizienz und Effektivität des Beschwerdemanagements. Demzufolge enthält das Beschwerdemanagement folgende wesentlichen Aufgabenbereiche: Beschwerdestimulierung, Beschwerdeannahme, Beschwerdebearbeitung, Beschwerdereaktion, Beschwerdeauswertung, Beschwerdereporting Beschwerdemanagement-Controlling und Beschwerdeinformationsnutzung.[76]
Es genügt nicht nur die Teilaufgaben des Beschwerdemanagementprozesses zu planen, durchzuführen und auf Effektivität und Effizienz zu überprüfen, sondern es müssen auch innerbetriebliche Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, damit die Aufgaben bestmöglich erfüllt werden können. Dazu gehören vor allem das sorgfältig aufeinander abgestimmte Management personalpolitischer, organisatorischer und informationstechnologischer Aspekte sowie die planvolle innerbetriebliche Implementierung.
Der personalpolitische Aspekt ist dabei von zentraler Bedeutung, denn damit Beschwerdezufriedenheit eintritt, müssen die Mitarbeiterqualifikationen definiert werden. Dann gilt es dafür Sorge zu tragen, dass die Mitarbeiterqualifikationen im Unternehmen bereitgestellt und gefördert werden.
In organisatorischer Hinsicht stellt sich die Frage, ob ein zentrales, dezentrales oder duales Beschwerdemanagement eingeführt werden soll, wobei diese Entscheidung von vielen Faktoren (z. B. Kundenanzahl, Art des Vertriebs oder Produkts) abhängig ist.
Bei erheblichem Beschwerdeaufkommen ist ein effizientes Beschwerdemanagement oft nur durch die Verwendung von Softwareprogrammen möglich.
Auf die Implementierung ist besonders zu achten, denn zu einem erfolgreichen Beschwerdemanagement gehört eine schnelle, effiziente und konfliktarme Einführung.[77]
Im folgenden Kapitel werden die Aufgabenbereiche des Beschwerdemanagements näher beschrieben.
[...]
[1] vgl. Dehr/Biermann 1998: 57
[2] vgl. Schneider 2000: 9
[3] vgl. Scharnbacher/Kiefer 2003: 1
[4] vgl. Christianus 2002: 71; Haeske 2001: 11
[5] vgl. Bruhn 2003: 157
[6] vgl. Haeske 2001: 11
[7] vgl. Stauss/Seidel 2002: 48
[8] vgl. Binder-Kissel 2003: 14
[9] vgl. Haeske 2001: 11
[10] vgl. Binder-Kissel 2003: 14
[11] vgl. Neuland 2001: 9
[12] vgl. Bruhn 2003: 158
[13] vgl. Stauss 2006: 317
[14] vgl. Schöber 1997: 21
[15] vgl. Bruhn 2003: 104
[16] vgl. Jeker 2002: 19
[17] Diller 1996 zitiert nach Bruhn 2003: 104
[18] vgl. Bruhn/Homburg 2005: 8
[19] vgl. Diller 1996: 81; Mierzwa 2002: 20
[20] vgl. Scharnbacher/Kiefer 2003: 1; Jeker 2002: 1
[21] vgl. Pflaum 1999: 129
[22] vgl. Kotler 2006: 83; siehe Anhang 1
[23] vgl. Matzler/Stahl/Hinterhuber 2006: 5
[24] vgl. Diller /Haas/Ivens 2005: 112
[25] vgl. Homburg/Werner 1998: 17
[26] vgl. Diller /Haas/Ivens 2005: 83
[27] vgl. Homburg/Becker/Hentschel 2005: 96; Götz u.a. 2006: 415
[28] vgl. Scharnbacher/Kiefer 2003: 7-9
[29] siehe Anhang 2
[30] vgl. Homburg/Bucerius 2006: 56
[31] vgl. Griffin u.a. 1995: 65
[32] vgl. Schneider 2000: 40
[33] vgl. Riemer 1986: 71-73
[34] vgl. Erlbeck 2004: 18
[35] vgl. Christianus 2002: 71
[36] vgl. Stauss/Seidel 2002: 69
[37] vgl. Stauss 2006: 321
[38] vgl. Stauss 2005: 324-328
[39] vgl. Stauss/Seidel 2002: 297
[40] siehe Anhang 3
[41] siehe Anhang 4
[42] vgl. Stauss 2005: 332; siehe Anhang 5
[43] vgl. Pietschmann 1999: 243
[44] vgl. Haeske 2001: 21
[45] Goodwinn/Malech/Marra 1987: 173 zitiert nach Stauss 2006: 329
[46] Meyer/Dornach 1993: 31 zitiert nach Stauss 2006: 328
[47] vgl. Töpfer/Wieder 1999: 225
[48] vgl. Bruhn 2003: 163
[49] vgl. Haeske 2001: 12; Noble 1996: 152-154
[50] vgl. Töpfer 1999: 464
[51] vgl. Jeschke 1997: 67
[52] vgl. Schneider 2000: 144
[53] vgl. Christianus 2002: 71; Jeschke 1997: 68
[54] vgl. Ullmann/Peil 1995: 1516
[55] vgl. Diller/Haas/Ivens 2005: 264
[56] vgl. Stauss/Seidel 2002: 96
[57] vgl. Jeschke 1997: 68 Pepels 2002: 127
[58] vgl. Grabner-Kräuter/Schwarz-Musch 2006: 175
[59] Stauss/Seidel 2002: 35
[60] vgl. Stauss/Seidel 2002: 36-37
[61] vgl. Stauss/Seidel 2002: 40-42
[62] vgl. o.V. 2006: 34
[63] vgl. Mierzwa 2002: 21
[64] Stauss/Seidel 2002: 40
[65] vgl. Hillebrecht 1998 S. 47
[66] vgl. Rothlauf 2001: 121-122
[67] vgl. Hillebrecht 1998: 47-48
[68] vgl. Jeschke 1997: 68-69
[69] vgl. Stauss/Seidel 2002: 79
[70] vgl. Schöber 1997: 27-28
[71] vgl. Stauss/Seidel 2002: 81-82
[72] vgl. Grunwald 1999: 152-153
[73] vgl. Bruhn 2003: 171
[74] vgl. Töpfer 1999: 461
[75] vgl. Pietschmann 1999: 247
[76] vgl. Stauss 2005: 319
[77] vgl. Stauss/Seidel 2002: 89-92
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