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Mehr InfosBachelorarbeit, 2014, 93 Seiten
Bachelorarbeit
1,7
1 Adipositas bei Kindern in sozial benachteiligten Familien
1.1 Juvenile Adipositas
1.2 Zielsetzung und Fragestellung
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Methodisches Vorgehen
3 Datenlage zur juvenilen Adipositas
3.1 Definition Adipositas
3.2 Epidemiologie
3.3 Zusammenhang von Adipositas und sozialem Status
3.4 Folgen juveniler Adipositas
3.4.1 Körperliche Auswirkungen
3.4.2 Psychosoziale Auswirkungen
4 Soziale Ungleichheit als Erklärungsansatz für juvenile Adipositas
4.1 Die Perspektiven von Bourdieu und dem Capability Approach Ansatz
4.1.1 Bourdieus Theorie als Erklärungsansatz
4.1.2 Der Capability Approach Ansatz als mögliche Erklärung
4.1.3 Verbindung von Bourdieus Theorie und dem Capability Approach Ansatz als Erklärungsmöglichkeit
4.2 Vererbung als Ursache juveniler Adipositas
4.3 Gesundheitsverhalten und Gesundheitsverhältnisse der Kinder als Ursache
4.3.1 Ernährung
4.3.2 Bewegung
4.3.3 Psychosoziale Komponenten
4.3.3.1 Einflüsse auf das Erlernen des Ernährungsverhaltens
4.3.3.2 Diskriminierung adipöser Kinder
5 Kreisläufe aus Ursachen und Wirkungen
6 Exemplarische Interventionsstrategien bei juveniler Adipositas in Deutschland
6.1 Zwei beispielhafte Interventionen
6.1.1 Projekt „Fitness für Kids“
6.1.2 Projekt „Lernen durch Genießen“
6.2 Analyse der Interventionen
6.3 Fazit
7 Diskussion und Fazit
7.1 Ergebniszusammenfassung
7.2 Diskussion der Ergebnisse
7.3 Reflexion der methodischen Vorgehensweise
7.4 Vorschläge für weitere Forschung
7.5 Fazit
8 Literaturverzeichnis
Abstract
Hintergrund
In den letzten Jahren ist die Zahl adipöser Kinder stetig angestiegen, wobei sozial benachteiligte Familien häufiger von Übergewicht und Adipositas betroffen sind, als sozial besser gestellte Familien.
Zielsetzung und Fragestellung
Ziel dieser Arbeit ist, die Gründe für das gehäufte Auftreten juveniler Adipositas in sozial benachteiligten Familien aufzuzeigen. Durch die vorliegende Arbeit soll ein Verständnis für diese ungleiche Verteilung und für die Tatsache, dass es Betroffenen schwer fällt etwas an ihrer Situation zu ändern, entwickelt werden. Exemplarisch werden dazu sinnvolle Interventionen vorgestellt und analysiert.
Aus dieser Zielsetzung hat sich die Frage „Warum leiden Kinder aus sozial schwachen Familien häufiger an Adipositas?“ mit den Unterfragen „Welche Folgen entstehen bedingt durch Adipositas im Kindesalter?“, „Welcher Wissensstand besteht in Bezug auf die erblichen Auswirkungen auf das Körpergewicht?“, „Welche Erklärungsmöglichkeiten bieten Bourdieus Theorie und der Capability Approach Ansatz?“ und „Wie kann erfolgreich in die Problematik der Adipositas Entstehung eingegriffen werden?“, ergeben.
Methodische Vorgehensweise
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf dem konzeptionellen Teil. Auf eine systematische Literaturrecherche in medizinischen Datenbanken wurde verzichtet. Recherchiert wurde deutschlandweit in online Bibliotheken, in dem online Archiv Springer Link, sowie über google scholar. Zur Recherche eingesetzt wurden Kategorien und Freitextwörter.
Ergebnisse
Es konnte festgestellt werden, dass die Gründe für das häufigere Auftreten juveniler Adipositas in sozial benachteiligten Familien vielschichtig sind. So haben genetische Einflüsse, die Gesundheitsverhältnisse, das Gesundheitsverhalten, insbesondere Ernährungs- und Bewegungsverhalten, die Kapitalausstattung und der daraus resultierende individuelle Habitus Einflüsse auf die Entstehung von Adipositas. Ebenso haben die Verwirklichungschancen sowie psychosoziale Komponenten, wie psychosoziale Einflüsse auf das Ernährungsverhalten und Diskriminierung, Auswirkungen auf die Adipositas Entstehung. Es wird deutlich, dass alle diese Komponenten in vielen sozial benachteiligten Familien in der Regel negativer ausgeprägt sind als in sozial besser gestellten Familien.
Abstract
Background
The number of obese children rose consistence in the last years, at which deprived families are more often affecting by overweight and obesity than families with a higher social state.
Objective target and question
The aim of this paper is to find out the reasons for the cumulative number of obese children in deprived families. With this paper the readers should develop a comprehension why this problem is so unequally distributed and why it`s hard for concerned persons to change their situation. Reasonable interventions were described and analysed exemplary in this paper.
Because of this aim the question is asked „Why children in deprived families are more often effected by obesity?” and the attendant questions „Which consequences has obesity during the childhood?”, „Which effects have the genetics for the development of the body weight?”, „Which possibilities of explanations can give by the theory of Bourdieu and the Capability Approach theory?” and „How may interventions change the problem of obesity?”.
methodological procedure
The conceptual part is the focus of this paper. A systematic literature research weren`t conducted to generate this paper. The research of literature was made in online libraries in Germany, in the online archive Springer Link and in google scholar. To research information there were used categories and free words.
Results
The reasons are complex for the higher number of obese children in deprived families. So effects for the development of obesity are genetic factors, the health conditions, the health behaviour, in particular the food habits and the kinesic behaviour, the capital equipment and the individual habitus that is caused by the capital equipment. Also effects for the deployment of obesity are the possibilities to realize chances and the psychosocial components, for example the psychosocial influence of the food habits and discrimination. It becomes apparent that all of these components are more negatively pronounced in deprived families than in families with a higher social state.
Abbildung 1: Prävalenz von Adipositas (> 97 Perzentile) 3-17 Jähriger nach Sozialstatus
Abbildung 2: Einfluss des sozioökonomischen Status auf Lebensstil und Gesundheit
Abbildung 3: Essgewohnheiten hessischer Schüler/innen der Klassen 5, 7, 9 im Jahr 2002
Abbildung 4: Kreisläufe aus Ursachen und Wirkungen von Adipositas bei Kindern
Tabelle 1: Recherchebegriffe
Tabelle 2: Körperliche Aktivität und Fernsehkonsum 11-15 Jähriger nach familiärem Wohlstand, angegeben in Odds Ratio
Die Zahl adipöser Kinder (juvenile Adipositas) in Deutschland ist in den letzten Jahren stetig angestiegen. Ein Unterschied in der Häufigkeit dieser Erkrankung besteht zwischen den sozialen Schichten. So sind Kinder in sozial benachteiligten Familien häufiger von Übergewicht und Adipositas betroffen, als sozial besser gestellte.
Gerade bei Kindern ist es interessant zu verfolgen und in Erfahrung zu bringen warum die Zahl adipöser Kinder in den letzten Jahren angestiegen ist und warum sozial benachteiligte Kinder ein höheres Risiko aufweisen eine Adipositas zu entwickeln. Wird bereits im Kindesalter an dieser Problematik angesetzt, besteht evtl. die Möglichkeit Erkrankungen im frühen Erwachsenenalter und/oder Folgeerkrankungen zu verhindern.
Es besteht allgemein die Meinung, dass Adipositas durch gesunde Ernährung und Bewegung zu bekämpfen ist, wobei sich die Frage stellt, warum trotzdem so viele Kinder davon betroffen sind. Es wird deutlich, dass die Gründe mehrdimensional und vielschichtig sind, es somit nicht einfach ist die Gründe für die Entstehung dieser Problematik zu nennen und dass Aufklärung allein in den meisten Fällen nicht ausreichen wird.
Aufgrund der dargelegten Problemstellung beschäftigt sich diese Arbeit zum einen mit der Differenzierung adipöser Kinder nach Sozialstatus und zum anderen mit den Gründen für ungleiche Gesundheitschancen. Ebenfalls ist relevant welche Interventionen durchgeführt werden können, um betroffene, sozial benachteiligte Kinder zu erreichen bzw. deren Lebensverhältnisse so zu verändern, dass sie langfristig ihre Gewohnheiten und ihren Lebensstil ändern.
Ziel dieser Arbeit ist demzufolge, die Gründe für gehäuftes Auftreten von Adipositas in sozial benachteiligten Familien in Erfahrung zu bringen, ein Verständnis zu entwickeln warum dies so ist, darzustellen welche Folgen diese Problematik nach sich zieht und exemplarisch mögliche, sinnvolle Interventionen vorzustellen und zu analysieren.
In besonderem Maße wird auf die Entwicklung eines Verständnisses, weshalb viele sozial benachteiligte Kinder häufiger von Adipositas betroffen sind und es ihnen schwerfällt etwas an ihrer Situation zu ändern, abgezielt. Einen wichtigen Anteil der Arbeit stellt daher der Bezug des Adipositas Problems bei sozial schwachen Kindern auf Bourdieus Theorie und den Capability Approach Ansatz von Sen und Nussbaum dar. Es wird dargelegt inwieweit eine Übertragbarkeit der Theorien auf das Thema der Arbeit möglich ist.
Zwei Interventionen werden vorgestellt, die lediglich als mögliche Beispiele dienen sollen und nicht wissenschaftlich auf ihre Relevanz oder Qualität erforscht werden. Ziel ist anhand der Interventionen beispielhaft darzustellen, wie sinnvoll in das beschriebene Problem eingegriffen werden kann und zu analysieren inwieweit die Interventionen auf die vorher dargestellten Gründe eingehen.
Zur Verbindung der Themen soziale Ungleichheit, Adipositas bei Kindern, die ungleiche Verteilung dieser Problematik und die Durchführung entsprechender Interventionen, wird die Fragestellung „Warum leiden Kinder aus sozial schwachen Familien häufiger an Adipositas?“ mit den Unterfragen „Welche Folgen entstehen bedingt durch Adipositas im Kindesalter?“, „Welcher Wissensstand besteht in Bezug auf die erblichen Auswirkungen auf das Körpergewicht?“, „Welche Erklärungsmöglichkeiten bieten Bourdieus Theorie und der Capability Approach Ansatz?“ sowie „Wie kann erfolgreich in die Problematik der Adipositas Entstehung eingegriffen werden?“ gestellt.
Zur Bearbeitung dieses Themas wird, im dritten Kapitel, die Datenlage zur juvenilen Adipositas dargelegt, indem im Abschnitt 3.1 definiert wird worum es sich bei Adipositas handelt, im Abschnitt 3.2 anhand von Zahlen dargestellt wird, wie viele Kinder betroffen sind und der Anstieg dieser Erkrankung in den letzten Jahren belegt wird und im Abschnitt 3.3 ein Zusammenhang zwischen Adipositas und der sozialen Schicht hergestellt wird bzw. belegt wird, dass sozial schwache Kinder häufiger von Adipositas betroffen sind. Zur Verdeutlichung der Wichtigkeit und der Relevanz dieses Themas werden im Abschnitt 3.4 sowohl die körperlichen als auch die psychischen Folgen juveniler Adipositas dargestellt, wodurch deutlich wird wie wichtig ein möglichst schnelles Handeln ist, um das Ausmaß der Adipositas bei Kindern zu verringern und damit sowohl aktuelle Probleme, wie bereits entstandene Folgen, als auch Spätfolgen zu reduzieren.
Im nächsten Schritt werden in Kapitel vier die Ursachen für die Entstehung von Adipositas und deren ungleiche Verteilung zwischen den verschiedenen sozialen Schichten ergründet. Als erstes wird dazu im Abschnitt 4.1 ein Erklärungsansatz für das beschriebene Problem in Bourdieus Theorie und im Capability Approach Ansatz gesucht. Dazu wird das Problem der Adipositas im Unterabschnitt 4.1.1 auf Bourdieus Theorie bezogen, im Unterabschnitt 4.1.2 auf den Capability Approach Ansatz von Sen und Nussbaum und im Unterabschnitt 4.1.3 eine Verbindung der beiden Theorien dargestellt, womit ein Verständnis für Verhaltensweisen und Entwicklungen betroffener Kinder, bedingt durch verschiedene Faktoren, erreicht werden soll.
Im nächsten Schritt wird in Abschnitt 4.2 der aktuelle Wissensstand zur Relevanz der Erbanlagen an der Entstehung von Adipositas vorgestellt. In Abschnitt 4.3 wird das Gesundheitsverhalten, welches die Adipositas Entstehung (mit)verursachen kann, näher beleuchtet, indem im Unterabschnitt 4.3.1 das Ernährungsverhalten, im Unterabschnitt 4.3.2 das Bewegungsverhalten und im Unterabschnitt 4.3.3 die psychosozialen Komponenten, zu denen die psychosozialen Einflüsse auf das Ernährungsverhalten sowie Diskriminierungen der betroffenen Kinder zählen, analysiert werden.
In Kapitel fünf wird das Zusammenwirken bzw. die Kreisläufe und die teilweise Bedingung von Ursachen und Folgen juveniler Adipositas dargestellt, wobei bei einigen Komponenten nicht eindeutig feststellbar ist, ob es sich um eine Ursache oder eine Folge von Adipositas handelt.
In Kapitel sechs werden zwei bestehende Projekte, die darauf abzielen Adipositas bei Kindern in sozialen Brennpunkten zu verringern, vorgestellt. Mit diesen Interventionen wird aufgezeigt, wie beispielhaft in die Problematik sozial benachteiligter, adipöser Kinder eingegriffen werden kann und beleuchtet inwieweit sie auf die vorher dargestellten Erklärungsansätze eingehen. Die Projekte werden im Hinblick auf die beiden Theorien (Bourdieu, Capability) analysiert, mit dem Ziel einen Transfer herzustellen und aufzuzeigen inwieweit die Erklärungsansätze die die Theorien bieten, in den Interventionen berücksichtigt werden.
Bedingt durch das Thema und die Zielsetzung der Arbeit, liegt der Fokus auf dem konzeptionellen Teil, weshalb auf eine systematische Literaturrecherche in elektronischen Datenbanken im medizinischen Bereich verzichtet wurde. Der Recherchezeitraum für die datenbezogene Literatur wurde auf die letzten zehn Jahre eingegrenzt, um sowohl aktuelle Daten zum Thema vorzustellen als auch Veränderungen der Adipositas- und Übergewichtsentwicklung in den letzten Jahren darzustellen. Diese Eingrenzung gilt nicht für die im konzeptionellen Teil verwendete Literatur.
Es wurde die Entscheidung getroffen, dass die Recherche bzw. Darstellung der Problematik, die in dieser Arbeit verdeutlicht wird, auf Deutschland begrenzt ist. Diese Entscheidung ist darin begründet, dass eine begrenzte Bearbeitungszeit zur Erstellung dieser Arbeit zur Verfügung stand. Zudem müsste bei einem Einbezug anderer Länder in diese Thematik sowohl die Sozialstruktur und das Bildungssystem eines Landes als auch der sozioökonomische Status einzelner Gruppen in diesen Ländern in die Beurteilung mit einbezogen werden. Ebenfalls müssten die Ernährungsgewohnheiten bzw. das Angebot an Lebensmitteln sowie die kulturellen Gegebenheiten, die sowohl das Ernährungs- und Bewegungsverhalten als auch die Erziehungsmethoden beeinflussen, berücksichtigt werden, da diese nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragbar sind. Zum Teil wären auch Problematiken, Ursachen und Interventionsstrategien aus anderen Ländern auf Deutschland übertragbar, denn in einigen anderen Ländern besteht ebenfalls das Problem der Adipositas und ist ebenso ungleich verteilt.
Recherchiert wurde deutschlandweit in online Bibliotheken, in dem online Archiv Springer Link, sowie per Handsuche über google scholar. Zur Recherche eingesetzt wurden Kategorien und Freitextwörter, die in folgender Tabelle veranschaulicht werden.
Tabelle 1: Recherchebegriffe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Empirische Literatur wurde zu einem großen Anteil in medizinischen Zeitschriften wie dem Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, der Monatszeitschrift Kinderheilkunde, der Ernährungsumschau, der Biologie Unserer Zeit, dem deutschen Ärzteblatt, psychologischen Magazinen sowie der Weltgesundheitsorganisation, einem HTA-Bericht, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung, sowie dem Robert-Koch-Institut gefunden. Daten der entsprechenden S3 Leitlinie „Therapie der Adipositas im Kindes- und Jugendalter“ sind zurzeit nicht verfügbar, da diese seit 2014 ungültig ist und eine neue Version in Arbeit ist.
Für den konzeptionellen Teil wurde Literatur in spezifischen Büchern und online Publikationen zum Thema Bourdieus Theorie des Habitus und dem Capability Approach Ansatz gefunden. Die in dieser Arbeit exemplarisch vorgestellten Interventionen, wurden aus den Projekten der Homepage des Kooperationsverbundes gesundheitliche Chancengleichheit ausgewählt, um Interventionen vorzustellen, die bei der Adipositasprävention auf soziale Ungleichheit eingehen und in sozialen Brennpunkten angeboten werden. Sie berücksichtigen sowohl Good Practice Kriterien als auch den Setting Ansatz und gehen somit auf die soziale Ungleichheit ein. Damit gelten diese Interventionen als gute, sinnvolle Beispiele, die schon seit Jahren erfolgreich umgesetzt werden.
Als Übergewicht wird ein erhöhtes Körpergewicht, welches aufgrund eines vermehrten Körperfettanteils über das Normalmaß hinausgeht, definiert (Schulz/ Goebel 2006: 479). Es wird in primäres und sekundäres Übergewicht eingeteilt, wobei primäres Übergewicht vorliegt, wenn die Ursache in einer erhöhten Energiezufuhr bei gleichzeitig zu geringem Energieverbrauch liegt. Dies ist die häufigste Form des Übergewichts und wird durch einen hohen Kalorienkonsum verursacht, während sekundäres Übergewicht aufgrund eines angeborenen oder erworbenen Hormondefektes entsteht. Das Überschreiten von Übergewicht über ein gewisses Maß, wird als Adipositas bezeichnet (Goebel/Schulz 2006: 479).
Damit liegt Adipositas vor, wenn der Fettanteil des Körpers ein gewisses Maß übersteigt, welches für das entsprechende Alter und Geschlecht gesundheitsgefährdend erhöht ist, also eine pathologische Vermehrung des Fettgewebes besteht (Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 737/Fröschl et al. 2009: 11f.). Eine sekundäre Adipositas besteht, wenn diese aufgrund eines sekundären Übergewichtes entstanden ist. (Goebel/Schulz 2006: 479). Adipositas wird bereits seit 1985 als Krankheit anerkannt und oft synonym mit Fettsucht oder Fettleibigkeit verwendet, wobei hier nicht das Körpergewicht, sondern der Anteil an Fettgewebe ausschlaggebend ist (Fröschl et a. 2009: 12).
Zur Einteilung von Übergewicht und Adipositas wird die Berechnung des Body Mass Indexes (BMI) angewendet (Fröschl et al. 2009: 11/Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 737). Dazu wird die Körpergröße in Relation zum Körpergewicht gesetzt, indem das Körpergewicht in Kilogramm dividiert wird durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat (Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 737). Wegen der alters-, geschlechts- und entwicklungsabhängigen Veränderungen im Kindesalter existieren für Kinder keine starren Grenzwerte für den BMI (Fröschl et al. 2009: 11/Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 737). Es werden alters- und geschlechtsspezifische Perzentil Kurven verwendet, in denen anhand des errechneten BMI der entsprechende Perzentil der Referenzpopulation abgelesen werden kann (Fröschl et al. 2009: 11/Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 737).
Zur Auswertung dieser Perzentile ist es üblich, dass Kinder und Jugendliche mit einem BMI zwischen 90 und 97 Perzentile als übergewichtig eingestuft werden (Fröschl et al. 2009: 11/Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 737). Kinder mit einem BMI über 97 Perzentile, bezogen auf das Geschlecht und Alter, werden als adipös eingestuft (Fröschl et al. 2009: 11/Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 737).
Die Ergebnisse der KIGGS Studie, an der 14.747 Kinder und Jugendliche teilgenommen haben, zeigen, dass in Deutschland insgesamt fünfzehn Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen drei und siebzehn Jahren von Übergewicht und 6,3 Prozent von Adipositas betroffen sind (Fröschl et al. 2009:11/Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 737). Dies entspricht 1,9 Millionen übergewichtigen Kindern und 800.000 adipösen Kindern in Deutschland. Beim Vergleich dieser Ergebnisse mit der Referenzpopulation aus den 1980er und 1990er Jahren, wird ein Anstieg übergewichtiger Kinder um 50 Prozent ersichtlich (Fröschl et al. 2009:11/ Kurth/ Schaffrath Rosario 2007: 737). Damit ist in Deutschland jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche übergewichtig und vier bis acht Prozent der Schulkinder sind adipös (Wabitsch 2004: 251).
Prävalenz und Schweregrad von Übergewicht und Adipositas haben in den letzten beiden Jahrzehnten weltweit zugenommen und werden daher als globale Epidemie bezeichnet (Rauh-Pfeiffer/Koletzko 2007: 470). Die Prävalenz von Übergewicht, Adipositas mit eingeschlossen, bei Kindern und Jugendlichen wird weltweit mit zehn Prozent angegeben, wobei diese in den USA bei etwa 30 Prozent liegen, in Europa und im mittleren Osten bei etwa 20 Prozent und in der Asien-Pazifik-Region bei fünf bis zehn Prozent (Rauh-Pfeiffer/Koletzko 2007: 470). Aus mehreren Untersuchungen geht hervor, dass die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas in Deutschland weiter zunehmen wird (Wabitsch 2004: 251).
Die Rate der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen steigt mit dem Lebensalter an (Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 737/ Fröschl et al. 2009: 15). Demnach sind von den drei bis sechs Jährigen neun Prozent betroffen, von den sieben bis zehn Jährigen fünfzehn Prozent und von den vierzehn bis siebzehn Jährigen siebzehn Prozent (Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 737/ Fröschl et al. 2009: 15).
Ebenso nimmt die Prävalenz der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen mit dem Lebensalter zu (Fröschl et al. 2009: 15/Rauh-Pfeiffer/Koletzko 2007: 470). Demzufolge sind 2,9 Prozent von den drei bis sechs Jährigen, 6,4 Prozent von den sieben bis zehn Jährigen und 8,5 Prozent von den vierzehn bis siebzehn Jährigen von Adipositas betroffen, wobei es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt (Fröschl et al. 2009: 15/Rauh-Pfeiffer/Koletzko 2007: 470).
Die Menschen in Deutschland leben in einer Überflussgesellschaft, in der nicht alle Menschen gleichermaßen am Reichtum teilhaben (Methfessel 2009: 130f.). So gibt es sozial besser gestellte, wohlhabende Menschen und weniger wohlhabende, sozial benachteiligte Gruppen (Methfessel 2009: 130f.). Die Bildung und die daraus resultierende gesundheitliche Situation korrelieren mit der sozialen Lage der Menschen, wobei sich dieses Problem von den betroffenen Eltern auf deren Kinder überträgt. Daraus ergibt sich beispielsweise, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien ein hohes Risiko haben an Adipositas zu erkranken (Methfessel 2009: 130f.).
Die sozialen Schichten wurden für die KIGGS Studie mit Hilfe eines mehrdimensionalen, aggregierten Index erfasst, welcher durch Angaben der Eltern zu ihrer Schulbildung, ihrer beruflichen Qualifikation, ihrer beruflichen Stellung und zum Haushaltsnettoeinkommen berechnet wurden (Lampert/Kurth 2007: A2946 f.). Diese Angaben wurden mit Hilfe statistischer Verfahren verarbeitet und in drei Statusgruppen eingeteilt, nämlich der unteren, der mittleren und der hohen sozialen Schicht (Lampert/Kurth2007: A2946 f.).
Die Unterschiede zwischen Kindern unterschiedlicher sozialer Herkunft in der Prävalenz von Adipositas werden in folgender Grafik dargestellt.
Abbildung 1: Prävalenz von Adipositas (> 97 Perzentile) 3-17 Jähriger nach Sozialstatus
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenQuelle: eigene Darstellung (Datenquelle: Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 740)
Wie in der Abbildung zu sehen ist, steigt in allen dargestellten Altersgruppen die Prävalenz der Adipositas linear mit dem sinkenden Sozialstatus an (Kolip 2004: 237). Bei Kindern der unteren sozialen Schichten tritt Adipositas in allen Altersgruppen dreimal so häufig auf wie in den Oberschichten (Kolip 2004: 237).
Wie in der Grafik zu sehen ist, liegt die Prävalenz der mittleren Statusgruppe in den beiden jüngeren Altersgruppen ungefähr in der Mitte zwischen der niedrigen und der hohen Sozialstatusgruppe, während in den beiden älteren Altersgruppen die Adipositas Prävalenzen der Kinder aus der mittleren sozialen Schicht bedeutend näher an der hohen als an der niedrigen Sozialstatusgruppe liegen (Kurth/ Schaffrath Rosario 2007: 737). Insgesamt werden erhebliche Unterschiede in der Prävalenz deutlich und es sind keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf das Geschlecht zu verzeichnen (Kurth/Schaffrath Rosario 2007: 737).
Von anderen Autoren wird ebenfalls beschrieben, dass Adipositas ein soziales Problem darstellt, aufgrund dessen Kinder aus sozial benachteiligten Familien ein höheres Risiko haben an Adipositas zu erkranken und somit Kinder aus oberen sozialen Schichten zu einem geringeren Anteil an Übergewicht leiden, als Kinder aus unteren sozialen Schichten, was besonders bei deutschen Kindern der Fall ist (Moß et al. 2007: 1426/Methfessel 2009: 130).
Auch der Bildungsgrad der Eltern beeinflusst die Entstehung von Übergewicht bei Kindern (Kolip 2004: 237). Es konnte festgestellt werden, dass der Anteil Übergewichtiger bei Kindern deren Vater einen Hauptschulabschluss hat, größer ist als bei Kindern deren Vater mittlere Reife oder Abitur hat. Zudem zeigt sich ein Zusammenhang zwischen dem besuchten Schultyp und dem Anteil übergewichtiger und adipöser Jugendlicher, der bei den Zwölf- bis Sechzehnjährigen mit zunehmendem Bildungsgrad sinkt (Kolip 2004: 237).
In folgender Abbildung wird der Einfluss des sozioökonomischen Status auf den Lebensstil und das Gesundheitsverhalten veranschaulicht.
Abbildung 2: Einfluss des sozioökonomischen Status auf Lebensstil und Gesundheit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenQuelle: eigene Darstellung (Datenquelle: Müller et al. 2006: 212)
In der Grafik wird dargestellt, dass der sozioökonomische Status direkt einen Einfluss auf die Gesundheit und damit auch auf die Entstehung von Übergewicht und Adipositas hat, sowie einen Einfluss auf den Lebensstil, der die Ernährungsweise, die Aktivität und die Inaktivität beeinflusst (vgl. Müller et al. 2006: 212). Dieser Lebensstil wirkt sich dann wiederum auch auf die Gesundheit und damit auf die Entwicklung bzw. Beibehaltung von Übergewicht und Adipositas aus (vgl. Müller et al. 2006: 212).
Müller et al. (2006: 212) beschreiben zur Grafik, dass die Beziehung zwischen sozialem Status und Gesundheit komplex und nicht eindeutig geklärt ist und dass sozial-determinierte Verhaltensmuster und Lebensstile wie beispielsweise Ernährung, Aktivität und Inaktivität vermutlich zu sozialen Unterschieden in der Gesundheit beitragen. Nach Meinung der Autoren erklären sozial-determinierte Verhaltensmuster nur anteilig die Unterschiede in der Gesundheit (Müller et al. 2006: 212).
Im Folgenden wird auf die Folgen, die durch Adipositas im Kindes- und Jugendalter entstehen können, eingegangen, um die Wichtigkeit eines möglichst frühen Eingriffs in diese Problematik deutlich zu machen. Ein erhöhtes Körpergewicht, wie Adipositas, beinhaltet ein ernst zu nehmendes Risiko für viele Erkrankungen, körperliche Schädigungen sowie psychosoziale Konsequenzen, wie beispielsweise Depressivität und/oder Ängstlichkeit (Fröschl et al. 2009: 18f.).
Die Wahrscheinlichkeit, eine durch Adipositas verursachte Erkrankung zu entwickeln, erhöht sich mit der Zeit in der Individuen von Adipositas betroffenen sind (Fröschl et al. 2009: 18f.). Aus einigen Begleiterkrankungen können sich teilweise lebensbedrohliche oder tödliche Folgen entwickeln. Als problematisch ist dabei anzusehen, dass sich viele dieser Adipositas bedingten Krankheiten schleichend entwickeln und anfangs von den Betroffenen nicht wahrgenommen werden (Fröschl et al. 2009: 18f.).
Adipositas führt neben funktionellen, individuellen Einschränkungen und psychosozialen Beeinträchtigungen zu einer fassbaren höheren Komorbidität, sowie zu einem erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko im Erwachsenenalter, wobei eine bereits im Kindesalter vorhandene Manifestation von Adipositas, einen zusätzlichen ungünstigen Einfluss auf die gesundheitlichen Risiken im Erwachsenenalter hat (Wabitsch 2004: 253).
Im Kindes- und Jugendalter bestehendes Übergewicht führt sowohl zu kurzfristigen gesundheitlichen Problemen, als auch zu langfristigen Folgen für die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit bis ins spätere Erwachsenenalter hinein (Rauh-Pfeiffer/Koletzko 2007: 473). Dabei ist zu bedenken, dass zwei Drittel der adipösen Kinder und Jugendlichen ihr Übergewicht bis ins Erwachsenenalter beibehalten und damit auch als Erwachsene übergewichtig bleiben (Rauh-Pfeiffer/Koletzko 2007: 475).
In den folgenden beiden Unterabschnitten wird sowohl auf die körperlichen Auswirkungen als auch auf die psychosozialen Folgen genauer eingegangen.
Übergewicht und Adipositas in der Kindheit führen zur Verstärkung kardiovaskulärer Konsequenzen, reduzieren die Insulinsensitivität, sorgen für pathologische Glukosetoleranz und erhöhen Blutzuckerwerte sowohl nüchtern als auch postprandial, wobei sich bei sehr starker Adipositas bereits bei Kindern und Jugendlichen Diabetes Typ zwei manifestieren kann (Rauh-Pfeiffer/Koletzko 2007: 474), welcher bei adipösen Kindern zehnfach häufiger auftritt als bei nicht übergewichtigen Kindern (Holub/Götz 2003: 234).
Das gleichzeitige Vorhandensein einer arteriellen Hypertonie (die bei etwa dreißig Prozent aller übergewichtigen Kindern auftritt), einer Hypercholesterinämie, einer Hypertriglyceridämie und einer gestörten Glukosetolerenz mit Typ zwei Diabetes, welche bei adipösen Kindern und Jugendlichen mit höherem Risiko auftreten, wird als prämetabolisches Syndrom zusammengefasst (Wabitsch 2004: 253/Holub/ Götz 2003: 234).
In einer Untersuchung adipöser Kinder konnte festgestellt werden, dass 86 Prozent der adipösen Probanden mindestens einen und neun Prozent der betroffenen Kinder alle vier Faktoren des metabolischen Syndroms aufwiesen, im Gegensatz zu normalgewichtigen Kindern, von denen nur zwanzig Prozent einen der Risikofaktoren aufwiesen und niemand alle vier Faktoren (Holub/Götz 2003: 233f.). Zudem treten bei adipösen Kindern orthopädische Komplikationen und muskuloskelettale Dysfunktionen auf, die zu einem erhöhten Arthroserisiko führen (Wabitsch 2004: 253f.).
Zusätzlich können bei adipösen Kindern und Jugendlichen Gallenwegserkrankungen, Gallensteine sowie obstruktive Atemstörungen, Schlafapnoe, chronische Entzündungen, Endothelfunktionsstörungen, als auch Einschränkungen im Bewegungsapparat wie Spreizfüße, gehäuft auftreten (Wabitsch 2004: 253f.). Adipöse Kinder zeigen beispielsweise ein schnelleres Längenwachstum, welches zu einer überdurchschnittlichen Körpergröße führt (Rauh-Pfeiffer/Koletzko 2007: 473).
In einer Untersuchung von Holub und Götz wurde bei ca. 25 Prozent der adipösen Kinder eine Steatohepatitis festgestellt und es konnte herausgefunden werden, dass Asthma bronchiale sowie anstrengungsinduzierte bronchiale Obstruktion bei Adipösen doppelt so häufig auftritt wie bei Normalgewichtigen (Holub/Götz 2003: 234).
Unter psychischen Problemen leiden übergewichtige Kinder mehr als betroffene Erwachsene, daher hat Adipositas einen starken Einfluss auf die emotionale Entwicklung dieser Kinder (Holub/Götz 2003: 234). Die psychische Befindlichkeit bei übergewichtigen Kindern ist schlechter ausgeprägt als bei normalgewichtigen, was dazu führt, dass das Auftreten von Depressionen, Essstörungen und erniedrigtem Selbstwertgefühl als erhöhtes Risiko für adipöse Kinder zu verzeichnen ist (Mata/Munsch 2011: 549/ Wabitsch 2004: 254).
Betroffene Kinder leiden häufiger unter sozialem Rückzug, körperlichen Beschwerden, Ängstlichkeit, depressiven und sozialen Problemen sowie Verhaltensstörungen (Mata/Munsch 2011: 549). In einer Studie mit 155 adipösen Kindern konnte festgestellt werden, dass 32 Prozent dieser Kinder unter Angststörungen leiden, 12 Prozent unter Depressionen und 16 Prozent unter aggressiven Verhaltensstörungen, sowie die Tatsache, dass bei 39 Prozent, der an einer gewichtsreduzierenden Maßnahme teilnehmenden Kinder, eine psychische Störung vorliegt (Mata/Munsch 2011: 549).
Für Mädchen ist der Druck in Bezug auf ihr Körpergewicht höher als bei Jungen, was zu wiederholten Diäten in der Jugend führt und damit die Wahrscheinlichkeit eine Essstörung zu entwickeln um das Achtfache erhöht (Holub/Götz 2003: 234). So ist bei 40 Prozent der Bulimikerinnen eine kindliche Adipositas feststellbar (Holub/Götz 2003: 234). Außerdem konnte in Erfahrung gebracht werden, dass bei weiblichen Jugendlichen mit depressiven Symptomen eine erhöhte Gewichtszunahme während der nächsten zehn Jahre stattfinden wird, wodurch das Risiko im Erwachsenenalter adipös zu sein um mehr als das Elffache erhöht ist (Mata/ Munsch 2011: 549).
Entscheidend für das Risiko, kindliche Adipositas bis ins Erwachsenenalter hinein beizubehalten, ist das Alter des Kindes während der Entstehung der Adipositas (Holub/Götz 2003: 234). So liegt die Wahrscheinlichkeit, dass vier bis zehnjährige Adipöse als Erwachsene ihr zu hohes Gewicht beibehalten bei ca. 30 Prozent und die Wahrscheinlichkeit, dass die Elf- bis siebzehnjährigen ihre Adipositas auch als Erwachsene beibehalten bei ca. 50 Prozent (Holub/Götz 2003: 234).
Folgen und Benachteiligungen, die teilweise bis ins Erwachsenenalter hinein reichen, führen beispielsweise dazu, dass unter Übergewicht leidende Jugendliche im Hinblick auf ihre erzielten Ausbildungsabschlüsse, ihr späteres Einkommen und stabile Partnerbeziehungen, benachteiligt sind (Rauh-Pfeiffer/Koletzko 2007: 473). In diesem Sinne beschreiben Holub und Götz, dass adipöse Frauen durchschnittlich 6700 US Dollar im Jahr weniger verdienen und häufiger arbeitslos sind als Normalgewichtige und dass übergewichtige, männliche Jugendliche nur halb so oft an Eliteuniversitäten aufgenommen werden, obwohl sie dieselbe Qualifikation aufweisen (Holub/Götz 2003: 234).
Ebenfalls konnten stigmatisierende Einstellungen von Lehrern in Bezug auf adipöse Kinder festgestellt werden, sowie Benachteiligungen adipöser Jugendlicher bei der Zulassung an Universitäten und bei der finanziellen Unterstützung einer Ausbildung (Hilbert 2008: 289). Insgesamt werden adipöse Menschen sozial benachteiligt und haben in der Gesellschaft schlechtere Chancen auf Ausbildungen und Karrieremöglichkeiten (Müller 2013: 87f.). Diskriminierung stellt einen wichtigen Punkt der psychosozialen Folgen dar, wobei man beachten muss, dass nicht immer eindeutig geklärt ist, ob es sich bei diskriminierenden Handlungen um eine Ursache oder eine Folge von Adipositas handelt. Das Thema Diskriminierung wird in Abschnitt 4.3.3.2, aus der Perspektive der Ursachen, ausführlich beschrieben.
In folgenden Abschnitten wird eine Erklärung für das gehäufte Auftreten von Adipositas bei Kindern aus sozial benachteiligten Familien in Bourdieus Theorie, in dem Capability Approach Ansatz von Sen und Nussbaum, sowie in einer Zusammenwirkung beider Theorien, gesucht. Es wird ergründet inwieweit das gehäufte Auftreten von Adipositas bzw. deren ungleiche Verteilung zwischen den sozialen Schichten, mit den beiden Theorien erklärbar sind. Dazu wird im Unterabschnitt 4.1.1 ein Transfer Bourdieus Theorie auf das genannte Thema hergestellt, im Unterabschnitt 4.1.2 der Bezug des Themas zum Capability Approach Ansatz von Sen und Nussbaum hergestellt, wobei hier hauptsächlich Sens Version im Vordergrund steht und im Unterabschnitt 4.1.3 wird ein Zusammenwirken/ Zusammenhang der beiden Theorien bei der Ergründung der Adipositas Entstehung, in Bezug auf den Sozialstatus, verdeutlicht.
Die Sozialraumanalyse Bourdieus ist eine Theorie individueller Handlungspraxis, welche handlungsermöglichende sowie handlungsblockierende Strukturen in den Lebenswelten der Akteure einbezieht (Bauer 2005: 95f.). Bauer (2005: 96) beschreibt, dass laut Bourdieu soziale Akteure über ein Dispositionssystem individueller Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsschemata verfügen, welche sich in Gestalt eines individuellen Habitus verdichten. Diese Dispositionen werden zum einen durch Lebensbedingungen strukturiert und zum anderen wirken sie strukturierend auf die Konstitution der sozialen Realität (Bauer 2005: 96). Damit prägt der Habitus, gemäß den Angaben von Abel et al. (2006: 187), auch die gesundheitsrelevanten Lebensstile, die wiederum ebenfalls den Habitus modifizieren.
Gemäß Bourdieus Theorie bestehen Differenzen innerhalb eines sozialen Raumes, in dem unterschiedliche Statuspositionen und individuelle Lebens- und Handlungsformen in einem Bedingungsverhältnis zueinander stehen (Bauer 2005: 98). Dieser Raum wird durch die ungleiche Verteilung materieller und immaterieller Ressourcen strukturiert (Bauer 2005: 98). Aus diesen Tatsachen wird ersichtlich, dass, gemäß Bourdieus Theorie, Mitglieder aus sozial schwachen Familien über einen anderen Habitus verfügen als sozial besser gestellte Familien und dass sich daraus wiederum ebenfalls unterschiedliche Lebensstile ergeben, die das Gesundheitsverhalten beeinflussen.
Diese, durch ungleiche Verteilung der Ressourcen, bedingte Strukturierung bezeichnet Bourdieu als differenzierte Verfügung über Kapitalressourcen, wobei er zwischen drei Kapitalformen, die akkumuliert werden, unterscheidet: dem ökonomischen Kapital, dem kulturellen Kapital und dem sozialen Kapital, wobei diese Akkumulation von Kapital Zeit benötigt (Bauer 2005: 98; Bourdieu 1983: 184). Bourdieu (1983: 184) beschreibt, dass das Kapital eine Kraft ist, aufgrund derer nicht alles gleich möglich oder gleich unmöglich ist. Er beschreibt, dass die Verteilungsstruktur verschiedener Arten von Kapital der Struktur der gesellschaftlichen Welt entspricht, was bedeutet, dass dadurch das langfristige Funktionieren der gesellschaftlichen Wirklichkeit und die Erfolgschancen der Praxis bestimmt werden (Bourdieu 1983: 184).
Aus diesen Angaben lässt sich schließen, dass viele sozial schwache Familien möglicher-weise eine geringere Kapitalausstattung aufweisen, bedingt dadurch einen entsprechenden Habitus aufweisen und aufgrund dessen bei ihnen eine schlechtere bzw. geringere Umsetzung gesundheitsbewusster Handlungen stattfindet, welche in Bezug auf das Thema Adipositas, bedingt durch ungesunde Ernährung und zu wenig Bewegung (bei sozial schwachen Kindern stärker ausgeprägt wie im Unterabschnitt 4.3.1 Abb.3 und Unterabschnitt 4.3.2 Tabelle 2 beschrieben), zu vermehrtem Übergewicht und Adipositas in den betroffenen Familien führt (sozial schwache Familien sind häufiger betroffen, wie unter Abschnitt 3.3 in Abbildung 1 dargestellt).
Die einzelnen Kapitalformen werden von Bourdieu beschrieben (Bauer 2005: 98). So ist das ökonomische Kapital laut Bourdieus Angaben dadurch gekennzeichnet, dass es über finanzielle Ressourcen verfügbar ist und direkt und unmittelbar in Geld konvertierbar ist (Bauer 2005: 98; Bourdieu 1983: 185). Kulturelles Kapital existiert in drei verschiedenen Formen und zwar in inkorporiertem Zustand (verinnerlicht, körpergebunden), in institutionalisierter Form (Bildungstitel) und in objektivierter Form (vergegenständlicht, Güter wie Bilder, antique Möbel) (Bauer 2005: 98).
Das inkorporierte Kulturkapital ist immer körpergebunden und verinnerlicht, was einen Verinnerlichungsprozess, der Zeit kostet, welche vom Investor persönlich investiert werden muss, voraussetzt (Bourdieu 1983: 187). Als Maßstab sollte die Dauer des Bildungserwerbs sowie die Primärerziehung der Familie angesetzt werden, wobei bei der Erziehung durch die Familie zu berücksichtigen ist, ob diese als positiver Faktor (Vorsprung, gewonnene Zeit) oder als negativer Faktor (doppelt verlorene Zeit) angerechnet werden kann (Bourdieu 1983: 187). Inkorporiertes Kulturkapital ist fester Bestandteil des Individuums und damit des Habitus (Bourdieu 1983: 187). Es wird durch soziale Vererbung weitergegeben und bleibt daher immer von den Umständen seiner ersten Aneignung geprägt und kann je nach Gesellschaft und sozialer Klasse in unterschiedlich starkem Maße ausgeprägt sein (Bourdieu 1983: 187). Es ist anzunehmen, dass dieses Kapital bei einem Großteil der Eltern in sozial benachteiligten Familien geringer ausgeprägt ist als in sozial besser gestellten Familien und damit auch in entsprechend geringerem Maße an ihre Kinder weitergegeben wird. Das inkorporierte Kulturkapital beeinflusst auch gesundheitsrelevante Verhaltensmuster, wie beispielsweise die Ernährung, gesundheitsförderliche Freizeitaktivitäten oder die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen (Abel et al. 2006: 191). Somit spiegeln solche Verhaltensmuster die soziale Herkunft, die Bildungsassoziation und die Ressourcenausstattung eines Individuums wider (Abel et al. 2006: 191).
Es lässt sich aus diesen Angaben folgern, dass die entsprechenden ungesunden oder weniger gesundheitsbewussten Verhaltensmuster, in Bezug auf das Thema dieser Arbeit vor allem die im Unterabschnitt 4.3.1 und 4.3.2 dargestellte ungesündere Ernährung und die geringere sportliche Betätigung, bei Kindern geringerer Bildung bzw. geringerer Qualität der besuchten Schulform, im Vergleich zu den sozial besser Gestellten, von der Qualität des vorhandenen inkorporierten Kulturkapitals abhängt, welches Kinder in ihren ersten Lebensjahren hauptsächlich von ihren Eltern vermittelt bekommen. Basierend auf dieser Annahme wird deutlich, dass das elterliche inkorporierte Kulturkapital maßgebliche Auswirkungen auf die Ausprägung dieses Kapitals an deren Kinder hat.
Das institutionalisierte Kulturkapital stellt objektiviertes, inkorporiertes Kulturkapital in Form von Titeln dar, welches unabhängig von der Person ihres Trägers gilt und durch die Titel schulisch sanktioniert und rechtlich garantiert ist (Bourdieu 1983: 190). Durch schulische oder akademische Titel wird dem Kulturkapital einer bestimmten Person dauerhaft und rechtlich ein Wert übertragen und institutionelle Anerkennung verliehen (Bourdieu 1983: 190). Ein solches Kapital kann vorteilhaft sein bei der Durchsetzung gesundheitsbezogener Interessen, da Menschen mit höheren Bildungstiteln mehr politische Akzeptanz zuteil kommt (Abel et al. 2006: 191). Es ist anzunehmen, dass ein erheblicher Anteil sozial benachteiligter Menschen seltener über entsprechende Bildungstitel verfügt (in Abschnitt 3.3 dargestellt, ergibt sich die Berechnung des sozialen Status auch aus Angaben der beruflichen Qualifikation und der Schulbildung, welche entsprechende Bildungstitel ermöglichen) und damit in unserer Gesellschaft eine geringere politische Akzeptanz und weniger Einflussmöglichkeiten zur Umsetzung gesundheitsbezogener Interessen hat.
Objektiviertes Kulturkapital ist über den Weg seiner materiellen Träger materiell übertragbar, beispielsweise in Form von Gemälden, Schriften oder Denkmälern (Bourdieu 1983: 189). So lässt sich zum Beispiel eine Gemäldesammlung übertragen wie ökonomisches Kapital, allerdings ist das Merkmal, welches die eigentliche Aneignung ermöglicht, nicht übertragbar und zwar die kulturellen Fähigkeiten (inkorporiertes Kulturkapital), die den Genuss eines Gemäldes erst möglich machen (Bourdieu 1983: 189). Dieses objektivierte Kulturkapital kann als materiell und symbolisch aktives und handelndes Kapital nur fortbestehen, wenn es von Handelnden im Feld der kulturellen Produktion, wie der Kunst oder der Wissenschaft, oder im Feld der sozialen Klassen, angeeignet und verwendet wird (Bourdieu 1983: 189).
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