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Mehr InfosBachelorarbeit, 2012, 69 Seiten
Bachelorarbeit
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Ende 2010 befinden sich auf dem Territorium der Russischen Föderation 5,6% der nachgewiesenen Erdöl-[1] und 23,9% der Erdgasreserven der Welt[2]. Während der Sowjetzeit hat der Überfluss an Rohstoffen dazu beigetragen, eine kostengünstige Wirtschaftsstruktur in der Gesellschaft aufzubauen. Seit 1991 stellt der Export dieser Rohstoffe die wichtigste Einnahmequelle der russischen Regierung dar. In Folge der „Perestroika“ (Umbau und Modernisierung der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Struktur) ging das Fördervolumen von Erdöl und Erdgas stark zurück. Das war einer der Hauptgründe der Wirtschaftskriese in Russland 1998, die das Land an den Rand des Staatsbankrotts führte.[3] Nach der Kriese 1998 erholte sich die russische Wirtschaft unerwartet schnell. Der Grund des Wirtschaftsaufschwunges war der Anstieg der Ölpreise, die zu den hohen Einnahmen aus Ölexporten führten. Dank dem positiven Haushaltssaldo, konnte Russland den größten Teil der Auslandsschulden zurückzahlen.[4]
Russland ist ein an natürlichen Ressourcen sehr reiches Land. Es ist aber kein typischer Staat, in dem die erzielten Exporteinnahmen von Rohstoffen das gesellschaftliche und politische System bestimmen.[5]
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde eine Umstrukturierung und Privatisierung im Erdöl- und Erdgassektor durchgeführt. Zu Sowjetzeiten waren fast alle Betriebe der Erdöl- und Erdgasindustrie von den Ministerien für Geologie und Erdöl verwaltet worden.
Bereits 1989 wurden unter Gorbatschow Pläne entworfen, anstelle des Erdgasministeriums einen staatlichen Konzern Gazprom zu gründen. Dieser wurde im Juli 1989 nach das Ministerium für die Erdgasindustrie aufgelöst und der Staatskonzern Gazprom gegründet. Die Mehrheit der Angestellten des Erdgasministeriums wechselte zum neuen Staatskonzern. Als Nachfolger des Ministeriums für Erdgasindustrie bekam Gazprom nicht nur die Verantwortung für die Gasproduktion und -versorgung, sondern übernahm auch viele andere Betriebe wie Bauunternehmen, Maschinenbauunternehmen, landwirtschaftliche Betriebe und Konsumgüterproduzenten, die für die Versorgung der Konzernmitarbeiter und ihrer Familien sorgten.[6] Als Ergebnis verfügte Gazprom über ein Monopol in Russland, dem die Rechte für die Erdgasproduktion, -transport oder -export allein eingeräumt wurden. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde das Unternehmen teilprivatisiert und eine Restrukturierung des Konzerns wurde durchgeführt.[7] Die Tochterbetriebe zur Versorgung der Gazprom-Mitarbeiter im Bereich Landwirtschaft, Bauindustrie und kommunale Infrastruktur wurden an eigenständige Firmen oder die lokalen Behörden übergeben.
Heute ist Gazprom mit einem Anteil von 25% der Weltgasförderung der größte Gaskonzern der Welt und 85% der gesamten Erdgasförderung Russlands entfallen auf Gazprom.[8] Der russische Staat hat 2009 einen Anteil von 50,002% am Grundkapital von Gazprom, 49,998% sind unter russischen Gesellschaften, Einzelpersonen und Ausländern verteilt.[9] Den Einfluss auf die Gaswirtschaft im Land kann praktisch nur der Staat ausüben. Die Regierung reguliert die Preise im Inland, abhängig von Zonen und Verbrauchertypen (Industrie, kommunale Wirtschaft), so dass zwei Drittel des Inlandsabsatzes kaum rentabel ist.[10] Das Investitionsprogramm von Gazsprom kann auch nur vom Staat beschlossen werden. Gazprom übernimmt einerseits die Rolle des ehemaligen Ministeriums für Gasindustrie, indem er die heimische Volkswirtschaft versorgt, andererseits fungiert sie zunehmend als international agierender Konzern.[11]
Die Erdölwirtschaft wurde hingegen nach dem Ende der Sowjetunion weitgehend privatisiert. Anfang 1990 wurden die Erdölbetriebe in der staatlichen Finanzholding Rosneft zusammengefasst, die ab 1992 mehrere Aktiengesellschaften bildeten. Nach 1995 wurde unter dem Einfluss neu gegründeter privater Banken Tauschverfahren „Kredite gegen Aktien“ durchgeführt. Die Mehrheit der Aktien von drei großen Ölkonzernen (Jukos, Sidanko und Sibneft) ging an private Investoren, die sogenannten „Oligarchen“.[12] In den folgenden Jahren wurde der Großteil der Ölbetriebe von privaten russischen Ölkonzernen übernommen.
2002 war der Privatisierungsprozess abgeschlossen. Nur noch drei Unternehmen sind im Staatsbesitz geblieben. Rosneft gehörte mit 14% der gesamten russischen Erdölförderung dem Staat und Tatneft und Baschneft gehörten mit einem gemeinsamen Anteil von 9% der Regionalverwaltung Tatarstan und Baschkortostan. Die anderen Ölunternehmen waren in privaten Händen. Mit der Jukos-Affäre (Chodorkowskij) übernahm Rosneft Jukos-Hauptbetrieb Juganskneftegas und erhöhte dadurch den Anteil an der Gesamtproduktion auf 22% (Abbildung 2.8). Gleichzeitig stieg Gazprom in die Erdölwirtschaft ein durch die Übernahme von Sibneft, welches anschließend in Gazprom Neft umbenannt wurde. Somit wurde der Staatsanteil an der Erdölproduktion 2005 auf 34% erhöht (Abbildung 2.7).[13]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.7. Der Anteil von Staatsunternehmen an der russischen Erdölproduktion (in Prozent der gesamten Ölproduktion) [14]
In dieser Zeit wurden ausländische Investoren zurückgedrängt und die Förderlizenzen wurden nur an staatliche Ölfirmen vergeben. Dadurch wurde der staatliche Anteil an der Erdölproduktion bis 2008 auf 39 % erhöht. 2009 wurde Baschneft an die private Moskauer Investmentfirma AFK Sistema verkauft. Zum ersten Mal seit 2004 war der Staatsanteil an der Erdölproduktion rückläufig.[15]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2.8. Anteile der Erdölunternehmen an der russischen Raffineriekapazitäten, 2010 [16]
Als holländische Krankheit wird der Prozess der De-Industrialisierung innerhalb entwickelter Volkswirtschaften genannt. In der Regel ist dies der Fall in einem Land mit großen Vorkommen an natürlichen Rohstoffen. Durch die hohen Erlöse aus Rohstoffexporten und der erhöhten Nachfrage nach inländischer Währung steigt der Wechselkurs der eigenen Währung. Die Wettbewerbsfähigkeit in Wirtschaftssektoren, die ihre Güter exportieren, verschlechtert sich und auf Grund der hohen Bewertung der eigenen Währung überschwemmen billige Importe den Markt. Sie konkurrieren mit inländischen Produkten und verdrängen diese aus dem Markt. Viele traditionelle Sektoren wie die Landwirtschaft kommen zum Erliegen und immer mehr Arbeitsplätze werden in solchen Sektoren gestrichen.[17] Diese Situation führt in den meisten Fällen zu einem Ungleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt.[18]
Der Rohstoffsektor ist in der Regel investitionsintensiv und nicht arbeitsintensiv. Deswegen ist die erwirtschaftete Produktivität pro eingesetzte Arbeitskraft höher als in der übrigen Volkswirtschaft. Den Investoren kommt der größte Teil der Gewinne zu. Im Kaspischen Raum z.B. werden die Verträge so ausgefertigt, dass ca. 80% der Gewinne an die Kapitalgeber gehen.[19] In solchen Sektoren gibt es aber die Möglichkeit viel höhere Löhne zu zahlen als in den anderen Sektoren. Die besten Arbeitskräfte werden in den Rohstoffsektor herübergelockt und sind damit beschäftigt, Erträge aus dem Rohstoffsektor herauszuholen und nicht die Ideen in die Sektoren einzusetzen, in denen es mehr Potential für Innovationen gibt.[20] Im Rohstoffsektor werden wenige Arbeitsplätze gefordert und in den anderen Sektoren der Volkswirtschaft werden immer weniger Arbeitsplätze bereitgestellt, was dann zu einer Reduktion der allgemeinen Beschäftigung in dem Land führt.[21]
Die holländische Krankheit (The Dutch Disease) war der Titel eines in The Economist im November 1977 erscheinen Artikels über die Entdeckung von Erdgas in der Nordsee und über ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft der Niederlande.[22]
Das klassische Modell der Holländischen Krankheit wurde von Corden und Neavy in einem im Jahre 1982 erschienenen Aufsatz Booming Sector and De-Industrialisation in a small open economy beschrieben. Dieses Modell zeigt, wie der Boom in einem Sektor (Rohstoffsektor), verursacht durch Produktivitätssteigerungen, Preiserhöhung der betreffenden Güter oder durch die Entdeckung neuer Ressourcenvorkommen ausgelöst wird. Dieser Prozess wird als De-Industrialisierung genannt.
Der wachsende Rohstoffsektor zieht die Arbeitskraft aus den anderen Sektoren an. Dieser Effekt wird als Ressourcenverschiebungseffekt genannt. Wenn der Rohstoffsektor relativ wenige Arbeitskräfte braucht, hat dieser Effekt eine relativ kleine Auswirkung auf die Volkswirtschaft. Der Boom kann auch durch den Ausgabeneffekt z.B. wie in Großbritannien ausgelöst werden. Hohes Realeinkommen kann die Folge des Booms sein. Der Boom führt zu den extra Ausgaben in dem Dienstleistungssektor, weil die Nachfrage höher wird, was zum Anstieg der Preise in diesem Sektor führt. Das Resultat der beiden Effekte ist ein Wachstum des boomenden Rohstoffsektors sowie des Dienstleistungssektors und ein Schrumpfen des industriellen Sektors.[23]
Angenommen sei der „Klein-Länder-Fall“, d.h. das Land hat keinen Einfluss auf die Preise der Exportgüter, die Preise sind exogen.[24] Es werden zwei Arten von Gütern produziert und nachgefragt, und zwar international handelbare Güter und international nicht-handelbare Güter. Die handelbaren Güter lassen sich in Rohstoffe (XR) und Fertigwaren (XF) einteilen. Zu den international nicht-handelbaren Gütern gehören Dienstleistungen (XD).[25] Somit wird die Volkswirtschaft in drei Sektoren aufgeteilt, nämlich den Rohstoffsektor, den industriellen Sektor und den Dienstleistungssektor. Die Preise für international nicht-handelbare Güter werden durch Angebot und Nachfrage auf dem Inlandsmarkt bestimmt. Arbeit und Kapital sind die Produktionsfaktoren, wobei Arbeit intersektoral völlig mobil und Kapital immobil ist.[26]
In der Modellanalyse wird die Auswirkung des Booms auf die zwei oben erwähnten Effekte erklärt, nämlich über den Ressourcenverschiebungseffekt („resource movement effect“) und den Ausgabeneffekt („spending effekt“).
Der Ausgabeneffekt.
Der Ausgabeneffekt wird in einem Diagramm (Abbildung 3.1) dargestellt. Auf der Abszisse wird die Menge der international nicht-handelbaren Güter eingetragen und auf der Ordinate die international handelbaren Güter. Um die Erklärung zu vereinfachen, wird angenommen, dass es sich bei international handelbaren Gütern ausschließlich um Industriegüter handelt. Die Produktionsmöglichkeitskurve HD gibt an, wie viel von beiden Arten von Gütern zusammen bei voller Auslastung aller Produktionsfaktoren in einer Volkswirtschaft maximal produziert werden können.
Im Gleichgewichtspunkt A fallen die optimale Konsum- und Produktionsmengen zusammen, wo die gesellschaftliche Indifferenzkurve I HD tangiert und Konsum-Einkommenskurve ON die Produktionsmöglichkeitskurve schneidet. Die Steigung der Tangente S ist gleich dem Preisverhältnis von Binnen- und Außenhandelsgütern (PB/PA). Der Kehrwert vom Preisverhältnis entspricht dem realen Wechselkurs (terms of trade).[27]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.1. Der Ausgabeneffekt
Während des Rohstoffbooms ändert sich die maximale Produktionsmöglichkeit von Dienstleistungen/nicht-handelbaren Gütern OD nicht. Die maximale Produktionsmöglichkeit von handelbaren Gütern wächst von OH auf OH´. Somit ergibt sich die neue Produktionsmöglichkeitskurve H´D. Bei konstant bleibendem realen Wechselkurs S´ (mit der gleichen Steigung wie S) ergäbe sich das neue Gleichgewicht der Produktion im Punkt B. Es wird angenommen, dass der Boom durch die Förderung des Brennstoffs ausgelöst wird und im Rohstoffsektor der Produktionsfaktor Arbeit nicht beansprucht wird. D.h. die Produktion von nicht-handelbaren Gütern bleibt konstant und das Gleichgewicht soll in Punkt J vertikal über dem Punkt A liegen. J ist jedoch in Hinblick auf die Nachfrage nicht in Gleichgewicht. Nachfrage beim unveränderten realen Wechselkurs verläuft entlang der Konsum-Einkommenskurve ON, die H´D im Punkt C schneidet. Damit ist das Angebot an Dienstleistungen (Punkt J) geringer als die Nachfrage (Punkt C). Diese Situation führt zu den Preissteigerungen im Dienstleistungsbereich (PB ↑). S´´ wird gegenüber S´ steiler und das neue Gleichgewicht von Produktion und Konsum stellt sich schließlich im Punkt G ein, so dass die Produktion von nicht-handelbaren Gütern im Vergleich zur Ausgangssituation steigt (von D auf D´´).[28] Die Volkswirtschaft steht nach dem Boom eindeutig besser da als im Ausgangszustand, weil sie sich auf der höheren Indifferenzkurve befindet (I>I ´).
Der Ressourcenverschiebungseffekt.
Der Ressourcenverschiebungseffekt wird durch die Abbildung 3.2 dargestellt. Auf den vertikalen Achsen wird der Nominallohn W und auf der horizontalen Achte OHOD das Arbeitsangebot abgelesen. Die Kurve LD bezeichnet die Arbeitsnachfrage im Dienstleistungssektor (mit Ursprung OD), die Kurve LH die Arbeitsnachfrage im Außenhandelsgüter-Sektor. Bei der Arbeitsnachfrage im Außenhandelsgüter-Sektor geht es um eine aggregierte Nachfrage des industriellen Sektors LF und des Rohstoffsektors LR, d.h. LH=LF+LR.[29] Das Ausgangsgleichgewicht bei der Vollbeschäftigung sei durch den Schnittpunkt der Kurven LD und LH im Punkt A charakterisiert, wo der gleichgewichtige Lohnsatz w0 ist.
Bei einem Boom im Rohstoffsektor wird mehr Arbeit nachgefragt, was zu Verschiebung LH nach LH ´ führt. Daraus ergibt sich das neue Gleichgewicht im Punkt B und der Lohnsatz steigt auf w1. Als Konsequenz sinkt die Beschäftigung und damit auch die Produktion im Dienstleistungssektor von D nach D´ und im industriellen Sektor von F nach F´. Die Verringerung des industriellen Sektors auf Grund des Ressourcenverschiebungseffektes wird als direkte De-Industrialisierung bezeichnet.[30]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3.2. Der Ressourcenverschiebungseffekt
Vor der ersten Ölkrise (1973/74) zählte die Niederlande zu den erfolgreichen OECD-Staaten mit hohen Wachstumsraten und niedriger Arbeitslosigkeit. Von 1958 bis 1972 betrugen die Arbeitslosigkeitsraten nicht mehr als 2%. Man hat in dieser Zeit von erfolgreicher Vollbeschäftigungspolitik gesprochen.[31] Jede Regierung der Niederlande hatte den Abbau der Arbeitslosigkeit als eines der wichtigsten Ziele. Der Staat griff im Falle konjunktureller Arbeitslosigkeit und eines Nachfrageausfalls antizyklisch ein.[32] Ab Mitte der 50er Jahre, als das Erdgas in den Niederlanden entdeckt worden war, orientierte sich das Land auf eine Strategie der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, um auch die Arbeitslosigkeit langfristig gering halten zu können.[33] Es wurde auch erwartet, dass die Nuklearenergie langfristig die Rohstoffenergiequellen verdrängen würde.[34] Die Preise für Erdgas im Land waren deutlich niedriger gehalten als im internationalen Vergleich, damit die Unternehmen den Anreiz hatten, die Produktion auf Erdgas als Input umzurüsten. Das hat zu einer höheren Produktion in energieintensiven Branchen wie Chemie-, Papier-, und Metallindustrie geführt, was zu einer höheren Wachstumsrate der Niederlande viel beigetragen hat. Die Vollbeschäftigung, hohe Wachstumsraten und der Anstieg der Arbeitsproduktivität führten zu erheblichen Lohnsteigerungen.
Mit dem Ölpreisanstieg 1973/74 ist die Abhängigkeit der rohstoffarmen Länder von Rohstoffenergiequellen deutlich geworden. Außerdem war die Nuklearenergie zumindest mittelfristig nicht mehr als direkt substituierbar angesehen. Aus diesem Grund sind die Niederlande zu einer konservierenden Ausbeutungsstrategie übergangen. Der Erdgaspreis im Land wurde an die Weltmarktpreise angepasst, was sich auf die Produktion im Land nachteilig ausgewirkt hat.[35] Durch die Anpassung der Erdgaspreise an die internationalen Ölpreise und durch die steigenden Exporterlöse sind die staatlichen Erdgaseinnahmen stark gestiegen. Während der Anteil der Einnahmen am Erdgas an die gesamten Staatseinnahmen im Jahr 1972 lediglich 3 Prozent betrug, machte er im Jahr 1978 bereits 8 Prozent und 1982 schon 13 Prozent aus.[36] Der größte Teil der Einnahmen wurde zu Konsumzwecken verwendet. Der Ausgabeneffekt führte zur realen Auswertung des Wechselkurses und die Gewinne im Industriesektor sind zurückgegangen. Im Vergleich zu anderen Industrieländern war das Wachstum des Industriesektors im Vergleich zum Wachstum des BIP im Land relativ niedrig.[37] Die Arbeitslosigkeitsraten sind im industriellen Sektor, der einer starken ausländischen Preiskonkurrenz ausgesetzt war, stark gestiegen. Die Preise für Industriegüter konnten nicht an die Lohnerhöhungen angepasst werden.[38] Es lag das typische Dutch Disease - Resultat vor: Ausweitung des Dienstleistungssektors auf Kosten des industriellen Sektors.
Vor dem ersten Ölpreisboom war die wirtschaftliche Lage Norwegens durch niedrige Arbeitslosigkeitsraten und stabiles Wirtschaftswachstum gekennzeichnet. Von 1968 bis 1973 machte das reale Wirtschaftswachstum durchschnittlich 4,1% aus, was ein wenig unter dem Durchschnitt der europäischen OECD-Länder lag (Tabelle 3.1).[39]
In den späten 60ern waren vor der norwegischen Küste umfangreiche Erdölvorkommen entdeckt und 1971 wurde mit der Förderung des Erdöls begonnen. Mit den steigenden Ölpreisen in den Jahren 1973/74 wurden die Fördermengen und damit auch die Öleinnahmen erhöht. Obwohl im Jahre1974 die Öleinnahmen weniger als 2% und 1977 weniger als 5% des Bruttonationalproduktes betrugen, war für die Regierung klar, dass in naher Zukunft die Einnahmen aus dem Ölsektor einen bedeutenden Teil des Bruttoinlandsproduktes ausmachen werden. Diese Kenntnis führte zu den Veränderungen des Ausgabeverhaltens des Staates.[40] Ab 1975 verfolgte die norwegische Regierung eine expansive Anti-Rezessionspolitik. Die Staatsausgaben waren immer höher als den Öleinnahmen. Der Staat musste sich im Ausland verschulden, was den durch die Öleinnahmen ausgelösten Ausgabeeffekt verstärkte.[41]
Tabelle 3.1. Wachstumsraten des Bruttosozialproduktes real, in Prozent [42]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch den weiteren starken Anstieg von Öleinnahmen in den 80er Jahren konnte die externe Verschuldung ohne die restriktiven Konjunkturmaßnahmen auf das Vor-Boom-Niveau reduziert werden.
Die Ölpreiskriese sorgte in Norwegen für eine völlig andere Entwicklung als in den anderen OECD-Ländern. Während das gesamtwirtschaftliche Wachstum sich in den anderen Ländern deutlich verlangsamt hat, beschleunigte es sich in Norwegen, allein dank des Ölsektors. Trotz der nominalen Abwertung der norwegischen Krone führten in den Jahren 1975-1985 die steigenden Inflationsraten zu einer realen Aufwertung der Währung, was die Konkurrenzfähigkeit der international handelbaren Güter schmälerte. Die starken Lohnerhöhungen in dem Dienstleistungssektor sorgten für sinkende Renditen im industriellen Sektor. So ließen sich in Norwegen im Zeitraum von 1975-1985 charakteristische Dutch Disease - Probleme beobachten. Während sich in dieser Periode die industrielle Produktion der OECD-Staaten durchschnittlich um 25% erhöhte, war der industrielle Sektor in Norwegen durch eine niedrige Produktivität und einen Beschäftigungsrückgang um 13 % gekennzeichnet.[43]
Die Entwicklungsländer weisen in der Regel einen niedrigen Energieverbrauch im Vergleich zu den europäischen OECD-Ländern auf. Der größte Anteil der Erdölproduktion der Welt entfällt aber auf die Entwicklungsländer, was für sie das Erzielen von sehr hohen Erdöleinnahmen aus dem Export möglich macht.[44] In dieser Situation leiden die im internationalen Wettbewerb stehende Sektoren der Länder. Landwirtschaft oder verarbeitende Industrie sind meistens die einzigen Sektoren in den Entwicklungsländern, deren Güter international gehandelt werden. Die Effekte der Holländischen Krankheit in den ölreichen Entwicklungsländern können deswegen noch stärkeren Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung haben als in den Ländern mit einer stark diversifizierten industriellen Produktion.
Man kann aber die erdölexportierenden Entwicklungsländer nicht als eine homogene Gruppe betrachten. Die Länder unterscheiden sich stark voneinander hinsichtlich der Anzahl der Bevölkerung, BIP pro Kopf, der Stärke ihrer Erdölabhängigkeit, ihrer technologischen Entwicklung, Vorhandensein anderer Rohstoffe, OPEC-Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit und letztendlich Kultur und Religion. Die Entwicklungsländer werden unterschieden nach Ländern mit und ohne die Fähigkeit, Erdöleinnahmen in Sach- und Humankapital effizient zu investieren.
Zu den Ländern, die nicht fähig sind die Erdöleinnahmen effizient zu investieren, gehören arabische Länder wie Katar, Kuwait, Libyen, Saudi Arabien und Vereinigten Arabischen Emirate. Für diese Länder sind eine kleine Bevölkerungsanzahl, ein hohes BIP pro Kopf, große Erdölreserven, sehr kleine Märkte, ein unbedeutender Landwirtschaftssektor und keine komplementären Rohstoffe charakteristisch. Auf Grund des geringen Industrialisierungsgrades waren diese Länder schon vor 1973 stark von den Ölexporten abhängig und wiesen deutliche Leistungsbilanzüberschüsse auf. Für sie ist der Grad der Industriealisierung nicht von gleicher Bedeutung wie für die Länder mit geringeren Ölreserven oder größerer Bevölkerungszahl. Solche Länder betrachten in der Regel die Industrialisierung nicht als Sicherstellung des Wohlstandes. Bei einer vollkommenen Eliminierung des Industriesektors stellt die reale Aufwertung der inländischen Währung kein großes wirtschaftliches Problem dar. Eine Wechselkursaufwertung trägt hingegen zu einer Verbilligung der importierten Produkte bei.
In Kuwait wurden z.B. die Öleinnahmen während beider Ölpreisbooms im Ausland angelegt, was als Alternative zur Industrialisierung diente.[45] Im Jahr 1982/83 waren die Zinseinnahmen aus Auslandsinvestitionen sogar höher als die Einnahmen aus Ölexporten.[46]
In Saudi Arabien stand die Industrialisierungspolitik auch niemals im Mittelpunkt der Entwicklungsstrategie. Man konnte aber im Agrarsektor die typischen Dutch Disease -Resultate beobachten. Der Landwirtschaftsanteil und der Anteil der verarbeitenden Industrie am BIP, der sich schon während des ersten Ölpreisbooms geschrumpft war, verringerten sich. Und deutlich sind die Preise im Binnenhandelsgütersektor gestiegen.[47]
Die Wettbewerbsfähigkeit des Industriesektors war für Russland schon immer von großer Bedeutung. Für die Analyse ist es wichtig die Nichtrohstoffindustrien von den Sektoren zu trennen, die mit der Rohstoffverarbeitung oder Förderung zu tun haben. Die einzelnen Sektoren können dann miteinander auf Basis von Produktivitätsniveau oder Arbeitsproduktivität sowie ihrer Veränderung in der Zeit verglichen werden.
Das Produktivitätsniveau der verschiedenen Sektoren der russischen Wirtschaft unterscheidet sich stark voneinander. Dieser Unterschied ist teilweise durch die sowjetische Vergangenheit bedingt, wo manche Sektoren viel produktiver waren als in den entwickelten Marktwirtschaften.[48]
Die Unterschiede kann man erkennen, wenn man z. B. das Output pro Arbeitskraft in den 30 wichtigsten Sektoren der russischen Industrie betrachtet (Abbildung 4.1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4.1. Produktivitätsniveau und -veränderung in den 30 Russlands wichtigsten
Industriesektoren [49]
Die Sektoren mit der höchsten Produktivität sind diejenigen, die zum Export besonders viel beitragen (z.B.: Erdöl-, Erdgas und Metalle), oder die Sektoren, in die in den letzten Jahre besonders viel internationale Investitionen geflossen sind (z.B.: Tabak und Brauerei). Die in Abbildung 4.1 unten stehenden Sektoren zählen zu den besonders problematischen und wenig profitablen Sektoren der russischen Industrie.
Obwohl die Situation in vielen Industriesektoren problematisch bleibt, kann eine Verbesserung der Produktivität erwähnt werden. Seit 1997 hat sich die Arbeitsproduktivität erhöht und die Jahresdurchschnittsrate beträgt 8 Prozent.[50] In fast allen industriellen Sektoren konnte man eine breite Veränderung und auch Verbesserung beobachten. Es gibt aber auch eine große Zahl an Sektoren mit niedriger Ausgangsproduktivität, in denen Verbesserungen unbedeutend klein waren. Die Automobilindustrie zählt zu einem solchen Sektor. Am stärksten hat sich die Produktivität in den wenig produktiven Sektoren seit 1997 wie Kohle-, Textil-, Lederindustrie, Töpferei und Elektronik erhöht (Abbildung 4.1).[51]
Weiterhin werden alle Sektoren in drei Gruppen zusammengefasst: Rohstoffsektor (fuel), zu dem Ölförderung und -verarbeitung, Erdgas und Kohle gehören; Industrieller Sektor (manufacturing) und Dienstleistungssektor (services).
Die erste Sektorengruppe wurde im Kapitel „Rohstoffsektor in Russland“ ausführlich beschrieben. Es wurde festgestellt, dass es sich hier um eine Rohstoffökonomie handelt, bei der der Rohstoffsektor in der russischen Wirtschaft den größten Beitrag leistet. Wichtig für die Untersuchung ist, zu wissen, welche Stelle die beiden anderen Sektoren in der russischen Wirtschaft einnehmen, um sie mit dem Rohstoffsektor vergleichen zu können. Um die wichtigsten Symptome der holländischen Krankheit festzustellen, nämlich eine Verlangsamung des industriellen Wachstums, genannt De-Industrialisierung[52], und die Erhöhung des Wachstums im Dienstleistungssektor untersuchen zu können, werden die Wachstumsraten der Produktion, Beschäftigung, Reallöhne, und Arbeitskosten in den einzelnen Sektor dargestellt (Abbildung 4.2).
Zum industriellen Sektor (manufacturing) werden alle Industriesektoren wie Elektrizität, Eisenmetalle, Nicht-Eisenmetalle, Chemie, Petrochemie, Maschinenbau, Forstwirtschaft, holzbearbeitende Industrie, Leichtindustrie, und Lebensmittelindustrie gezählt.[53] In den letzten Jahren, und besonders nach dem Ölpreisboom, steht in Russland die Debatte über negative Auswirkungen der Rohstoffabhängigkeit auf die Entwicklung des handelbaren industriellen Sektors im Mittelpunkt.[54]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4.2. Indikatoren der Wirtschaftssektoren, 1997-2004 in Prozent [55]
Das linke obere Diagramm der Abbildung 4.2 zeigt, dass die Wachstumsraten der Produktion in der Periode von 1997 bis 2004 im Industriesektor außer in 1998 (Folge der Inflation des Rubels) positiv waren, obwohl das Beschäftigungswachstum in der Zeit zwischen 2000 und 2004 immer negativ war. Begründung für das positive Wachstum der Produktivität kann die Produktivitätserhöhung und bessere Auslastung von Produktionskapazitäten sein.[56] Eine ähnliche Situation konnte man in dem Rohstoffsektor zwischen 2001 und 2003 beobachten. Wachstumsraten im Industriesektor waren aber deutlich niedriger als in den beiden anderen Sektoren.
Das untere linke Diagramm der Abbildung 4.2 zeigt, dass das Einkommen in dem Industriesektor seit dem Jahr 2000 immer angestiegen ist; und ab 2002 sogar stärker als im Rohstoffsektor. Den Einkommensanstieg im Rohstoffsektor könnten die angestiegenen Ölpreise im Jahr 2000 verursacht haben.[57] Das Einkommen ist aber auch in beiden anderen Sektoren angestiegen und in den Jahren 2002 und 2003 ist es sogar noch schneller als im Rohstoffsektor gewachsen. Insgesamt ist das reale Einkommen von 2002 bis 2004 mit einem geringeren Unterschieden zwischen den Sektoren gewachsen.
Um sich ein genaues Bild über die Situation machen zu können, wird der industrielle Sektor in die Subsektore aufgeteilt und mit dem Rohstoffsektor verglichen. Wenn man 1997-2000 (relativ niedrige Ölpreise) mit 2001-2004 (relativ hohe Preise) vergleicht, erkennt man, dass nur der Rohstoffsektor, Elektrizitätssektor und die Lebensmittelindustrie mit einem Unterschied zu 1997-2004 gewachsen sind. Alle anderen industriellen Sektoren hatten von 2000 bis 2004 relativ kleine Veränderungen in den Wachstumsraten.[58]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4.3. Wachstumsraten in den industriellen Sektoren. (Durchschnittliche jährliche Veränderung in Prozent mit konstanten Preisen) [59]
Anders als Ressourcenökonomien in Europa und Afrika waren in der russischen Volkswirtschaft nach dem Zerfall der Sowjetunion bedeutende strukturelle Veränderungen in den letzten 20 Jahren durchgeführt worden. Viele Unternehmen, die während der Sowjetzeit staatlich unterstützt worden waren, sind nicht mehr konkurrenzfähig oder sind überhaupt zum Erliegen gekommen, weil sie zu dem kapitalistischen Wettbewerb nicht vorbereitet waren.[60]
Wenn man von den Wachstumsraten der Produktion ausgeht, findet man zwar Hinweise auf ein negatives Wachstum der Beschäftigung im Industriesektor, aber keinen eindeutigen Beweis für die absolute De-Industrialisierung [61]. Das Fehlen der absoluten De-Industrialisierung bedeutet aber noch nicht, dass die Situation mit der holländischen Krankheit nichts zu tun hat. Auch wenn das Wachstum im industriellen Sektor langsamer ist, als in den anderen Sektoren, würde das Modell der holländischen Krankheit eine relative De-Industrialisierung implizieren. Die Veränderung der anderen Variablen wie z. B. technologische Verbesserungen oder der Rückgang der ausländischen Nachfrage nach russischen Produkten (handelbaren Güter) sind auch für die Bestimmung der Symptome der holländischen Krankheit maßgebend.[62]
[...]
[1] Vgl. BP (2006: 6).
[2] Vgl. ebd.: 22.
[3] Vgl. Gaddy, Ickes (2005: 562).
[4] Vgl. Götz (2006 a: 5).
[5] Vgl. ebd.: 5.
[6] Vgl. Pleines, H. (2002: 29).
[7] Vgl. Pleines, H. (2011: 28).
[8] Vgl. Götz (2004: 13).
[9] Vgl. Gazprom.com (2012).
[10] Vgl. Götz (2006 a: 4).
[11] Vgl. ebd.: 4.
[12] Vgl. Götz (2004: 9).
[13] Vgl. Pleines, H. (2011: 29).
[14] Götz. R. (2008: 9).
[15] Vgl. Pleines, H. (2011: 29).
[16] ebd.: 27.
[17] Vgl. Müller (2004: 4).
[18] Vgl. Müngersdorff (2006: 34).
[19] Vgl. Müller (2004: 4).
[20] Vgl. OECD (2004: 7).
[21] Vgl.Müngersdorff (2006: 34).
[22] Vgl. Ross, M. (1999:306).
[23] Vgl. Corden / Neary (1982: 827).
[24] Vgl. Sell (1988: 3).
[25] Vgl. Corden / Neary (1982: 826).
[26] Vgl. ebd.: 827.
[27] Vgl. Sell (1988: 4).
[28] Vgl. Corden / Neary (1982: 830).
[29] Vgl. Sell (1988: 8).
[30] Vgl. Corden / Neary (1982: 830).
[31] Vgl. Braun (1989: 63).
[32] Vgl. ebd.: 62.
[33] Vgl. ebd.: 62.
[34] Vgl. Moll (1994: 85).
[35] Vgl. Moll (1994: 86).
[36] Vgl. Braun (1989: 48).
[37] Vgl. Moll (1994: 86).
[38] Vgl. Braun (1989: 51).
[39] Vgl. Enders (1984: 251).
[40] Vgl. Enders (1984: 233).
[41] Vgl. Moll (1994: 88).
[42] Vgl. Enders, K. (1984:251)
[43] Vgl. Moll (1994: 90).
[44] Vgl. Moll (1994: 94).
[45] Vgl. Moll, R. (1994: 99).
[46] Vgl. Dicke, H.; Glismann H. (1986: 47).
[47] Vgl. Moll, R. (1994: 101).
[48] Vgl. Ahrend, R. (2004 b: 4).
[49] ebd.: 5.
[50] Vgl. Ahrend, R. (2004 b: 6).
[51] Vgl. ebd.: 5.
[52] Vgl. Corden / Neary (1982: 830).
[53] Vgl. Ahrend, R. (2004 b: 5).
[54] Vgl. Ahrend, R.; de Rosa, D.; Tompson, W. (2007: 4).
[55] Oomes, N; Kalcheva, K (2007: 18).
[56] Vgl. ebd.: 17.
[57] Vgl. Oomes, N; Kalcheva, K (2007: 21).
[58] Vgl. ebd.: 18.
[59] ebd.: 18.
[60] Vgl. Oomes, N; Kalcheva, K (2007: 19).
[61] Vgl. ebd.: 17.
[62] Vgl. ebd.: 17.
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