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Mehr InfosMasterarbeit, 2014, 81 Seiten
Masterarbeit
Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau
1,3
Im folgenden Abschnitt sollen aktuelle Rahmenbedingungen und ausgewählte theoretische Grundlagen zur Berufswahl näher dargestellt werden.
Die deutsche Volkswirtschaft ist stark kleinbetrieblich und mittelständisch strukturiert. Deshalb hat die Deckung der Nachfrage nach Fachkräften, insbesondere in klein- und mittelständischen Unternehmen, eine besondere Bedeutung für den Arbeitsmarkt. (vgl. IAB 2013: S.1) In der derzeitigen öffentlichen Diskussion, insbesondere zum Ausbildungsmarkt, dominieren die Themen demografischer Wandel und Fachkräftebedarf. Um die aktuelle Berufswahlsituation jugendlicher Berufswähler beurteilen zu können, ist es zunächst notwendig, die Begriffe Demografie, demografischer Wandel und Fachkräftemangel genauer zu definieren.
Der Begriff Demografie hat seine etymologischen Wurzeln in den griechischen Worten „démos“ für „Volk“ und „graphé“ für „Beschreibung“.
Demografie beschreibt eine Wissenschaft, die die Entwicklung der Bevölkerung und deren Strukturen untersucht. Dabei nutzt sie statistische Methoden und theoretische Grundlagen.
Entsprechend der theoretischen Ansätze und der Forschungsgegenstände lässt sich die Wissenschaft der Demografie grundsätzlich in vier Fachgebiete unterteilen, die sich mit der Theorie der Fertilität, der Theorie der Migration, der Theorie der Mortalität und der Theorie zur Struktur des Bevölkerungsbestandes beschäftigen.
Die Entwicklung der Bevölkerung und damit auch Veränderungen in der Bevölkerung sind zum Teil sich langsam vollziehende Prozesse. Dazu zählt auch die Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten. Diese Veränderungen deuten auf einen demografischen Wandel hin, der sich auch erheblich auf den Arbeits- und Ausbildungsmarkt auswirken wird. (vgl. Krämer-Stürzl 2008: S.12) So werden die Geburtenzahlen weiter sinken und die Zahl der Sterbefälle zunehmen. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter wird langfristig altern und schrumpfen. Im Jahr 2050 wird voraussichtlich nur 50% der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter sein. Im Jahr 2005 waren es noch 61%. (vgl. ebd.:14)
Der demografische Wandel führt also unter anderem dazu, dass auch der Arbeitskräfteanteil an der Gesamtbevölkerung schrumpft und sich die Altersgruppenanteile bei den Erwerbstätigen verschieben wird. (vgl. ebd.: 15)
Mit der Verknappung des Arbeitskräfteanteils geht auch die Verknappung des Fachkräftenachwuchses einher. Die Marktverhältnisse auf dem Ausbildungsmarkt verändern sich rasant. Diese Entwicklung wirkt sich besonders auf kleine und mittelständische Unternehmen aus, die zum Teil nicht über die nötigen finanziellen und fachlichen Ressourcen im Personalbereich verfügen.
Im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel hat sich auch der Begriff des Fachkräftemangels etabliert.
Eine einheitliche Definition des Begriffes gibt es bisher nicht. So wird Fachkräftemangel z.B. als „relative Angebotsverknappung auf einem Teilmarkt für bestimmte Qualifikationen„ verstanden (vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2008: S.354). Das Bundesinstitut für Berufliche Bildung (BiBB) spricht von einem Fachkräftemangel, wenn unter Berücksichtigung der beruflichen Flexibilität der Bedarf an ausgebildeten Fachkräften erkennbar und dauerhaft über dem Angebot an ausgebildeten Fachkräften liege. (vgl. BiBB 2013) Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) definiert Fachkräftemangel als „dauerhafter Überschuss der Arbeitsnachfrage über das Arbeitsangebot“. (vgl. IAB 2013: 6)
Der überwiegende Teil der Definitionen betont die Dauerhaftigkeit eines Missverhältnisses. Unter Marktbedingungen dürfte der Begriff „dauerhaft“ aber kaum eine Rolle spielen. Deshalb grenzt Kettner zusätzlich den Fachkräfteengpass vom Fachkräftemangel ab. Ein Fachkräfteengpass liege vor, „wenn eine vorübergehende Diskrepanz zwischen Fachkräfteangebot und -nachfrage besteht, die Besetzung von offenen Stellen und der produktive Einsatz der Beschäftigten aber dennoch erfolgreich gelingen können, wenn Unternehmen und Arbeitssuchende bzw. Beschäftigte ausreichend hohe Kompromiss- und Investitionsbereitschaft zeigen“. (vgl. Kettner 2012: S.16)
Vom Fachkräftemangel sei auch der Arbeitskräftemangel abzugrenzen, der die notwendige berufliche Qualifikation nicht berücksichtigt und auch nicht formal Qualifizierte mit einbezieht. (vgl. BiBB 2013)
Nach Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit (BA) würden sich derzeit zwar die Anzeichen verdichten, dass durch den demografischen Wandel bereits das Arbeitsangebot, insbesondere bei den jüngeren Gruppen im Arbeitsmarkt, sinkt. So werde sich das Arbeitskräftepotential bis 2025 um rund 6,5 Millionen Personen verringern. (vgl. BA 2011: S. 7) Dies müsse aber nicht zwingend zu einem Fachkräftemangel führen. (vgl. IAB 2013: S.7) So könne trotz der Engpässe in einzelnen Berufsgruppen und Regionen heute noch nicht von einem generellen Fachkräftemangel in Deutschland gesprochen werden. (vgl. BA 2011: S.6) Ein Fachkräfteangebot ließe sich unter anderem durch eine Erhöhung der Wertschöpfung durch die Arbeitskräfte, z.B. durch Ausbildung, nachhaltig steigern. (vgl. ebd.: S.10)
Im folgenden Abschnitt soll zunächst ein kurzer Überblick über den regionalen Ausbildungsmarkt gegeben werden. Als Datenbasis und Beurteilungsgrundlage wird dazu die Statistik der Bundesagentur für Arbeit für den Landkreis Weimarer Land und die Stadt Weimar für das Berichtsjahr 2012/2013 herangezogen.
„Die Inanspruchnahme der Dienste der Berufsberatung und der Ausbildungsvermittlung durch Arbeitgeber und Jugendliche ist freiwillig und die darauf basierende Statistik kann somit nur einen Ausschnitt der gesamten Abläufe am Ausbildungsmarkt abbilden. In der Ausbildungsstellenmarktstatistik zählt jede Person als Bewerber bzw. Bewerberin, die sich im Laufe eines Beratungsjahres (jeweils 1.Oktober bis 30.September des Folgejahres) mindestens einmal zur Vermittlung auf eine Berufsausbildungsstelle bei einer Agentur für Arbeit oder einem Träger der Grundsicherung gemeldet hat“. (vgl. BA 2013b)
Im Berichtsjahr 2012/2013 wurden der BA für die Stadt Weimar 436 Berufsausbildungsstellen gemeldet. Dem gegenüber standen 296 gemeldete Bewerber für eine Berufsausbildungsstelle. Für den Landkreis Weimarer Land wurden der BA 387 Berufsausbildungsstellen gemeldet. Dem gegenüber standen 431 gemeldete Bewerber für eine Berufsausbildungsstelle. Insgesamt wurden der BA somit für die Region Weimarer Land und die Stadt Weimar 823 Berufsausbildungsstellen gemeldet. Dem standen 727 Bewerber für eine Berufsausbildungsstelle gegenüber. Davon besaßen 253 Bewerber aus dem Landkreis Weimarer Land und 129 der Bewerber aus der Stadt Weimar den Realschulabschluss. (vgl. BA 2013d) Sie stellten damit den größten Anteil der Bewerber um eine Ausbildungsstelle.
Im Berichtsjahr 2012/2013 ergibt sich für das Weimarer Land ein Berufsausbildungsstellenüberangebot in den Bereichen Land- und Tierwirtschaft, Produktion und Fertigung, Bau, Verkehr und Logistik. Hingegen existiert ein Bewerberüberhang in den Bereichen Naturwissenschaften und Informatik, Handel und Dienstleistungen, Büro und Verwaltung, Gesundheit und Soziales sowie Gestaltung und Kultur.
Für die Stadt Weimar ergibt sich ein Berufsausbildungsstellenüberangebot in den Bereichen Land- und Tierwirtschaft, Produktion und Fertigung, Bau, Verkehr und Logistik, Handel und Dienstleistungen, Büro und Verwaltung, Gesundheit und Soziales sowie Gestaltung und Kultur. Ein ausgeglichenes Verhältnis ergibt sich im Bereich Naturwissenschaften und Informatik.
Diese Daten verdeutlichen zunächst, dass sich insbesondere Unternehmen im produzierenden Bereich bzw. im originär handwerklichen Bereich oft vergeblich um Fachkräftenachwuchs bemühen.
Andererseits liegt die Ausbildungsquote im Vergleich zum bundesweiten Durchschnitt von 5,6 % im Weimarer Land bei nur 4,3% und in der Stadt Weimar bei nur 4,6 %. Die Ausbildungsquote beschreibt den Anteil aller Auszubildenden an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Ein wichtiger Bestimmungsfaktor ist dabei das Ausbildungsangebot der Betriebe. (vgl. BA 2013e)
Die vorliegenden Daten zum Ausbildungsmarkt im Weimarer Land und der Stadt Weimar geben Hinweise darauf, dass derzeit tatsächlich ein partieller Bewerberengpass im Bereich der Berufsausbildung und damit im Bereich der Fachkräfte-Nachwuchsgewinnung existiert.
Die Ausbildungsstellenangebote haben sich erhöht. Gleichzeitig ist bei den Arbeitsagenturen und Jobcentern der Region ein Bewerberrückgang zu verzeichnen. (vgl. TMWAT 2012: 15)
Ein Wandel der Marktsituation verdeutlicht auch die Angebots-Nachfrage-Relation (ANR). „Sie gibt an, wie viele Angebote rechnerisch auf 100 Bewerber/-innen (Nachfrage) entfallen.“ (vgl. ebd.: 5) Nach der neuen, erweiterten Nachfragedefinition werden bei der Berechnung auch die bis zum 30. September eines Berichtsjahres noch weiter suchenden Ausbildungsnachfrager berücksichtigt. (vgl. ebd.:S.118) Dieser beträgt für den Agenturbereich der Arbeitsagentur Erfurt 98,0. (vgl. ebd.: S.74)
Die Region Weimarer Land und die Stadt Weimar werden durch die Geschäftsstellen (GST) der Agentur für Arbeit in Apolda und Weimar betreut. In der GST Apolda entfallen im September 2013 statistisch 0,8 gemeldete Berufsausbildungsstellen auf einen gemeldeten Bewerber. In der GST Weimar beträgt dieses Verhältnis sogar 1,3. (vgl. BA 2013d: S.1) Damit kann festgestellt werden, dass statistisch etwa einem Bewerber eine Berufsausbildungsstelle zur Verfügung steht. Diese Situation gab es in der Region Weimarer Land und der Stadt Weimar seit Jahrzehnten nicht mehr. Eine Veränderung des Ausbildungsmarktes vom Stellenmarkt zum Bewerbermarkt ist deutlich erkennbar. So blieben z.B. in der GST Weimar 26,7% der gemeldeten Berufsausbildungsstellen unbesetzt. Gleichzeitig sank die Anzahl der unversorgten Bewerber für eine Berufsausbildungsstelle um 60%. Es gab statistisch somit in der GST Weimar 7,1 unbesetzte Berufsausbildungsstellen je unversorgtem Bewerber gibt.
Der Berufbildungsbericht des Freistaates Thüringen stellt in diesem Zusammenhang fest, dass sich das Berufswahlverhalten nicht grundlegend geändert hat. „Erneut war eine starke Konzentration der Bewerber/-innen auf einige Dienstleistungs- und Fertigungsberufe festzustellen. Dies traf aber ebenso auf die von Unternehmen gemeldeten Berufsausbildungsstellen zu.“ (vgl. TMWAT 2012: 10) Dieser Feststellung kann bzgl. der relativen Konzentration auf einzelne Berufsbereiche grundsätzlich gefolgt werden.
Eine abstrakte Einschätzung des Berufswahlverhaltens jugendlicher Berufswähler auf der Basis der Verteilung der Bewerber auf einzelne Berufsbereiche erscheint aber zu pauschal, wenig differenziert und deshalb zweifelhaft.
Zur fundierten Einschätzung des Berufswahlverhaltens jugendlicher Berufswähler ist es notwendig, die theoretischen Grundlagen der Berufswahl genauer zu untersuchen. Zunächst müssen jedoch die Begriffe Beruf und Berufswahl näher definiert werden.
Der traditionelle Berufsbegriff wird durch drei wesentliche Merkmale geprägt: Ganzheitlichkeit, Dauer und Übung. Dem Dauercharakter kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Eine kurzfristig ausgeübte Tätigkeit wäre danach kein Beruf. Das Ideal wäre eine unbedingte Berufstreue, also eine lebenslange Bindung an einen begrenzten Berufbereich. Damit wäre die Berufwahl ein lebensentscheidender Akt. (vgl. Beinke 1999: S.33)
Dieses Leitbild erscheint im Industrie- und Dienstleistungszeitalter mit neuen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen als überholt.
Der Berufsbegriff ist in Deutschland grundgesetzlich verankert. Als Beruf im Sinne des Art. 12 I GG ist jede auf Dauer angelegte, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Betätigung anzusehen, die nicht schlechthin gemeinschädlich ist. (vgl. BVerfGE 7, 377 (397))
Die Berufswahl beschreibt eine Phase des interaktiven Lernens und Entscheidens unter bestimmten individuellen und gesellschaftlichen Bedingungen und Einflüssen, deren Ergebnis zur Ausübung einer schulischen oder beruflichen Tätigkeit beiträgt und sich im Laufe des Lebens wiederholt. (vgl. Hofmann 2008: S.1)
Grundsätzlich bezeichnet der Begriff der Berufswahl somit einen Vorgang, in dem der Einzelne aus verschiedenen beruflichen Möglichkeiten frei seinen Beruf wählen kann. Dieser Vorgang der freien Wahl des Berufes ist in Deutschland ein durch Art. 12 Grundgesetz geschütztes Grundrecht.
2.2.1. Berufswahltheorien
Zur Beschreibung der Problemzusammenhänge innerhalb der Berufswahl wurden verschiedene theoretische Erklärungsansätze entwickelt. Diese Berufswahltheorien betrachten gemeinsam die Berufswahl als einen Interaktionsprozess zwischen einem Individuum und seiner Umwelt, der dazu führt, dass Menschen unterschiedliche berufliche Tätigkeiten ausüben. (vgl. Bußhoff 1989: S.11)
Im Folgenden sollen deshalb die wichtigsten Berufswahltheorien vorgestellt werden.
Ein Erklärungsansatz begreift die Berufswahl als einen gesellschaftlich gesteuerten Prozess einer Berufszuweisung. Dieser Prozess wird als „Allokation“ bezeichnet. Der Begriff leitet sich vom lateinischen „ locare“ bzw. “allocare“ ab und bedeutet „platzieren“ oder „zuteilen“.
Der Zugang zu den Berufen unterliege vielen sozialen und ökonomischen Beschränkungen. So hätten sich aus der Interaktion der Gesellschaftsmitglieder bestimmte Regelungen für den Zugang zu Positionen herausgebildet. (vgl. Daheim 1967: S.72) Dieser Zugang würde durch „Agenten“ der Gesellschaft kontrolliert. Daneben nutze der Berufswähler Entscheidungskriterien, die ebenfalls unter dem Einfluss von sozialen und ökonomischen Bedingungen stehen und sich an gesellschaftlich bestimmten Handlungsrichtungen, Zielen, Normen, Motivationen und Kenntnissen orientieren. (vgl. Bußhoff 1989: S.13) Zu den ökonomischen Einflussfaktoren zählen z. B. die allgemeine Wirtschaftslage, die regionale Wirtschaftsstruktur, Einkommensverhältnisse und Verdienstmöglichkeiten. Soziokulturelle Determinanten sind z.B. das Image und Prestige der Berufe, die Familie, Schule und Institutionen der Berufsberatung. (vgl. Seifert 1977: S.231ff.)
Dieser Allokationsprozess unterscheide 3 Prozessstufen innerhalb der Berufswahl. Die erste Stufe sei geprägt durch die Entscheidung für eine Schulbildung, die den Ausgangspunkt für die weitere berufliche Entwicklung bestimmt. Überwiegend werde diese Entscheidung durch die Familie gefällt. Diese spiele damit eine entscheidende Rolle beim Aufbau einer ersten vagen beruflichen Orientierung. Die zweite Stufe sei durch die Entscheidung für eine Berufsausbildung oder für eine andere berufliche Position bestimmt. In dieser Phase kämen weitere „Agenten“, wie Lehrer, Peergroup, Berufsinhaber oder Berufsberater hinzu. Die dritte Stufe sei durch die Wahl zwischen Berufspositionen im Laufe des Arbeitslebens geprägt. In dieser Phase seien insbesondere Vorgesetzte, Kollegen oder die durch den Berufsinhaber gegründete Familie als „Agenten“ beteiligt. (vgl. ebd.: S.14)
Im Rahmen Zielsetzung der Arbeit sind insbesondere die ersten zwei Stufen für die weiteren Betrachtungen von besonderer Bedeutung.
Dieser theoretische Ansatz betrachtet die Berufswahl in ihrer zeitlichen Ausdehnung und gliedert sie nach Lebensphasen. Berufswahl sei ein lebenslanger beruflicher Entwicklungsprozess, der stark von endogenen und exogenen Einflüssen bestimmt wird. (vgl. Decker 1981: 139)
Der Berufswahlprozess beginne nach dieser Theorie mit der vorpubertären Entwicklungsphase und ende mit dem Eintritt in einen Beruf. (vgl. Seifert: 181) Die Berufswahl startet mit der Phase der Phantasiewahl zwischen dem 7. bis 11. Lebensjahr. Sie ist in der Regel durch berufliche Wunschvorstellungen ohne Realitätsbezug gekennzeichnet. Überlegungen zu persönlichen Voraussetzungen, wie Fähigkeiten oder berufliche Optionen, spielen noch keine wesentliche Rolle. (vgl. Bußhoff 1989: S.16; Seifert 1977: S.181)
Daran schließe sich die Phase der Probewahl an. Diese umfasse das 11. - 17. Lebensjahr. In dieser Phase entwickelt sich das Bewusstsein für eine Berufswahlentscheidung. Neben einer beschleunigten geschlechtlichen Reife entwickle sich auch das Bestreben, sich von den Eltern und deren Normen zu lösen. (vgl. Bußhoff 1989: S.16) Die Berufsvorstellungen basieren deshalb in dieser Phase überwiegend auf subjektiven Faktoren. Zunächst würden die Berufswähler stark von eigenen Interessen geleitet. Zusätzlich trete das Bewusstsein über die eigenen Fähigkeiten in den Mittelpunkt der Berufswahlüberlegungen. In einem weiteren Schritt dominierten dann eigene Wertvorstellungen. Mit der Beruhigung der eigenen Persönlichkeitsentwicklung würden dann die wichtigsten Laufbahnentscheidungen getroffen.
Die Periode der realistischen Wahl folge ab dem 17. Lebensjahr. In dieser Periode werde ein intensiver Realitätsbezug hergestellt. Dies erfolge über eine explorative Phase, in der Erfahrungen und Informationen gesammelt werden. Diese Informationen würden in der Kristallisationsphase zusammengeführt und eine Berufsentscheidung getroffen. In der folgenden Spezifikationsphase würden dann die Realisierungsmöglichkeiten geprüft werden. (vgl. ebd: S.16) Im Ergebnis wird durch den Berufswähler ein Kompromiss zwischen eigenen Fähigkeiten, Wertvorstellungen, Wünschen und Realisierungsmöglichkeiten gesucht, gefunden und immer wieder überprüft. Super konkretisierte dieses Phasenmodell durch sein 5-Stadien-Modell. (vgl. Bußhoff 1989: S.18) Zentraler Aspekt ist nach diesem Lebensphasenmodell die Entwicklung eines beruflichen Selbstkonzeptes. Super geht dabei von der Annahme aus, dass Individuen ihre beruflichen Entscheidungen in Übereinstimmung von beruflichen Anforderungen und Selbstkonzept treffen. (vgl. ebd: S.23) Unter Berücksichtigung der Zielstellung der Arbeit soll Supers Phase 2, also das Alter von 15 bis 24 Jahren, besondere Beachtung finden. Im Alter von 15 bis 17 Jahren befinden sich die Berufswähler nach diesem theoretischen Ansatz in einer Art Versuchsstadium. Dieses Stadium ist geprägt durch eine Zeit der Selbstexploration. Bedürfnisse, Interessen, Fähigkeiten und Wertvorstellungen werden mit Realisierungsmöglichkeiten verglichen. Rollenerwartungen werden zum Teil erstmals bewusst wahrgenommen und verschiedene Rollen ausprobiert. Daneben findet Berufserkundung statt, die im Kontext mit schulischen Erfahrungen zu einer vorläufigen beruflichen Entscheidung führt und z.B. durch Gespräche, schulische Erfahrungen oder berufliche Tätigkeiten erprobt wird. (vgl. Bußhoff 1989: S.18)
Im Alter von 18 bis 21 Jahren folgt ein Übergangsstadium. Dieses ist durch den Versuch gekennzeichnet, das weiterentwickelte Selbstkonzept im beruflichen Bereich zu realisieren. Meist ist dieses Stadium mit dem Übergang in eine Beschäftigung oder eine Berufsausbildung verbunden. (vgl. ebd.: S.19)
Daran schließt sich das Erprobungsstadium an. Es umfasst das Alter zwischen 22 und 24 Jahren. In diesem Stadium sei ein geeignet erscheinendes Tätigkeitsfeld lokalisiert. Ein Einstieg sei erfolgt. Die neue Position werde danach auf berufslaufbahnbezogene Tragfähigkeit getestet. (vgl. ebd: S.19)
Im Ergebnis gibt der entwicklungstheoretische Ansatz insbesondere Hinweise darauf, in welchem Zeitraum welche Fähigkeiten bei jugendlichen Berufswählern zu erwarten sind. Zu beachten ist, dass nach diesem Modell eine stabile Berufswahlentscheidung bei 16-jährigen Absolventen der Regelschule nur in wenigen Fällen realisiert werden kann.
Eine weitere theoretische Betrachtung des Berufswahlprozesses erfolgt über den lerntheoretischen Ansatz. Krumboltz geht davon aus, dass ein Individuum über das Zusammenwirken von Erbfaktoren und Umweltbedingungen nach bestimmten Regeln ablaufende Lernerfahrungen macht. Auf der Basis dieser Lernerfahrungen entwickelt sich dann ein Selbstkonzept. Die eigenen Interessen und Fähigkeiten werden dabei zu wichtigen Komponenten des Selbstkonzeptes. Daneben entwickelt der Berufswähler ein Problemlösungskonzept, das Methoden umfasst, wie der Jugendliche an eine Problemlösung herangeht. Dazu zählen z. B. Informationsbeschaffung, Bewerten, Planen und das Entwickeln von Alternativen und Zielsetzungen. (vgl. Krumboltz et al. 1976: S.71ff.)
Selbstkonzept und Problemlösungsmethoden bedingen wiederum eine Berufswahltendenz und beeinflussen damit berufswahlrelevante und berufliche Handlungen. Dieser Prozess beinhaltet verschiedene Rückkopplungen, die den Prozess nachjustieren, vorantreiben und Konsequenzen für künftige Handlungen haben. So ermöglichen z.B. verschiedene schulische Angebote mit Praxisbezug jugendlichen Berufswählern neue Lernerfahrungen, die wiederum das Selbstkonzept, die beruflichen Vorstellungen und das eigene Problemlösungskonzept verändern. Es entstehen somit Handlungsketten, aus denen sich berufliche oder schulische Laufbahnen entwickeln. (vgl. Bußhoff 1989: S.32)
Eine weitere theoretische Betrachtungsweise ermöglicht das Matching - Modell. „Matching“ bezeichnet dabei einen Vorgang der Angleichung, Anpassung oder Passung. Dieser Erklärungsansatz wird auch als „Trait - Factor - Theorie“ bzw. „differential - psychologischer Ansatz“ oder „Person - Job - Fit - Ansatz“ bezeichnet. Grundlage bildet eine eigenschaftstheoretisch - faktorenanalytische Sichtweise. (vgl. Bußhoff 1989: S.33)
Die Faktorenanalyse ist ein strukturiertes, entdeckendes Verfahren. Dabei wird zu einer bestimmten Fragestellung eine Vielzahl von Variablen erhoben. Diese werden dann in Form von Faktoren verdichtet. (vgl. Backhaus et al. 2000: S.252) Sie nimmt Bezug auf Persönlichkeitsmerkmale und ist somit auch grundlegend für den differential-psychologischen Ansatz. Dieser Ansatz vertritt folgende Annahmen (vgl. Seifert 1977: S.176):
- Berufstätige sind durch bestimmte, berufsspezifische Fähigkeits- und Persönlichkeitsschwerpunkte (traits) gekennzeichnet, die durch beruflichen Anforderungen definiert werden.
- Jeder Mensch ist nach individueller Ausprägung seiner Persönlichkeitseigenschaften (factors), insbesondere bezüglich seiner beruflich relevanten Fähigkeiten, für einen Beruf optimal geeignet. Die Schnittmenge von beruflichen Anforderungen und persönlichen Interessen, Fähigkeiten und Eigenschaften wird in diesem Kontext als Eignung bezeichnet. Der Grad der Übereinstimmung zwischen beruflichen Eignungsanforderungen und den individuellen Eignungsmerkmalen bestimmt den individuellen Berufserfolg und die berufliche Zufriedenheit.
- Die Berufswahl ist nach dieser Auffassung ein bewusster, rationaler Problemlösungs- und Entscheidungsprozess und ein auf einen bestimmten Zeitpunkt beschränktes, einmaliges Ereignis. (vgl. ebd: S.176)
Auf diesem Erklärungsansatz basiert z.B. die Berufswahltheorie nach Holland. Seine Theorie des beruflichen Verhaltens verknüpft individuelle Persönlichkeitsmerkmale mit Zielen, Bedürfnissen, Rollenerwartungen und Fähigkeiten. Holland geht von der Annahme aus, dass ein Berufswähler versucht, den Beruf zu wählen, der am besten dem eigenen Persönlichkeitsmuster entspricht. (vgl. Hofmann 2008: S.4) Basierend auf dieser Kongruenz entwickelte er sechs Persönlichkeitstypen, denen bestimmten Berufspräferenzen zugeordnet werden können: den realistischen Persönlichkeitstyp (Realistic), den intellektuellen Persönlichkeitstyp (Investigative), den sozialen Persönlichkeitstyp (Social), den konventionellen Persönlichkeitstyp (Conventional), den unternehmerisch orientierten Persönlichkeitstyp (Enterprising) und den künstlerischen Persönlichkeitstyp (Artistic).
Unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Arbeit ist eine vertiefte Betrachtung dieses Ansatzes an dieser Stelle jedoch nicht möglich. In Bezug auf das Berufswahlverhalten zeigt dieser Erklärungsansatz aber, dass jugendliche Berufswähler grundsätzlich bestrebt sind, eine für sie passenden berufliche Position zu finden. Basis dafür ist, dass sie in einen Prozess der Selbstexploration eintreten. Zudem muss der Berufswähler in der Lage sein oder in diese versetzt werden, sich mit berufsbezogenen Anforderungen auseinander zusetzen.
Innerhalb des Berufswahlprozesses muss nach diesem Erklärungsansatz ein Berufswähler bei bestimmten Übergängen Entscheidungen treffen, z.B. beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt. Er muss also Verfahren und Regeln entwickeln, die zur Beurteilung und Lösung von Handlungsalternativen geeignet sind.
Dieser Prozess verläuft nach Bußhoff in fünf Phasen. Zunächst ist erforderlich, dass der Berufswähler die Berufswahl als Problem wahrnimmt. In der Phase der Informationssuche und -verarbeitung sucht der Berufswähler alle zur Problemlösung notwendigen Informationen und setzt diese mit eigenen Erfahrungen in Verbindung. Mit dem Eintritt in die dritte Phase werden verschiedene Alternativen bewertet und gegeneinander abgewogen. Die vierte Phase kennzeichnet die Entscheidung für eine Alternative. In der fünften Phase, der Realisierung, kommt es dann zur konkreten Umsetzung der Handlungsmöglichkeiten. (vgl. Bußhoff 1989: S.50)
Auch Zihlmann beschreibt die Berufswahl als schrittweisen Entscheidungsprozess. Zunächst muss der Berufswähler die Möglichkeiten kennenlernen. Er muss in der Lage sein, die Möglichkeiten zu klassifizieren und einen Großteil der Möglichkeiten auszuschließen. Danach folgen die Herausarbeitung von Präferenzen und das Einholen relevanter Informationen. In einem weiteren Schritt folgt die Erarbeitung einer Hauptidee und allfälliger Alternativen in Sinne einer Vorentscheidung. Ein wichtiger Punkt ist im Anschluss das Ausprobieren der erarbeiteten Hauptidee und möglicher Alternativen. Das Ergebnis dieses Vorgehens ist eine berufliche Entscheidung und die Realisierung der Entscheidung. (vgl. Zihlmann 2001: S.2)
Das Berufswahlmodell nach Lange beschreibt die Berufswahl zudem als interaktiven Entscheidungsprozess. Die Berufswahlentscheidung ist nach dieser Auffassung abhängig von der Sozialisation des Berufswählers und das Ergebnis einer Interaktion von der subjektiven und soziökonomischen Berufswahlsituation. (vgl. Mosberger et al. 2012: S.15) Die subjektive Berufswahlsituation ist danach zum einen geprägt durch Entscheidungskriterien (evaluative Entscheidungsprämissen). Dabei handelt es sich um individuelle Merkmale, die zur Bewertung von Alternativen herangezogen werden. Dazu zählen z.B. eigene Interessen, Fähigkeiten und Werte. Weiterhin sind die wahrgenommenen Berufsalternativen (kognitive Entscheidungsprämissen) Bestandteil der subjektiven Berufswahlsituation. Zusätzlich wird das Berufswahlverhalten durch Entscheidungsregeln (modale Entscheidungsprämissen) beeinflusst. Eine solche Regel könnte lauten: Wähle einen Beruf, der zu dir passt! (vgl. Bußhoff 1989: S.45)
Die Berufswahlsituation wird andererseits durch sozio - ökonomische Faktoren beeinflusst. Zu diesen Einflussgrößen zählen z.B. Familie, Freunde, Schule, Berufsberatung, aber auch die regionalen Rahmenbedingungen, wie die wirtschaftliche Infrastruktur. Die Interaktion dieser beiden Bereiche bedingt beim Berufswähler eine Entscheidung. Dabei werden nach dem unterschiedlichen Grad der Rationalität drei typische Entscheidungssituationen differenziert:
- Die erste ist eine Vernunftwahl. Der Berufswähler in dieser Situation betrachtet Entscheidungskriterien differenziert, kennt eine große Anzahl von Berufen und kann Alternativen selektieren. Er verfügt über differenzierte Entscheidungsregeln und trifft die Entscheidung rational.
- Die zweite mögliche Entscheidungssituation wird als Durchwursteln (muddling through) bezeichnet. Kennzeichnend für diese Situation ist eine unzureichende Differenziertheit der Entscheidungskriterien. Die Anforderungen der Berufe sind wenig bekannt und Entscheidungsregeln finden kaum Anwendung.
- Die dritte Entscheidungssituation ist durch intuitives Wahlverhalten bestimmt. Es handelt sich dabei mehr oder weniger um eine Zufallswahl. Ein Zusammenhang zwischen der Wahl des Berufes und den subjektiven Ansprüchen besteht nicht. Entscheidungsbegründende Regeln und Strategien existieren nicht. (vgl. ebd.: S. 46)
Diese Entscheidungssituationen sind zudem durch ein differenziertes Informationsverhalten der Berufswähler bestimmt. Es lassen sich auf dieser Basis vier Entscheidungsstile beschreiben. Beim systematisch - internalen Entscheidungsverhalten zeigen die Berufswähler eine breite und zielorientierte Informationsaktivität, prüfen mehrere Alternativen und durchdenken die Situation gründlich. Die getroffene Entscheidung ist dann relativ stabil. Wenn ein Berufswähler zwar systematisch vorgeht, aber viel mit anderen sprechen muss, um ein Entscheidungsproblem zu lösen, zeigt dieser ein systematisch - externales Entscheidungsverhalten. Ein spontan - internales Verhalten zeigt hingegen ein Individuum in der Berufswahl, wenn es bei der Informationssammlung stark auf eigene konkrete Erfahrungen angewiesen ist. Diese Berufswähler lassen sich mehr von momentanen Gefühlen und Interessen leiten und sind in Bezug auf Alternativen sehr wankelmütig. Sie sind wenig bestrebt, Entscheidungsprobleme mit anderen zu besprechen. Haben die Berufswähler ein starkes Bedürfnis, ihre Gefühle und Überlegungen anderen unsystematisch mitzuteilen und auf Basis der Reaktionen zu entscheiden, handelt es sich um ein spontan - externales Entscheidungsverhalten. (vgl. Johnson 1978: S.530ff.) Unter Berücksichtigung der Zielsetzung der vorliegenden Arbeit unterstreicht dieser Erklärungsansatz, dass jugendliche Berufswähler ein zum Teil sehr unterschiedliches Entscheidungsverhalten zeigen und über eine unterschiedliche Rationalität, Aktivität und Selbständigkeit im Berufswahlprozess verfügen.
Um die aktuelle Berufswahlsituation jugendlicher Berufswähler im Weimarer Land und Weimar beurteilen zu können, ist es weiterhin notwendig, die schulischen Rahmenbedingungen zur Berufsorientierung und Berufwahl näher zu untersuchen.
Im Folgenden sollen deshalb der typische Berufswahlprozess an Thüringer Regelschulen und das Thüringer Berufsorientierungsmodell (ThüBOM) betrachtet werden.
Neben der individuellen Berufswahl ist die Aufgabe Berufsorientierung im Freistaat Thüringen institutionell im Bereich der Schule verankert. Berufsorientierung wird dabei als Förderung der Kompetenz verstanden, Berufsbiografien zu entwerfen, vorzubereiten und zu gestalten. (vgl. TMBWK 2013: S.6) Die Schulen werden im Bereich der Berufsorientierung durch die Berufsberatung der Agentur für Arbeit unterstützt. Diese Zusammenarbeit beruht auf der Vereinbarung über die Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung zwischen dem Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur und der Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen der Bundesagentur für Arbeit aus dem Jahr 2011. Ziel dieser Zusammenarbeit ist die Herausbildung von Berufswahl- und Entscheidungskompetenzen in den Abgangsklassen. (vgl. BA 2013a: S.4) Berufswahlkompetenz wird dabei als Bündel spezifischer kognitiver Fähigkeiten, motivationaler Orientierungen und Handlungsfähigkeiten verstanden, die es einer Person ermöglichen, eine wohlbegründete Entscheidung für eine nachschulische Ausbildung zu treffen sowie sich in wiederkehrenden berufsbiografisch relevanten Situationen zu bewähren. (vgl. ThILLM 2010: S.11)
Der institutionell begleitete Prozess der Berufsorientierung und Berufswahl startet in der Regel schon mit dem Eintritt in die Regelschule. Unterstützt wird die Berufsorientierung durch die Berufsberatung grundsätzlich ab Klassenstufe 7.
Insbesondere die praxisnahe Berufsorientierung steht in dieser Klassenstufe im Mittelpunkt. Dazu zählen Betriebsbesichtigungen, Berufserkundungen und Schülerbetriebspraktika als grundlegende Aktivitäten. Daneben werden Berufsfeldererkundungen und Berufsfelderprobungen als vertiefende Aktivitäten angeboten. (vgl. TMBWK 2013: S.8)
Der eigentliche Berufsorientierungs- und Beratungsprozess beginnt regelmäßig in Klasse 8. Die Schüler diese Klassenstufe sind überwiegend im Alter zwischen 13 und 14 Jahren. Diese Klassenstufe ist aus Sicht der Berufsberatung der Agentur für Arbeit von besonderer Bedeutung, da es sich in Bezug auf den Hauptschulabschluss bereits um die Vorabgangsklasse handelt. Unter Berücksichtigung der Zielstellung des TMBWK gilt dieser Klassenstufe bereits besondere Aufmerksamkeit. Im Weimarer Land und in der Stadt Weimar unterstützt die Agentur für Arbeit die Berufsorientierung und Berufsberatung in Klasse 8 überwiegend mit adressatengerechtem, informellem Input.
In Klasse 9 befinden sich die Schüler dann regelmäßig in Bezug auf den Hauptschulabschluss in der Abgangsklasse und in Bezug auf den Realschulabschluss in der Vorabgangsklasse. Sie sind im Alter zwischen 14 und 15 Jahren. Für einen Teil der Schüler bedeutet dies, dass sie am Ende dieser Klassenstufe eine Entscheidung für eine nachschulische Ausbildung getroffen haben „müssen“. Für Schüler mit dem Ziel Realschulabschluss beginnt in Klasse 9 die „heiße Phase“ der institutionell angebotenen Berufsorientierung und Berufsberatung.
Die Schüler befinden sich in dieser Zeit in der Adoleszenz. Der Begriff bezieht sich auf das lateinische „adolescere“ und bedeutet „heranwachsen“. In dieser Zeit besteht für Jugendliche die wichtigste Entwicklungsaufgabe, die eigene Identität zu entdecken. Sie machen sich Gedanken über die Wahl des späteren Berufes und entwickeln einen „Fahrplan“ für die persönliche Zukunft. Im Kontakt mit Gleichaltrigen kultivieren die Jugendlichen ihre sozialen Fähigkeiten und erproben unterschiedliche soziale Rollen und Verhaltensweisen. Die Beschäftigung mit der Anerkennung durch Gleichaltrige und der eigenen Beliebtheit steht für Jugendliche in dieser Zeit zunächst im Mittelpunkt. (vgl. Zimbardo 2003: S.494)
Die Praxis zeigt, dass das Thema Berufswahl zu Beginn der Klasse 9 zunächst für einen Großteil der Schüler eine eher untergeordnete Rolle spielt. Dies ändert sich erfahrungsgemäß mit dem Ende der 9. Klasse. In dieser Zeit müssen sich Jugendliche darauf verlassen können, in ihrer Lebenswelt eindeutige Anhaltspunkte für Unterstützung zu finden. (vgl. ebd: S.495) Und dies gilt auch bei der Wahl eines zukünftigen Berufes. Dabei unterstützt z.B. die Berufsberatung der Agentur für Arbeit professionell und unabhängig durch Beratungsgespräche, Eltern- und Messeveranstaltungen, Berufsorientierungsunterricht und verschiedene Berufsorientierungsprojekte.
In der Praxis wird die schulische Aufgabe der Berufsorientierung in der Region Weimarer Land und der Stadt Weimar jedoch durch verschiedene Faktoren auch ungünstig beeinflusst.
So war die schulische Zielsetzung in den vergangenen Jahren vorrangig, die bestmögliche Vorbereitung auf den jeweiligen Schulabschluss zu realisieren. Berufsorientierung wurde als „notwendiges Übel“ verstanden und war damit sehr stark in Qualität und Quantität vom Interesse und vom Engagement der Schulleitung und einzelner Lehrkräfte abhängig.
Dies hatte auch personelle und organisatorische Auswirkungen. Bedingt durch eine zusätzliche Optimierung des Personalbestandes an den Regelschulen, wurde Lehrkräften die Verantwortung für die Berufsorientierung übertragen, die bisher kaum oder keine Erfahrungen mit dem Thema hatten. Weiterbildungsangebote gab es kaum bzw. wurden wenig adressatengerecht und nachhaltig angeboten.
Schülerpraktika wurden auf eine vorgegebene Anzahl beschränkt und statisch in die Schuljahresplanung integriert. Ein regelmäßiges Angebot, z.B. wöchentliche betriebliche Praktikumstage, gab es nur vereinzelt. Zudem wurden Praktika entsprechend mehr oder weniger ausführlich vorbereitet und ausgewertet.
Mit der politischen Kräfteverschiebung im Freistaat Thüringen ab dem Jahr 2010 änderte sich auch die Berufsorientierung an Thüringer Schulen grundlegend. Kompetenzorientierte Wissensvermittlung steht seitdem im Mittelpunkt.
Jedoch ist die statische Einbindung der Berufsorientierung und Praktika ins Schuljahr geblieben. Die Planung erfolgt meist zu kurz vor Beginn des neuen Schuljahres.
In der Folge suchen Schüler zu einem Zeitpunkt Praktikumsplätze, zu dem von den meisten Unternehmen keine Praktika angeboten werden. Dieses Missverhältnis führt dazu, dass Schüler im Rahmen der schulisch vorgegebenen Praktika nur die „üblichen“ Möglichkeiten nutzen. In der Regel sind dies wohnortnahe und einfache Tätigkeiten. Die Berufsorientierung fördern diese Praktika nur in wenigen Fällen.
Daneben bieten viele Unternehmen der Region die Möglichkeit der praktischen Erprobung nur im Rahmen eines Schulpraktikums, weil in dieser Zeit die Schüler über die Schule versichert sind.
Zudem gestaltet sich das Alter der Schüler im Rahmen von Schulpraktika als ein Problem. Die Schüler sind in der Regel zwischen 13 und 14 Jahre alt und damit minderjährig. Sie unterliegen dem Jugendarbeitsschutz. Bestimmte berufstypische Aufgaben können deshalb nicht selbst durchgeführt werden. Zusätzlich sind die Schüler an bestimmte Arbeitszeiten gebunden.
Somit werden viele Schüler zum Teil nicht mit berufstypischen Aufgaben betraut. Stattdessen erwarten sie Tätigkeiten wie Werkstatt reinigen oder Akten sortieren. Die Konsequenz ist, dass die Erwartungen der Schüler an ein betriebliches Praktikum durch die Unternehmen meist nicht erfüllt werden können.
Enttäuschung und abnehmende Motivation bei den Schülern sind die Folge. Ausnahmen bilden Unternehmen, die über eigene Ausbildungseinrichtungen oder qualifizierte personelle Ressourcen verfügen.
Schulen im ländlichen Bereich haben oft ein zusätzliches, finanzielles Problem. Da die Unternehmen im gesamten Weimarer Land verteilt sind, verursachen Praktika für die Schüler zusätzliche Fahrtkosten, die den Schülern nur bedingt erstattet werden. Deshalb werden Praktika zum Teil nicht nach Interessen und Fähigkeiten ausgewählt, sondern in Abhängigkeit von den zu erwartenden Fahrtkosten.
Weiterhin müssen sich die Schüler in der Regel bereits mit dem Endjahreszeugnis der Klasse 9 für eine anschließende Ausbildung bewerben. Bedingt durch die Adoleszenz bleiben die schulischen Leistungen meist hinter den tatsächlichen Fähigkeiten zurück. Selbstexploration und Partnerschaft stehen im Vordergrund. Die Folge ist, dass sich die Schüler zum Teil nicht rechtzeitig bewerben und auf eine Leistungsverbesserung in Klasse 10 hoffen. Dies gelingt jedoch erfahrungsgemäß nur einem geringen Teil der Schüler.
Mit dem Übergang in Klasse 10 befinden sich die Schüler bereits überwiegend im Bewerbungsverfahren um nachschulische Ausbildungsmöglichkeiten. Gelegenheit für Schulpraktika bieten sich in der Klasse 10 kaum.
Der Wechsel in Klasse 10 fordert zudem von den Schülern, dass sie sich auf ein qualitativ höheres Anforderungsniveau einstellen müssen. Das verlangt von den Schülern überwiegend erhebliche Anstrengungen.
Leider hält sich bei einem großen Teil der lehrenden Pädagogen immer noch hartnäckig die Auffassung, dass im Schulhalbjahr aus Motivationsgründen eher die schlechtere Note vergeben werden sollte. Dies hat jedoch fatale Folgen für die Berufswahl und die Realisierungschancen der Schüler. Die berufswahlrelevanten Fähigkeiten der Berufswähler bleiben so intransparent. Möglicherweise genügen die Halbjahresnoten auch nicht mehr den Zugangsvoraussetzungen für die ausgewählte Berufslaufbahn. Die Schüler müssen dann ggf. auf Alternativen ausweichen. Zum Teil muss der Prozess der Berufswahl auch erneut durchlaufen werden.
Gute Unterstützung bieten den Regelschulen deshalb verschiedene Projekte zur vertieften Berufsorientierung. Dazu zählt zum Beispiel das Projekt „Berufsstart plus“. Zur Teilnahme sind Schüler der Klassenstufen 7 - 10 berechtigt. Schwerpunkte sind die Berufsfeldererkundung und Berufsfelderprobung. Die Schüler werden durch Projektbetreuer und Berufsberater begleitet und erhalten ein ausführliches Feedback zu den absolvierten praktischen Abschnitten.
Leider wird dieses Projekt nicht flächendeckend angeboten. Schulen, die nicht in den Genuss dieser Unterstützung kommen, müssen auf andere Projekte ausweichen oder eigene Projekte entwickeln.
Bedingt durch die teils sehr unterschiedliche Qualität der Berufsorientierungsprojekte an den Regelschulen wurde in Zusammenarbeit zwischen der Universität Erfurt und dem Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (TMBWK) ein theoretischer Rahmen entwickelt, der es ermöglicht, Standards für eine nachhaltige schulische Berufsorientierung zu formulieren. Diese Standards basieren auf entwicklungspsychologisch orientierten Berufswahltheorien und pädagogisch-psychologischen Überlegungen zu Kompetenzen und kompetenzförderlichen Lernkontexten. (vgl. ThILLM 2010: S.6). Berufsorientierung wird in diesem Kontext als Förderung der Kompetenz verstanden, Berufsbiografien zu entwerfen, vorzubereiten und zu gestalten. (TMBWK 2013: S.6)
In dem Bewusstsein, dass Schulen direkte Verantwortung für den konkreten Berufswahlprozess übernehmen, ist das erklärte Ziel eine stärkere Individualisierung der Berufsorientierung, um bei den Schülern die Berufswahlkompetenz optimal zu entwickeln. Berufswahlkompetenz ist dabei als Bündel spezifischer kognitiver Fähigkeiten, motivationaler Orientierungen und Handlungsfähigkeit zu verstehen, die es einer Person ermöglichen, eine wohlbegründete Entscheidung für eine nachschulische Ausbildung zu treffen und sich in wiederkehrenden berufsbiografisch relevanten Situationen zu bewähren. Dabei finden besonders die Kompetenzen Beachtung, die notwendig sind, um Entscheidungen für einen Beruf oder ein Studium zu planen, umzusetzen und zu verantworten. Die Besonderheit dieses Entscheidungsprozesses ist, dass er auf keinerlei Erfahrung basiert und sein Erfolg sich erst nach dem Übergang in nachschulische Bildungswege zeigt. (vgl. ThILLM 165: S.11)
Das Thüringer Berufsorientierungsmodell soll ein Instrument sein, das Thüringer Schulen unterstützt, Berufsorientierungsmaßnahmen theoriegeleitet und passgenau dem jeweiligen Entwicklungsstand ihrer Schüler entsprechend anzubieten. (vgl. ThILLM 165: S.10) Es besteht aus drei Teilen, dem Kompetenzmodell, dem Kompetenzvermittlungsmodell und dem Implementationsmodell. Das Kompetenzmodell beschreibt vier Phasen, die von einer Person durchlaufen werden müssen, um eine begründete Berufswahl zu planen, durchzuführen und verantworten zu können. Diese Phasen bezeichnet das Modell als Einstimmen, Erkunden, Entscheiden und Erreichen. Auch diese Phasen sind wiederum untergliedert. Die nähere Betrachtung würde aber den Rahmen der vorliegenden Arbeit überschreiten.
Das Kompetenzvermittlungsmodell beschreibt, welches Wissen die Lehrkräfte in den jeweiligen Funktionen benötigen, um die Berufswahlkompetenz zu fördern.
Das Implementationsmodell umfasst Materialien und eine Strategie zur Entwicklung der Berufsorientierung in Schulen.
Das Thüringer Berufsorientierungsmodell soll dabei über die reine Betrachtung der Unterrichtsebene hinausgehen und die Notwendigkeit der Verankerung des Themas Berufsorientierung auf der Personal- und Schulorganisationsebene zeigen. (vgl. Holstein 2011: S.5)
Fraglich erscheint jedoch bei diesem innovativen und sehr anspruchsvollen Modell, ob es praxistauglich ist. Insbesondere ergeben sich derzeit erhebliche Verzögerungen bei der praktischen Implementierung. Lehrkräfte sind zum Teil fachlich, aber auch bezüglich der notwendigen zeitlichen Ressourcen überfordert. Schuleigene Berufsorientierungskonzepte müssen zum Teil neu entwickelt oder überarbeitet werden. Für einige Schulen bedeutet die Arbeit mit dem Thüringer Berufsorientierungsmodell sogar der Beginn einer völlig neuen Ära der Schularbeit.
Ohne professionelle Begleitung in Form von Beratung, Coaching oder ähnlichem, wie z. B. die Unterstützung durch die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit, wird eine Schulentwicklung im Sinne einer nachhaltigen Berufsorientierung nur schwer zu realisieren sein.
Bereits seit 2005 sinkt bundesweit die Zahl der an einer betrieblichen Ausbildung interessierten Schulabgänger und wird weiter zurückgehen. Im Gegenzug steigt der Trend zur Höherqualifizierung. Dies führe dazu, dass nach Prognosen des BiBB 2030 etwa eine Million Fachkräfte mit beruflicher Ausbildung fehlen werden. (vgl. Sell 2013)
Ein vergleichbarer Trend lässt sich auch für den Landkreis Weimarer Land und die Stadt Weimar beobachten. Daraus ergeben sich unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Arbeit verschiedene Fragenstellungen, wie:
- Warum finden regionale Unternehmen immer weniger „geeigneten“ Fachkräftenachwuchs?
- Korrespondiert der oben genannte Trend möglicherweise mit einem veränderten Berufswahlverhalten jugendlicher Berufswähler in der Region?
- Von welchen Rahmenbedingungen wird das aktuelle Berufswahlverhalten beeinflusst? Wird ein verändertes Berufswahlverhalten von Unternehmen in der Region bei der Rekrutierung von Nachwuchskräften überhaupt wahrgenommen?
- Gibt es Aufgabenbereiche im Unternehmen, für die ein verändertes Berufswahlverhalten jugendlicher Berufswähler in der Region von besonderer Bedeutung sind oder sein werden?
Zur Beantwortung der untersuchungsleitenden Fragestellungen wird ein deduktives Vorgehen gewählt. Dabei erfolgt der Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere.
Aktuelle Befunde werden dafür mit den ausgewählten Berufswahltheorien verglichen.
Bedingt durch die relativ große Anzahl der Teilnehmer sowie der begrenzten zeitlichen Ressourcen des Verfassers wurde von Einzelinterviews abgesehen.
Eine Sekundäranalyse vorhandener Datensätze war nicht möglich, da es bisher zum Untersuchungsgegenstand keine Befunde gibt.
Deshalb wurde als explorative Untersuchungsform die Befragung in Form eines anonymisierten Fragebogens gewählt. Unter Berücksichtigung der Zielstellung der Arbeit bietet dieser einen einheitlichen Referenzrahmen, der die Befragungsergebnisse vergleichbar macht.
Mit dem Fragebogen werden ausgewählte Aspekte des Berufswahlprozesses untersucht. Er enthält deshalb geschlossene, skalierte und offene Fragestellungen. Mit den geschlossenen Fragestellungen werden ausgewählte Aussagen verschiedener Berufswahltheorien überprüft. Mit den skalierten Fragestellungen werden Daten über Entwicklungsprozesse erhoben. Die offenen Fragestellungen wurden gewählt, um neue, aber bisher wenig beachtete Aspekte zu identifizieren.
Der Fragebogen wurde insbesondere zur Befragung von Schülern der Klassenstufe 10 an Thüringer Regelschulen konzipiert. Er soll Aussagen zum aktuellen Berufswahlverhalten jugendlicher Berufswähler in der Region Weimarer Land und der Stadt Weimar ermöglichen.
Im ersten Bereich wurden Daten zur schulischen Berufswahlvorbereitung, zu schulischen Defiziten, zu eigenen Talenten und zur praktischen Berufsorientierung erhoben.
In einem weiteren Themenkomplex werden Daten über externe Einflussfaktoren zur Berufswahl erhoben. Besondere Beachtung findet dabei der Einflussfaktor „Eltern“.
In einem nächsten Bereich werden Daten zu Entscheidungskriterien für einen Beruf und für das ausbildende Unternehmen erhoben.
Ein weiterer Abschnitt erhebt Daten zur Wahrnehmung der regionalen Unternehmen durch die Berufswähler im Bewerbungsprozess.
Den Abschluss bildet ein Kontrollbereich, der ggf. auf Fragestellungen hinweist, die unter Berücksichtigung der Zielstellung der vorliegenden Arbeit nicht oder kaum beachtet wurden.
Im folgenden Abschnitt soll die Untersuchung selbst genauer beschrieben werden. Neben dem Design und der Stichprobe werden die Rahmenbedingungen sowie die Durchführung und die Ergebnisse ausführlich dargestellt.
Bei der Befragung handelte es sich um eine einmalige Messung. Für diese Stichprobe wurden insbesondere Schüler der Klassenstufe 10, im Alter zwischen 15 und 17 Jahren, aus der Region des Weimarer Landes und der Stadt Weimar ausgewählt.
Die Auswahl erfolgte deshalb, weil sich die Untersuchung zum einen auf den Landkreis Weimarer Land und die Stand Weimar konzentrieren soll. Zum anderen stellt diese Personengruppe den größten Anteil an den Schulabgängern eines Jahrganges im Sekundarbereich I und den größten Anteil an Bewerbern um eine betriebliche Ausbildungsstelle.
Im September 2013 besuchten entsprechend den Klassenlisten der Regelschulen und auf Basis der internen Zählung der Berufsberatung der Agentur für Arbeit Weimar 554 Schüler die 10. Klasse der Regelschulen im Weimarer Land und der Stadt Weimar. 21,3% dieser Schüler beteiligten sich an der Befragung.
Im gleichen Zeitraum wurden unterschiedliche Personen untersucht. Die Untersuchung entspricht also einem Querschnittsdesign.
Der Befragungszeitraum wurde von Anfang Mai bis Ende Juni 2013 festgesetzt, weil in diesem Zeitraum regelmäßig der Großteil der Ausbildungsverträge unterzeichnet bzw. die Anmeldung an weiterführenden Schulen bereits erfolgt sind.
Daneben befanden sich die Probanden in der Prüfungsvorbereitung für den Realschulabschluss. Deshalb wurde der Befragungszeitraum auf zirka 8 Wochen festgesetzt. Der Stichtag 30.06.2013 war notwendig, da sich die Probanden am Ende der Prüfungsvorbereitung nur noch selten an der Schule aufhielten. Der Rücklauf der Fragebögen wäre sonst gefährdet gewesen.
Eine weitere Hürde ergab sich aus der Tatsache, dass das Weimarer Land ländlich geprägt ist. Der Einzugsbereich der Regelschulen ist groß, und die Schüler sind außerhalb der Schule schwer erreichbar. Deshalb wurde die Schule selbst als zentraler Ausgabe- und Rückgabepunkt für die Fragebögen ausgewählt. Unterstützt wurden die Verteilung und der Rücklauf der Fragebögen durch die Schulleiter, die Klassenlehrer und die Beratungslehrer.
3.3. Durchführung
Nach der Formulierung der untersuchungsleitenden Fragestellungen erfolgte im April 2013 eine schriftliche Anfrage zur Befragung an allen Regelschulen im Weimarer Land und der Stadt Weimar. Dabei wurden der Umfang und die Zielstellung, aber auch die notwendigen zeitlichen Ressourcen der Befragung dargelegt.
Eine Rückmeldung bzw. eine Erlaubnis zur Befragung der Schüler gaben 4 Regelschulen, die „Toskana-Schule“ - Staatliche Regelschule Bad Sulza, die „Pestalozzischule“ - Staatliche Regelschule Apolda, die Staatliche Regelschule „Am Lindenkreis“ Buttelstedt und die Staatliche Regelschule „Johann Heinrich Pestalozzi“ Weimar.
120 Fragebögen wurden am 02. Mai 2013 über die Schulen ausgegeben. Bis zum Stichtag 30. Juni 2013 waren 118 Fragebögen im Rücklauf. Alle 118 Fragebögen wurden ausgefüllt.
56 männliche und 62 weibliche Personen beteiligten sich aktiv an der Befragung. 2 Fragebögen wurden nicht ausgefüllt. Grund war die Erkrankung der Probanden.
Die Auswertung der Fragebögen erforderte einen zeitlichen Rahmen von ca. 1 Woche.
In folgenden Abschnitt werden die Themenbereiche der Stichprobe ausführlich beschrieben. Im Anschluss erfolgt die Beantwortung der untersuchungsleitenden Fragestellungen.
Mit der ersten Frage sollten die Probanden subjektiv einschätzten, ob sie in der Schule gut auf eine nachschulische Ausbildung vorbereitet wurden.
Die Schule hat mich gut auf die Ausbildung/ weiterführende Schule vorbereitet?
ja
nein
Die Frage wurde von 115 Schülern bearbeitet. 106 Probanden beantworteten die Frage mit ja, 9 Probanden mit nein. Von den 106 Ja-Stimmen entfielen 51 auf männliche und 55 auf weibliche Personen. Die 9 Nein-Stimmen verteilten sich auf 4 männliche und 5 weibliche Personen.
Die nächste Frage untersuchte die subjektiv wahrgenommen eigenen schulischen Defizite. Bei der Beantwortung waren Mehrfachnennungen möglich.
Die größten Defizite habe ich in
Mathematik
Deutsch
Englisch
Sonstiges
Keine
Die größten schulischen Defizite haben die Probanden mit 70 von 118 Befragten im Fach Mathematik. Davon sind 47 weibliche und 23 männliche Personen.
Weitere Defizite ergeben sich unter dem Punkt Sonstiges. 36 von 118 Personen gaben insbesondere Defizite in den Fächern Physik, Chemie, Biologie und Musik an. An dritter Stelle liegt das Fach Englisch. 26 von 118 Befragten geben hier Defizite an. 10 von 118 Personen haben Defizite in Deutsch.
Ebenfalls 10 von 118 Personen haben keinerlei schulische Defizite.
Im Anschluss hatten die Schüler die Möglichkeit im Rahmen einer offenen Impulsfrage zu ihren Talenten Stellung zu nehmen.
Meine größten Talente sind …
Die Antworten betonten insbesondere sozial-kommunikative Fähigkeiten. Aber auch kreative und sportliche Fähigkeiten wurden in unterschiedlichen Ausprägungen genannt.
Der Umgang mit dem Computer wurde nur in wenigen Fällen angegeben.
In einem weiteren Themenbereich sollten die Schüler die praktische Berufsorientierung in der Schule einschätzen.
Zunächst sollten die Probanden angeben, ob im Rahmen ihrer Schulzeit genügend Möglichkeiten bestanden, um berufspraktische Erfahrungen zu sammeln.
In der Schulzeit konnte ich ausreichend berufspraktische Erfahrungen sammeln?
ja
nein
Von 118 befragten Schülern antworteten 93 Schüler mit ja und 25 mit nein. Die Ja-Stimmen verteilten sich zwischen männlichen und weiblichen Personen nahezu gleich. Von den Nein-Stimmen entfielen 11 auf männliche und 14 auf weibliche Personen.
Die nächsten Fragen sollten eine Rückmeldung zum Stand der Schüler im Berufswahlprozess geben. Zunächst sollten die Schüler ihren Wunschberuf nennen. Danach wurde erhoben, ob die Schüler ein Praktikum im Wunschberuf absolvieren konnten.
Ich habe einen Wunschberuf
ja
nein
Hast du ein Praktikum in deinem Wunschberuf gemacht?
ja
nein
Von 118 Befragten konnten 86 Personen einen Wunschberuf nennen. 32 Personen, d.h. 27,1% hatten zum Untersuchungszeitpunkt keinen Wunschberuf.
Die genannten Berufe verteilen sich über das gesamte Spektrum der anerkannten Ausbildungsberufe und Studienberufe.
75 von 117 antwortenden Personen konnten ein Praktikum im Wunschberuf absolvieren. 42 von 117 Schülern, d.h. 35,8% konnten keine praktischen Erfahrungen im Wunschberuf sammeln. 1 Person gab keine Antwort.
Soweit kein Praktikum im Wunschberuf absolviert werden konnte, waren die Gründe:
- kein Angebot durch die Unternehmen,
- der Weg zum Unternehmen war zu weit,
- Sonstiges
Im Bereich Sonstiges wurde angegeben, dass kein Wunschberuf besteht oder dass ein Praktikum in einem ähnlichen Berufsfeld absolviert wurde.
1 Person hat die Frage nicht beantwortet.
Im nächsten Themenbereich wurden Daten zu externen Einflussnehmern im Berufswahlprozess erhoben. Die erste Frage erhob Daten zu Personen, die den Berufswahlprozess der Berufswähler stark beeinflusst haben.
Wer hat dich bei deiner Berufswahl stark beeinflusst?
Eltern/Familie
Freunde
Berufsberatung
Sonstige
Bei dieser Fragestellung waren Mehrfachnennungen möglich. Von 118 Probanden gaben 89 Personen an, durch Eltern und Familie in der Berufswahl beeinflusst worden zu sein. Darunter befanden sich 46 weibliche und 43 männliche Personen.
Zudem fühlten sich von 118 Befragten 30 Personen durch die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit im Berufswahlprozess beeinflusst.
Je 23 von 118 Personen gaben an, durch Freunde und Bekannte oder niemanden im Berufswahlprozess beeinflusst worden zu sein.
Mit der anschließenden Frage wurden Daten darüber erhoben, welchen Einfluss die Meinung der Eltern bei der eigentlichen Berufswahl hat.
Wie wichtig war dir die Meinung deiner Eltern bei der Berufswahl?
unwichtig
wichtig
sehr wichtig
Für 68 von 118 befragten Personen war die Meinung der Eltern wichtig, für 14 von 118 Personen sehr wichtig.
Auffällig war, dass für immerhin 34 von 118 Personen die Meinung der Eltern bei der Berufswahl unwichtig war. Dies entspricht 28,8%.
4 Personen gaben keine Antwort auf diese Frage.
Die abschließende Frage in diesem Themenkomplex erhebt Daten zu nachschulischen Ausbildungsgängen.
Nach der Schule…
beginne ich eine betriebliche Ausbildung
beginne ich eine schulische Ausbildung
besuche ich eine weiterführende Schule
Sonstiges
keine Idee
Von 118 Schülern beantworteten 115 Schüler diese Frage. 46 männliche Personen und 14 weibliche Personen beginnen nach der Schule eine betriebliche Ausbildung. 25 Schüler beginnen eine schulische Ausbildung. Davon sind 5 männlich und 20 weiblich. 33 Personen besuchen eine weiterführende Schule. Das entspricht einem Anteil von 27,9%.
Die Verteilung nach Geschlechtern ist ausgeglichen.
7 Schüler kreuzten „Sonstiges“ an. 4 Schüler hatten noch keine Idee für einen nachschulischen Weg.
Der nächste Themenbereich erhob Daten zur Entscheidung für einen Beruf. Dabei wurden verschiedene Kriterien vorgegeben. Diese orientieren sich an typischen Kriterien zur Berufswahl.
Was war für deine Berufsentscheidung besonders wichtig?
Ausbildungsvergütung
berufliche Perspektiven
meine Interessen
meine Fähigkeiten
meine Fertigkeiten
das Image des Berufes
die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen im Beruf
die Entfernung zum Wohnort
Erfahrungen im Praktikum
Sonstiges
Bei dieser Frage waren Mehrfachnennungen möglich. Sie wurde von 118 Schülern beantwortet.
Am wichtigsten waren den Schülern bei der Berufswahl die eigenen Interessen. Dies wurde von 106 Schülern benannt. Danach folgen mit 63 Antworten die eigenen Fähigkeiten und mit 61 Antworten die beruflichen Perspektiven. 43 Schüler hielten die eigenen Fertigkeiten und 40 Schüler die Ausbildungsvergütung für die Berufsentscheidung wichtig.
Für 39 Schüler war die Entfernung zum Wohnort besonders wichtig. Dabei überwog der Anteil an weiblichen Personen.
Danach folgten mit 37 Antworten die Erfahrungen im Praktikum und mit 30 Antworten die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen im Beruf.
21 Personen nannten das Image des Berufes als wichtig für die Berufsentscheidung. Dabei überwog der Anteil der männlichen Personen.
6 Personen kreuzten Sonstiges an.
Die nächste Frage untersucht die Entscheidungskriterien für den eigenen Ausbildungsbetrieb oder die gewählte Schule. Wiederum wurden Kriterien vorgegeben.
Weshalb hast du dich für deinen Ausbildungsbetrieb/ Schule entschieden?
meine Erfahrungen im Praktikum
Image des Unternehmens
Vergütung
Arbeitsklima/Umgang mit Azubis und Mitarbeitern
Arbeitsbedingungen/ Ausbildungsbedingungen
berufliche Perspektiven
Entscheidung meiner Eltern
Sonstiges
Auch bei dieser Frage waren Mehrfachnennungen möglich. Die Frage wurde von 118 Schülern beantwortet.
Für 65 Schüler waren die beruflichen Perspektiven das wichtigste Kriterium für die Wahl der ausbildenden Institution. Dabei überwogen leicht die Antworten von weiblichen Personen.
50 Personen hielten die Erfahrungen im Praktikum für entscheidungsrelevant. Es dominierten leicht die männlichen Personen mit 27 Antworten.
Für 38 Personen waren die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen und für 36 Personen das Arbeitsklima wichtig.
24 Personen hielten das Image des Unternehmens für bedeutend bei der Wahl des Ausbildungsbetriebes.
Jeweils 16 Personen nannten die Ausbildungsvergütung oder kreuzten unter Sonstiges an. Bei der Antwort zur Ausbildungsvergütung dominierten die männlichen Personen mit 12 Antworten.
4 Personen folgten bei der Wahl des Unternehmens der Entscheidung der Eltern. Darunter befanden sich 3 männliche Personen.
Ein weiterer Fragekomplex untersuchte das Bewerbungsverfahren. Insbesondere sollten hier Daten zur Wahrnehmung von Unternehmen durch die Berufswähler im Bewerbungsprozess erhoben werden.
Zunächst wurde gefragt, wie viele Bewerbungen notwendig waren, um erfolgreich in eine nachschulische Ausbildung einzumünden.
Wie viele Bewerbungen hast du geschrieben?
- 1
- mehr als 1
- mehr als 5
- mehr als 10
- mehr als 20
- keine
Diese Frage haben 117 Schüler beantwortet. Jeweils 29 Personen schrieben mehr als 1 oder mehr als 10 Bewerbungen. 25 Personen schrieben nur 1 Bewerbung, um erfolgreich in eine Ausbildung einzumünden.
22 Personen schrieben mehr als 5 Bewerbungen und 11 Personen mehr als 20 Bewerbungen. 1 Person war ohne Bewerbung erfolgreich bei der Bewerbung um eine nachschulische Ausbildungsmöglichkeit.
Im Ergebnis war der größte Teil der Befragten mit weniger als 20 Bewerbungen erfolgreich.
Mit der nächsten Frage wurde untersucht, wie das Verhalten der Unternehmen im Bewerbungsprozess durch die Schüler wahrgenommen wurde. Die Kriterien wurden dabei vorgegeben.
Wie haben dich die Unternehmen/Schulen im Bewerbungsverfahren behandelt?
- wertschätzend
- diskriminierend
- freundlich
- höflich
- abwertend
Die Frage wurde von allen Schülern beantwortet. Mehrfachnennungen waren möglich. 85 Schüler wurden freundlich und 70 Schüler höflich behandelt. 43 Schüler empfanden die Behandlung durch die Unternehmen wertschätzend.
3 Schüler wurden abwertend und 2 diskriminierend behandelt.
Weiterhin wurde nach dem Antwortverhalten der Unternehmen im Bewerbungsprozess gefragt.
Von wie vielen Unternehmen/Schulen hast du eine Rückmeldung
zu deiner Bewerbung erhalten?
- von keinem Unternehmen
- von wenigen Unternehmen
- von vielen Unternehmen
- von allen Unternehmen
Diese Frage haben 112 Schüler beantwortet. 50 Personen haben von allen und 33 Personen von vielen Unternehmen eine Rückmeldung zur Bewerbung erhalten. 28 Befragte haben von wenigen und 1 Person keinem Unternehmen eine Rückmeldung erhalten.
In einem weiteren Schritt wurde untersucht, wir gut die Schüler Bewerbungsverfahren und Schule miteinander vereinbaren konnten.
Wie gut konntest du Schule und Bewerbungsverfahren miteinander vereinbaren?
- ich konnte Schule und Bewerbungsverfahren (Tests, Vorstellungsgespräche usw.) gut organisieren
- Bewerbungsfristen, Auswahlverfahren, Rückmeldungen (Zusagen/Absagen) waren für mich zeitlich ungünstig gestaltet
- das Bewerbungsverfahren hat sich negativ auf meinen Schulalltag/ Leistungen ausgewirkt
- Sonstiges
Diese Frage beantworteten 114 Personen. 89 davon konnten Schule und Bewerbungsverfahren gut miteinander vereinbaren. Für 18 Schüler waren Bewerbungsfristen, Auswahlverfahren zeitlich ungünstig gestaltet.
5 Personen gaben an, dass sich Bewerbungsfristen, Auswahlverfahren und Rückmeldungen negativ auf die schulischen Leistungen und den schulischen Alltag ausgewirkt haben. 2 Schüler kreuzten Sonstiges ohne nähere Erklärung an.
Die abschließenden Fragen untersuchen insbesondere die Akzeptanz von unbekannten Berufsbezeichnungen bei der Berufswahl.
Würdest du auch einen Beruf mit einer neuen, für dich bisher unbekannten Berufsbezeichnung erlernen?
ja
nein
Diese Frage beantworteten 113 Schüler. 90 Schüler antworteten mit ja, 23 Schüler mit nein. Bei den Nein-Antworten waren meist fehlende Kenntnis über Ausbildungsinhalte und typische Tätigkeiten im Beruf die Begründung.
Mit den letzten, offenen Fragestellungen soll erhoben werden, welche Gründe dafür verantwortlich sind, dass sich Schüler trotz der zirka 340 anerkannten Ausbildungsberufe weiterhin nur für wenige ausgewählte Berufe entscheiden.
Weshalb bewerben sich Jugendliche besonders für die „klassischen“ Berufe? (z.B. Verkäufer usw.)
Typische Antworten waren:
Diese Berufe sind bekannt. Sie sind einfach zu erlernen, man muss nicht viel dazulernen und kann schnell Geld verdienen.
Zudem sind diese Berufe immer gefragt und werden wohnortnah angeboten. Man kann damit überall arbeiten.
Es gibt in diesen Berufen die meisten Ausbildungsstellen. Zudem sind Ausbildungs- und Arbeitsstellen in diesen Berufen stabil und sicher.
Diese Berufe werden angestrebt, weil die schulischen Leistungen nicht zu mehr reichen.
Daten über noch unbeachtete Aspekte bei der Berufswahl wurden mit der abschließenden Fragestellung erhoben.
Welchen Tipp würdest du Unternehmen geben, die einen Azubi suchen?
Ein zentraler Aspekt waren für die Schüler die Schulnoten. Diese sollten weniger bei der Bewerberauswahl berücksichtigt werden. Stattdessen solle mehr auf die tatsächlichen Fähigkeiten geachtet werden.
Die Werbung um Azubis solle mehr adressatengerecht sein. Unternehmen sollten sich aus Schülersicht mehr mit Schule vernetzen und auf schulische Belange Rücksicht nehmen. So sollen Vorstellungsgespräche und Eignungstests nicht in Schulzeit stattfinden. Mehrfach wurde der Wunsch an die Unternehmen nach mehr Praktikumsmöglichkeiten formuliert. Zusätzlich sollten interessierten Schülern mehr Möglichkeiten geboten werden, die beworbenen Zielunternehmen selbst besser kennenzulernen.
Weiterhin wurde betont, dass Unternehmen mehr Anreize bei der Besetzung ihrer Ausbildungsplätze bieten sollten. Diese müssten aber nicht ausschließlich monetärer Art sein.
Daneben betont ein Großteil der Befragten die Wichtigkeit eines angenehmen Arbeitsklimas im Unternehmen.
Im Bewerbungsverfahren wünschen sich die Schüler mehr Wertschätzung und Respekt. Insbesondere sollten Unternehmen schnell auf eingehende Bewerbungen reagieren und den Schülern eine kurze Rückmeldung zum Bewerbungsstand geben.
Im folgenden Abschnitt werden die Forschungsfragen genauer betrachtet.
Insbesondere werden die Daten aus dem Fragebogen mit den derzeit vorherrschenden berufswahltheoretischen Ansätzen verglichen. In der Ableitung soll dann von den bestätigten theoretischen Ansätzen auf die Besonderheiten der jugendlichen Berufswähler im Landkreis Weimarer Land und der Stadt geschlossen werden. Diese Erkenntnisse werden dann im Kontext der unter 2.1 und 2.3 behandelten regionalen sozio-kulturellen und sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen betrachtet. Die Ergebnisse liefern dann die Antworten auf die Forschungsfragen.
Werden die Befunde zunächst mit dem Erklärungsansatz verglichen, der die Berufswahl als gesellschaftlichen Zuordnungsprozess begreift, kann festgestellt werden, dass Eltern und Familie, im weiteren Prozess aber auch andere Akteure den Berufswahlprozess beeinflussen. Auch in der Entscheidungsphase haben Eltern und Familie einen erheblichen Einfluss.
Ökonomische Einflussfaktoren wurden mit dem Fragebogen nicht primär untersucht. Jedoch bestätigen die Befunde eindeutig die sozio-kulturellen Einflussfaktoren bei der Berufswahl. Dies belegen insbesondere die Daten zu den Entscheidungskriterien für einen Beruf und für einen bestimmten Ausbildungsbetrieb.
Es kann weiterhin festgestellt werden, dass der Berufswahlprozess eng mit der persönlichen Entwicklung der jugendlichen Berufswähler verbunden ist. Dies bestätigt den Erklärungsansatz, der die Berufswahl als Entwicklungsprozess begreift.
Die Probanden befinden sich entsprechend ihrem Alter in der Phase der Probewahl. Es ist festzustellen, dass insbesondere die eigenen Interessen, Fähigkeiten und Fertigkeiten bedeutenden Einfluss bei der Entscheidung für einen Beruf haben. Für einen nicht unerheblichen Teil der befragten Schüler wird die Berufswahl zusätzlich durch eigene Wertvorstellungen beeinflusst.
Nach diesem entwicklungspsychologischen Erklärungsansatz ist aber eine realistische Berufswahl im Alter zwischen 15 und 16 Jahren nur bedingt möglich. Diese Ansicht untermauern die Befunde aus dem Fragebogen. So hatten immerhin 27,1 % der befragten Schüler keinen Wunschberuf.
Den lerntheoretischen Ansatz können die Befunde der Befragung nur indirekt stützen. Dieser Ansatz betont, dass Lernerfahrungen Handlungsketten entstehen lassen, aus denen sich weitere berufliche Laufbahnen entwickeln.
Befunde aus dem Fragebogen zeigen, dass die Schüler sowohl über negative als auch positive Lernerfahrungen im Zusammenhang mit der Berufswahl verfügen. Dies bestätigen die Befunde zu den schulischen Defiziten und den eigenen Talenten.
Diese Theorie wird auch durch die Erkenntnis gestützt, dass etwa 64% der Befragten ein Praktikum im Wunschberuf absolviert haben. Für 31,3% war das Praktikum entscheidend für die Wahl des Berufes. Zusätzlich war für 42,4 % der befragten Schüler das Praktikum entscheidend für die Wahl des eigenen Ausbildungsbetriebes. Somit wird bestätigt, dass insbesondere realitätsnahe Angebote die Lernerfahrung den Berufswahlprozess unterstützen. Dies wird umso mehr durch die Forderung der Schüler nach mehr Praktikumsmöglichkeiten unterstrichen.
Werden die Untersuchungsbefunde mit dem Erklärungsansatz verglichen, der die Berufswahl als Zuordnungsprozess begreift, so kann festgestellt werden, dass auch die befragten Schüler einen Prozess der Selbstexploration durchlaufen, an dessen Ende die Berufswahlentscheidung steht. Auch sie sind bestrebt, einen Beruf zu wählen, der am besten dem eigenen Persönlichkeitsmuster entspricht.
Dies bestätigen insbesondere die Befunde zu den Entscheidungskriterien für einen Ausbildungsberuf. So entscheiden sich 87,3% der befragten Schüler interessengeleitet für einen Beruf. Und noch 53,4 % der Befragten entscheiden sich auf Grund ihrer eigenen Fähigkeiten für einen Beruf.
Jedoch zeigen die Befunde auch, dass es einen nicht unerheblichen Anteil in dieser Altersgruppe gibt, der sich der eigenen Interessen und insbesondere der eigenen Fähigkeiten noch nicht bewusst ist. Dies lässt darauf schließen, dass diese Gruppe den Prozess der Selbstexploration und den anschließenden Matching- Prozess noch nicht beenden konnte.
Die Befunde bestätigen auch den entscheidungstheoretischen Erklärungsansatz zur Berufswahl. Die befragten Schüler befinden sich in Entscheidungssituationen, in denen sie durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst werden. So wird nachgewiesen, dass insbesondere Eltern und Familie, aber auch Freunde und Institutionen auf die Berufswahlentscheidung Einfluss nehmen.
Zusätzlich nutzen die Befragten Entscheidungskriterien zur Berufswahl. Neben persönlichkeitsbezogenen Kriterien beziehen die jugendlichen Berufswähler auch zunehmend werteorientierte Kriterien und wirtschaftliche Rahmenbedingungen in den Entscheidungsprozess ein.
Welches Entscheidungsverhalten dominiert, konnte mit den Befunden jedoch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Da jedoch 55% der befragten Schüler angaben, dass die beruflichen Perspektiven für die Berufswahlentscheidung wichtig waren, ergibt sich ein Hinweis darauf, dass ein Großteil der Schüler gut informiert sein muss. Dies wiederum legt nahe, dass es sich wahrscheinlich innerhalb dieser Gruppe um eine Vernunftwahl handelt.
Andererseits bedeutet dies gleichzeitig, dass sich die anderen 45 % der Befragten bei der Berufswahlentscheidung „durchwursteln“ oder sich intuitiv entscheiden.
Die Befunde aus dem Fragebogen bestätigen insgesamt die vorherrschenden Berufswahltheorien. Erhebliche Abweichungen lassen sich nicht erkennen.
Die unterschiedlichen Erklärungsansätze zur Berufswahl betonen aber, dass die Berufswahl nicht statisch ist. Sie ist ein Prozess, der Veränderungen unterworfen ist.
Wie bereits beschrieben, verändern sich die sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen für den Berufswahlprozess. Jugendliche Berufswähler müssen neben den eigenen Kriterien wie Interessen und Fähigkeiten auch die demografische Entwicklung in der Region, die regionale wirtschaftliche Struktur und die schulische Berufsorientierung im Prozess der Berufswahl berücksichtigen.
Ausbildungsmarkt und die persönliche Werteordnung der jugendlichen Berufswähler im Weimarer Land und der Stadt Weimar sind nachweislich einem Veränderungsprozess unterworfen. Dies wird bereits dadurch deutlich, dass 65% der befragten Schüler nur 1 bis maximal 10 Bewerbungen schreiben mussten, um in eine nachschulische Ausbildung einmünden zu können.
Da sich also die Rahmenbedingungen geändert haben und weiter ändern werden, sind auch die Berufswähler bestrebt, ihr Berufswahlverhalten daran auszurichten.
78,8% der befragten Schüler gaben an, in der Schulzeit ausreichend berufspraktische Erfahrungen gesammelt zu haben. 75,4 % der Schüler wurden bei der Berufswahl durch Eltern und Familie und 25,4% durch die Berufsberatung beeinflusst. Im Rahmen der schulbezogenen Berufsorientierung erhalten Schüler umfassende Informationen zum regionalen und überregionalen Ausbildungsmarkt. Dies impliziert, dass dem überwiegenden Teil der Berufswähler Informationen zum regionalen Ausbildungsmarkt bekannt sind bzw. selbst erschlossen werden können.
Diese Kenntnis gestattet es den jugendlichen Berufswählern, neben den persönlichkeitsbezogenen Entscheidungskriterien wie den eigenen Interessen, Fähigkeiten und Fertigkeiten weitere Entscheidungskriterien bei der Berufswahl zu präferieren. So sind für 55% der Befragten die beruflichen Perspektiven im Unternehmen am wichtigsten. Nur für 33,8% der befragten Schüler war die Ausbildungsvergütung entscheidend bei der Berufswahl. Auch die Entfernung zum Wohnort und die Erfahrungen im Praktikum sind bedeutende Entscheidungskriterien.
Diese Befunde bestätigen einen Trend, nach dem sich die Werteorientierung Jugendlicher verändert. Als Werteorientierung werden Persönlichkeitsmerkmale bezeichnet, die durch Erziehung, Erfahrungen und soziale Kontakte verinnerlicht wurden. Diese können in Form von allgemeinen Lebenszielen erfragt werden, mit denen sich der Einzelne in Bezug auf seine gesellschaftliche Umwelt subjektiv einordnet. (vgl. Gensicke 2010: S. 195)
Während die 12- bis 14-Jährigen noch eine deutliche Priorität beim Lebensgenuss setzt, steigt bei den 15- bis 17-Jährigen die Leistungsorientierung sprunghaft an. Jugendliche in dieser Altersgruppe streben zunehmend nach einem hohen Lebensstandard. (vgl. Gensicke 2010: S. 200)
Eine zentrale Rolle bei der Werteorientierung spielen nach wie vor mikrosoziale Netzwerke, wie Familie, Partnerschaft und Freunde. Jugendliche legen besonderen Wert auf persönliche und verbindliche soziale Bindungen. (vgl. ebd.: S. 196) Die Befunde der Befragung stützen diese Einschätzung. Wie bereits dargestellt, werden Berufswähler erheblich durch Eltern und Familie beeinflusst. So war für 70% der befragten Schüler die Meinung der Eltern wichtig bzw. sehr wichtig.
Die Befunde stützen aber auch eine Übertragung der Erkenntnisse über eine veränderte Werteorientierung auf den „Partner“ Ausbildungsbetrieb. So sind für jeweils etwa 32% der befragten Schüler das Arbeitsklima bzw. die Arbeits- und Ausbildungsbedingungen entscheidungsrelevante Kriterien für einen Ausbildungsbetrieb.
Wie bereits unter 2.3 beschrieben, soll auch die Institution und der Lernort Schule einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Berufswahl jugendlicher Berufswähler haben. Dass die Schulen dabei auf einem guten Weg sind, bestätigen die Befunde der Befragung. 89,8 % der befragten Schüler schätzen immerhin ein, dass die Schule sie gut auf die Ausbildung bzw. eine weiterführende Schule vorbereitet hat.
Dass Schule auch ausreichend Gelegenheit gibt, praktische Erfahrungen zu sammeln, bestätigen immerhin 78,8% der Schüler. Schulische Berufsorientierung im Landkreis Weimarer Land und der Stadt Weimar hat somit erhebliche Auswirkungen auf das Berufswahlverhalten jugendlicher Berufswähler in der Region.
Jedoch zeigen die Befunde auch, dass 59,3% der Befragten schulische Defizite in Mathematik haben. Mehr als zwei Drittel davon sind weibliche Personen. Diese Ergebnisse werfen deshalb die Frage auf, ob die in den letzten Jahren in Thüringen stark forcierte schulische Berufsorientierung zu Lasten der schulischen Grundbildung geht. Leider kann diese Frage unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Arbeit an dieser Stelle nicht beantwortet werden.
Wie die Befunde zeigen, verhalten sich die jugendlichen Berufswähler in der Region Weimarer Land und der Stadt Weimar entsprechend den Berufswahltheorien normal.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Berufswahl verdeutlichen aber, dass sich der Prozess der Berufswahl immer in Abhängigkeit von verschiedenen Rahmenbedingungen, wie regionalen sozio-kulturellen und ökonomischen Besonderheiten vollzieht.
Da sich diese Rahmenbedingungen in der Region derzeit rasant verändern, sind die jugendlichen Berufswähler bestrebt, sich diesen Veränderungen „anzupassen“.
Um den gesellschaftlichen und arbeitsmarktlichen Anforderungen zu genügen und um eigene Lebensentwürfe gestalten zu können, sind die Schüler bestrebt, nicht irgendeine nachschulische Ausbildung zu beginnen, sondern die individuell bestmögliche.
Die Folge ist, dass ein größer werdender Teil der Schüler aus dem Sekundarbereich 1 zunächst den individuell bestmöglichen und höchstmöglichen Schulabschluss anstrebt. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass immerhin 27,9% eine weiterführende Schule besuchen werden.
Berufliche Perspektive, Respekt und Wertschätzung sind dominierende Kriterien bei der Berufswahl. Erfahren die jugendlichen Berufswähler nicht unverzüglich durch die Unternehmen eine Reaktion auf ihre Bewerbungen, suchen sie oft die Alternative über eine weiterführende Schule. Diese Schulzweige nehmen derzeit in ungewohnten Größenordnungen Schüler auf, um wiederum für den notwendigen akademischen Nachwuchs zu sorgen.
Die Unternehmen der Region werden durch die Schüler grundsätzlich positiv wahrgenommen. Sie sind sogar offen für neue, unbekannte Berufe. Dazu tragen vor allem Messen und Schülerpraktika bei.
Jedoch ändert sich, bedingt durch gesellschaftliche Veränderungsprozesse und den veränderten Ausbildungs- und Arbeitsmarkt auch die Werteorientierung der jugendlichen Berufswähler. Diese Veränderungen lassen aber nur bedingt Rückschlüsse auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Schüler zu. Klagen von Unternehmen, man finde keine geeigneten Auszubildenden, sind deshalb pauschal und populistisch.
Schüler wünschen sich, ihre Fähigkeiten im Praktikum unter Beweis stellen zu können, und dies trotz schulischer Defizite. Jedoch gibt es dazu regional nur wenige Möglichkeiten.
Auch die Außenwirkung dieser Einschätzung ist fatal, da die Jugendlichen, die sich in einem persönlichen Entwicklungs- und Reifeprozess befinden, diese Einflüsse auf ihr Entscheidungsverhalten einwirken lassen und sich deshalb in ihrer beruflichen Entscheidung auf bekannte, einfach zu lernende Berufe „reduzieren“.
Zwar suchen Unternehmen in der Region schon immer Fachkräftenachwuchs. Jedoch hat sich nicht nur der Ausbildungsmarkt verändert, sondern auch der jugendliche Mensch im Prozess der Berufswahl. Es genügt also nicht mehr, alt bekannten Methoden zur Nachwuchsgewinnung einen neuen Namen zu geben. Unternehmen, die eine nachhaltige Nachwuchsgewinnung und Nachwuchsbindung im Focus haben, müssen das Berufswahlverhalten der Zielgruppe, den Berufswahlprozess und dessen besondere Einflussfaktoren kennen und bei der Rekrutierung von Fachkräftenachwuchs beachten.
Bisher wurden jedoch keine Daten zum Berufswahlverhalten jugendliche Berufswähler im Weimarer Land und der Stadt Weimar erhoben. Insofern bilden die vorliegenden Befunde eine erste Stichprobe.
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