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Mehr InfosBachelorarbeit, 2013, 38 Seiten
Soziologie - Familie, Frauen, Männer, Sexualität, Geschlechter
Bachelorarbeit
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Der soziologischen Sichtweise zufolge ist die Gesellschaft in der wir leben, mit ihren Regeln, Normen und Zwängen stets ein Produkt unseres eigenen Handelns (vgl. Meuser 2008: 633). So ist auch die Geschlechterdifferenzierung zweifelsfrei ein Bestandteil gesellschaftlicher Wirklichkeit. Gerade bei dieser sozialen Differenzierung wird die Soziologie aber vor besondere theoretische Herausforderungen gestellt, da dem Geschlecht automatisch ebenso eine biologische Dimension zugewiesen wird. Die Geschlechterdifferenz scheint demnach „weder völlig gegeben noch völlig konstruiert, sondern beides“ (Meuser 2008: 633). Dies wirft immer wieder erneut die Frage nach dem Verhältnis von Biologie und Kultur auf, die auch in der vorliegenden Arbeit immer wieder ihre Beachtung finden soll.
In den 1970er Jahren entwickelt sich die Frauenforschung erstmals weg von einer rein biologischen Betrachtung des Geschlechts und nimmt eine soziale Perspektive in die Geschlechterbetrachtung auf (vgl. Gildemeister 2010: 138). Seitdem basieren die Ansätze der Frauen- und Geschlechterforschung auf der Unterscheidung von sex, dem biologischen Geschlecht und gender, dem sozialen Geschlecht und konzentrieren sich auf Basis der körperlichen Gegebenheiten auf die Analyse des sozialen Geschlechts (vgl. Wetterer 2010: 126).[1] Diese Trennung von sex und gender bringt zunächst enorme Vorteile mit sich. Durch diese Differenzierung wird gender als soziales Konstrukt enttarnt und gleichzeitig aufgedeckt, dass „dichotome Geschlechterzuschreibungen, Geschlechterrollen und Hierarchisierungen historisch entstanden sind“ (Küppers 2012) sowie aus gesellschaftlichen Strukturierungen, Bedeutungszuschreibungen und Aushandlungen resultieren (vgl. Küppers 2012).[2]
Hervorzuheben ist, dass die sex/ gender Unterscheidung auf der Alltagstheorie der natürlichen Zweigeschlechtlichkeit der Menschen basiert, die beinhaltet, dass jeder Mensch aufgrund der typischen biologischen Geschlechtsmerkmale entweder der Kategorie der Frauen oder der Kategorie der Männer angehört und es kein Geschlecht dazwischen gibt (vgl. Wobbe/ Nummer-Winkler 2007: 291f.). Diese Theorie soll daher zunächst detailliert erläutert werden, um sich der Ausgangssituation menschlichen Denkens bewusst zu werden, denn im Verlauf dieser Arbeit wird immer wieder darauf verwiesen werden. Die Selbstverständlichkeit der Zweigeschlechtlichkeit repräsentiert die „Norm“[3] in der westlichen Gesellschaft, der sich ihre Individuen stets versuchen anzupassen. In Kapitel 3.2 soll dies später deutlich gemacht werden, wenn aufgeführt wird, wie Transsexuelle versuchen sich dieser „Norm“ zu fügen. Wie in der Einleitung beschrieben, wird aber diese Ansicht der vorgegebenen biologischen Binarität der Geschlechter im Verlauf dieser Arbeit in Frage gestellt und aufgezeigt, dass diese binäre Geschlechtsdifferenzierung lediglich von der westlichen Gesellschaft konstruiert wird. Sogleich im Anschluss an die Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit wird ihr folglich die konstruktivistische Sichtweise gegenübergestellt, um die zwei konträren Positionen, mit denen sich diese Arbeit beschäftigt, dem Leser deutlich vor Augen zu führen.
Für jeden Menschen der westlichen Gesellschaft ist es eine Selbstverständlichkeit, dass es zwei, und nur zwei, Geschlechter gibt und jedes Individuum entweder dem einen oder dem anderen Geschlecht angehört, also entweder ein Mann oder eine Frau ist (vgl. Wobbe/ Nummer-Winkler 2007: 289). Es lassen sich fünf Prämissen zur Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit aufstellen, die im Folgenden erläutert werden (vgl. Wobbe/ Nummer-Winkler 2007: 291f.).
Wie bereits aufgeführt, liegt eine Binarität der Geschlechter vor, das heißt, dass es genau und definitiv nur zwei Geschlechter gibt. Äußerliche Zeichen wie die Stimme, Kleidung, Gestik, Mimik, Bewegung, Gestalt und vor allem biologische Merkmale eines Menschen sind entscheidend bei der Zuordnung eines Geschlechts. Ein Mann oder eine Frau kann anhand der Genitalien zweifelsfrei erkannt werden. Die Geschlechtszugehörigkeit einer Person ist exklusiv, es gibt also keine Doppelzugehörigkeit zum einen und dem anderen Geschlecht, sondern nur eine „richtige“ Zugehörigkeit zur Kategorie der Frau oder des Mannes. Weiterhin ist die Geschlechtszugehörigkeit askriptiv, dies bedeutet, dass man nichts für sein eigenes Geschlecht kann und es einem einfach zugeschrieben wurde. Damit einhergehend ist die Vorstellung, dass man das Geschlecht selbstverständlich ein Leben lang beibehält und kein Wechsel der Geschlechtszugehörigkeit vorgesehen ist. Geschlecht ist demnach invariant.
Diese Annahme, dass das Geschlecht natürlich vorgegeben, biologisch eindeutig bestimmbar und der Mensch keinen Einfluss auf das Geschlecht hat, scheint ebenso einleuchtend und richtig wie die Vorstellung, dass dies überall und in jeder Kultur so ist und bereits zu allen Zeiten so war (vgl. Wetterer 2010: 126). Intention des Autors ist es, mittels der vorliegenden Arbeit diese Ansicht anzuzweifeln und dem Leser eine konstruktivistische Sichtweise auf die Geschlechterkonstruktion zu vermitteln. Um nun einen theoretischen Eindruck konstruktivistischer Theorien zu bekommen, die das Geschlecht entgegen der Grundhypothese westlicher Gesellschaften nicht als natürlich vorgegebene Tatsache, sondern in vollem Maße als soziales Konstrukt betrachten, wird anknüpfend die konstruktivistische Sichtweise ausgeführt.
Die selbstverständliche Hypothese, die tief in den Köpfen der westlichen Gesellschaftsmitglieder verankert ist, kontrahiert mit den konstruktivistischen Theorieansätzen über das Geschlecht als soziales Konstrukt. Die Theorie der Geschlechterkonstruktion beinhaltet nämlich, dass diese Konstitution der Zweigeschlechtlichkeit selbst zum Gegenstand der Forschung gemacht wird (vgl. Meuser 2008: 633). An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die Unterscheidung von sex und gender, wie sie eingangs dieser Arbeit beschrieben wurde, in der aktuellen Geschlechtersoziologie nur noch rar verwendet wird (vgl. Küppers 2012). Dies liegt darin begründet, dass sich die Unterscheidung von sex und gender als zu undifferenziert und damit als Nachteil entpuppte, weil die Geschlechterunterschiede nach wie vor auf den biologischen Unterschied reduziert wurden. Dabei wurde außer Acht gelassen, dass die Biologie, wie im Verlauf dieser Arbeit aufgeklärt werden soll, selbst uneindeutiger und komplexer ist, als „in der Lesart des Alltagsverständnisses“ (Küppers 2012) und selbst die Biologie eine gesellschaftliche Unternehmung ist. Konstruktivistische Theorien betrachten also nicht mehr nur die sozialen Folgen, die das biologische Geschlecht mit sich bringt, als soziales Konstrukt, sondern die Geschlechterdifferenzierung selbst. Aus dem besagten Grund wird, anders als in den Ansätzen der zuvor erwähnten Frauen- und Geschlechterforschung, auch das biologische Geschlecht der Menschen historisiert und als Effekt sozialer Praxis und nicht als Grundlage dessen verstanden (vgl. Hirschauer 1989: 101). Die soziale Wirklichkeit zweier Geschlechter wird diesem Konzept zufolge in unserer Gesellschaft als Ergebnis historischer Entwicklungsprozesse und „einer fortlaufenden sozialen Praxis, die immer neu auch zur Reproduktion der Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit beiträgt“ (Wetterer 2010: 126) begriffen.
Obwohl sich konstruktivistische Ansätze teilweise enorm unterscheiden, teilen sie diesen gemeinsamen erkenntnistheoretisch begründeten Ausgangspunkt, indem sie „die Unterscheidung von Natur und Kultur rsp. von [s]ex und [g]ender nicht ihrerseits fortschreiben, sondern als Bestandteil einer reflexiven sozialen Praxis begreifen, die beides zugleich hervorbringt“ (Wetterer 2010: 126). In Theorien der sozialen Konstruktion des Geschlechts existieren „keine außerkulturelle Basis sozialen Handelns, keine vorsoziale Grundlage oder Anschlussstelle sozialer Differenzierungs- und Klassifikationsprozesse [und] keine der Geschichte vorgelagerte ‚Natur des Menschen (mehr)‘“ (Wetterer 2010: 126), die die Gegenwart vorformen. Natur und Kultur werden wie sex und gender als gleichursprünglich verstanden und bedingen sich wechselseitig (vgl. Gildemeister/ Wetterer 1992: 210). Dies liegt nach Douglas darin begründet, dass eine natürliche und von der Soziologie unabhängige Betrachtung und Wahrnehmung des menschlichen Körpers gar nicht existieren kann (vgl. Douglas 1974: 106). So kommt man in Theorien der Geschlechterkonstruktion zu dem Schluss, dass es „keine notwendige, naturhaft vorgeschriebene Zweigeschlechtlichkeit gibt, sondern nur verschiedene kulturelle Konstruktionen von Geschlecht“ (Hagemann-White 1988: zit. n. Wetterer 2010: 126).[4]
Um die Sichtweise verständlicher zu machen, dass der Körper eines Individuums als ein Effekt sozialer Prozesse und nicht als Basis dessen erfasst wird, werden nun diesbezüglich die aussagekräftigsten Argumente von Hirschauer komprimiert angeführt (vgl. Hirschauer 1989: 101-103).[5] Zunächst einmal stellt sich in der konstruktivistischen Kulturanthropologie die Frage, die sonst überall vorausgesetzt wird; die Frage nach dem, was Männer und Frauen eigentlich sind. Dabei kommt Pomata zu der Erkenntnis, dass „Frau“ kein natürliches Symbol ist, „es hat keine wesentliche und universale Bedeutung“ (Pomata 1983: zit. n. Hirschauer 1989: 101). Weiterhin führt Hirschauer Cucchiaris’ Feststellung an, dass Genitalien nicht aufgrund ihrer Gestalt Geschlechtszeichen sind, sondern ihre Unterscheidung führt nur wegen einer entsprechenden geburtlichen Zuschreibungspraxis und einer „präkonstruierten Zeichenhaftigkeit der Genitalien“ (Hirschauer 1989: 101) zur Klassifikation von Personen und nicht automatisch dazu (vgl. Cucchiaris 1981: zit. n. Hirschauer 1989: 101). Hirschauer betont an dieser Stelle:
Die Vorstellung einer Initialunterscheidung trägt nur unter dieser Voraussetzung und nur für die Geschlechtskennzeichnung eines Individuums. Die kulturelle Wirklichkeit zweier Geschlechter kann nicht aus einem Unterschied der Genitalien ‚folgen’, da sie Geschlechtszeichen nur im bereits bestehenden Kontext dieser Wirklichkeit sind (Hirschauer 1989: 101).
Zudem führt Hirschauer an, dass die Biologie vorsätzlich nach Eigenschaften und Unterschieden zweier Geschlechter sucht, da sie zweifelsfrei an die oben aufgeführte kulturell etablierte Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit anknüpft. Dabei nutzt die Biologie ganz einfach Alltagsmethoden der Geschlechtszuschreibung, weil sich somit ihr Untersuchungsgegenstand identifizieren lässt, „denn zur Feststellung von ‚Geschlechtsunterschieden’ und (biologischen) ‚Geschlechtsmerkmalen’ müssen immer bereits ‚Geschlechter’ unterschieden sein“ (Hirschauer 1989: 102). Die Beschreibung des Geschlechts ist also kein direktes Abbild der Natur, sondern eine von gesellschaftlichen Vorstellungen geprägte soziale Praxis (vgl. Küppers 2012). Bei Unterscheidungen, die sich auf das biologische Geschlecht des Menschen zur Unterscheidung zweier Geschlechter berufen, ist völlig außer Acht gelassen worden, dass die Biologie selbst eine gesellschaftliche Unternehmung ist (vgl. Küppers 2012).
Um das Verhältnis von Biologie und Kultur näher beleuchten zu können und einen Einblick zu bekommen, wie das Geschlecht in der Biologie tatsächlich definiert wird, wird anschließend die naturwissenschaftliche Seite der Unterscheidung, was Männer und Frauen sind, und die Komplexität dessen beschrieben.
Wie bereits angedeutet, ist es bei keiner anderen sozialen Unterscheidung so einfach Unterschiede auf biologische zu gründen, wie bei der Differenzierung von Frau und Mann (vgl. Meuser 2008: 643). Zugegebenermaßen scheint eine Naturalisierung sozialer Ungleichheit naheliegend und nirgendwo so einfach möglich, wie bei der geschlechtlichen Kontradiktion, weshalb die Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit jedem Menschen der westlichen Gesellschaft einleuchtend vorkommen sollte, die er aus dem Stehgreif nicht zu widerlegen denkt. Denn wie Bourdieu es treffend formuliert, erscheint der anatomische Unterschied der Sexualorgane „als unanfechtbare Rechtfertigung des gesellschaftlich konstruierten Unterschieds zwischen den Geschlechtern“ (Bourdieu 1997: zit. n. Meuser 2008: 635). Allerdings sind die naturwissenschaftlichen Unterscheidungen dazu, was den Unterschied zwischen Frauen und Männern bedingt, sehr uneindeutig und ergeben nicht die Eindeutigkeit, die allgemein erwartet bzw. vorausgesetzt wird, wenn man zur Rechtfertigung der sozialen Unterschiede auf die Biologie verweist (vgl. Meuser 2008: 635).
In der Biologie unterteilt man sex in vier Teilbereiche: In chromosomales, gonadales, morphologisches und hormonelles Geschlecht (vgl. Küppers 2012). Das chromosomale Geschlecht bezieht sich auf die Chromosomenkonstellation der Individuen wie XX und XY. Mit gondalem Geschlecht sind die inneren Fortpflanzungsmerkmale des Menschen gemeint und mit morphologischem Geschlecht dementsprechend die Genitalien und sekundären Geschlechtsmerkmale. Das hormonelle Geschlecht bezeichnet die Hormonkonzentration eines Menschen. Bereits aus der Oberstufe bekannt sein müsste den meisten die typische Chromosomenkonstellation des Mannes XY, während für Frauen XX gewöhnlich ist (vgl. Pädagogisches Landesinstitut RLP 2012: 14). Jedoch gibt es neben diesen weitere Konstellationen der Chromosomen wie z.B. XXY oder XXYY (vgl. Hohmann 2013). Aber auch bei gondalem, hormonellem und morphologischem Geschlecht sind Variationen bekannt (vgl. Meuser 2008: 635).[6] Zudem zeigt die Hirnforschung, dass beispielsweise hinsichtlich von Hirnarealen oder des Corpus Callosum, welches die beiden Hirnhälften verbindet, „die Variabilität innerhalb der Genusgruppen weitaus größer ist als die Unterschiede zwischen ihnen“ (Meuser 2008: 635). Offensichtlich wird nun, dass es eine binäre Geschlechtsunterscheidung in der Biologie nicht so eindeutig gibt wie erwartet, sondern vielmehr einige Variationen der Geschlechter vorliegen.
Bei der Suche nach einer körperlichen Fundierung der dichotomen Geschlechterunterscheidung wird man also enttäuscht. Wie bereits oben beschrieben, geht auch Meuser davon aus, dass sich die Forschung aufgrund der Sozialordnung der Zweigeschlechtlichkeit und dem darauf bezogenen Wissenssystem auf biologisch bestimmbare Unterschiede zwischen Mann und Frau richtet und dem theoretischen Interesse an Differenz ein praktisches an Unterscheidungen vorangeht (vgl. Meuser 2008: 635). Parallel wird ebenso in der humanbiologischen Forschung betont, „wie fließend die Übergänge zwischen den Geschlechtern sind (…) und dass es die Frauen oder den Mann als Idealtypus vielleicht nach kulturellen Normen[,] aber nicht in der Biologie wirklich gibt“ (Christiansen 2001: zit. n. Meuser 2008: 635).
Festzuhalten ist, dass die Biologie nicht objektiver ist als jede andere Wissenschaft „nur weil sie ihre Befunde in einem quantitativ-experimentellen Design reproduziert“ (Küppers 2012), das allerdings von bestimmten theoretischen Vorannahmen beeinflusst wird. Die Geschlechterdifferenz wird aus der „Gesellschaft in die Wissenschaft und von der Wissenschaft in die Natur transferiert – nicht umgekehrt“ (Wetterer 2010: 131). Die Biologie beinhaltet schließlich kein eindeutiges und objektives Kriterium, anhand dessen die dichotome Geschlechterdifferenz abseits sozialer Kontexte erfasst werden könnte (vgl. Küppers 2012).
Der Ausgangspunkt konstruktivistischer Ansätze, in denen auch das biologische Geschlecht als Effekt sozialer Prozesse verstanden wird, wird somit bestärkt. Zugleich wird plausibel, dass die Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit, die westlichen Kulturen zugrunde liegt, ebenso von der Gesellschaft konstruiert sein muss, da sich mittels der Biologie keine Binarität der Geschlechterdifferenz nachweisen lässt. Resultierend kommt aber nun die Frage auf, woher denn dann das zweigeschlechtliche Klassifikationsverfahren stammt, beziehungsweise warum in der westlichen Kultur die Menschen entweder der Kategorie Frau oder Mann zugeordnet werden, wenn es nicht von Natur aus vorgegeben ist.
Eine mögliche Antwort darauf liefert Rubin, indem sie die Arbeitsteilung dafür verantwortlich macht. Durch die Arbeitsteilung werde die Ungleichheit von Männern und Frauen institutionalisiert und Frauen und Männer zu Verschiedenen gemacht: „The division of labor can (…) be seen as a ‚taboo’; a taboo against the sameness of men and woman, a taboo dividing the sexes in two mutually exclusive categories, a taboo which exacerbates the biological differences between the sexes and thereby creates gender” (Rubin 1975: zit. n. Wetterer 2010: 128). Rubins These des “sameness taboo” bietet zumindest eine denkbare Erklärung für die Konstitution der Zweigeschlechtlichkeit.
Bourdieu liefert eine generelle Erklärung für den hohen Stellenwert der Geschlechtsmerkmale, da keine anderen äußerlichen Differenzen wie Körpergröße etc. solche großen sozialen Konsequenzen nach sich ziehen, wie die unterschiedlichen primären Geschlechtsmerkmale eines Menschen (vgl. Meuser 2008: 635). So begründet er die große Aufmerksamkeit, die den primären Geschlechtsteilen eines Individuums zukommt, mittels ihrer reproduktiven Funktion. Dies klingt einleuchtend, da in der Natur vieles auf Fortpflanzung ausgelegt ist (vgl. Marcuse 2001: 190). So sieht ein Individuum mit Gebärmutter, Eierstöcken und Vagina in seinem Gegenüber mit Penis, Hoden und der Möglichkeit Sperma zu produzieren die Option sich fortzupflanzen und eine Familie gründen zu können. Dennoch lassen sich daraus nicht die sozialen Unterscheidungen ableiten, die die Gesellschaftsordnung westlicher Gesellschaften kennzeichnet. Mit ein bisschen Aufwand könnte man laut Goffmann die sozialen Folgen dieser körperlichen Gegebenheiten abstellen (vgl. Meuser 2008: 635).[7]
Das Geschlecht und die Zweigeschlechtlichkeit finden ihren Ursprung also nicht, wie in der Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit angenommen, in der Biologie, sondern sie sind das Ergebnis sozialer Prozesse. Dennoch liegen sie unserem Alltagsdenken zugrunde, in der nur Frauen und Männer als „normal“ gelten und es kein Geschlecht dazwischen gibt. Wichtig für den weiteren Verlauf dieser Arbeit ist nun die Frage, wie einem Menschen im Alltag inmitten von sozialen Interaktionen ein Geschlecht zugeschrieben wird beziehungsweise wie sein Geschlecht konstruiert wird.
Die Ethnomethodologie stellt sich auf Basis der These der sozialen Konstruktion von Geschlecht die Frage, mittels welcher Kriterien die Unterscheidung zwischen Mann und Frau im Alltag festgemacht wird, nach denen eine Zuschreibung von Geschlecht in sozialen Interaktionen vorgenommen wird (vgl. Meuser 2008: 633). Kessler und McKenna, die wie Garfinkel bekannt für ihre mikrosoziologischen Transsexuellen-Studien sind, prägen in diesem Zusammenhang den Begriff „kulturelle Genitalien“ (vgl. Meuser 2008: 643). Da die Natur der Zweigeschlechtlichkeit, wie nun bereits mehrfach erwähnt, dem Denken westlicher Gesellschaftsmitglieder zugrunde liegt, wird jedem Menschen von Geburt an ein Geschlecht anhand des morphologischen Geschlechts zugewiesen (vgl. Averkamp 2012: 46). Dieses wird in jegliche Interaktionen übertragen. Auch wenn die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale in Interaktionen im Normalfall verhüllt sind, ist eine Geschlechtszuschreibung in unserem Alltag eine Genitalzuschreibung. Dies liegt darin begründet, dass ein Individuum der westlichen Kultur gewisse Dinge mit Geschlechtsteilen assoziiert. So wird davon ausgegangen, dass jemand, der wie ein Mann gekleidet ist, sich wie ein solcher bewegt und auch so spricht, natürlich auch über einen Penis verfügt. Auf der anderen Seite verknüpft man automatisch eine Person, die einen Rock trägt und deren Augen und Lippen geschminkt sind, mit einer Vagina. Eben genau deshalb, weil Personen anderen Personen Geschlechter anhand ihres Erscheinungsbildes zuschreiben, da sie der Überzeugung sind, das Aussehen und Verhalten eines Menschen lasse Rückschlüsse auf ihr morphologisches Geschlecht zu, spricht man von kulturellen Genitalien. Der Prozess, in dem einem Menschen ein Geschlecht anhand seines äußeren Erscheinungsbildes zugeordnet wird beziehungsweise wie er selbst sein soziales Geschlecht konstruiert, wird im Folgenden näher erläutert.
Die Geschlechtskonstruktion ist ein „andauernder, in das alltägliche Routinehandeln eingelassener und institutionell gestützter Prozess“ (Meuser 2008: 643). Vor allem West und Zimmermann haben 1987 den Begriff des „doing gender“ geprägt, der im Kern besagt, „ein Geschlecht hat man nur indem man es tut“ (Meuser 2008: 643). Um besser nachvollziehen zu können, wie dieses Konzept zustande kam, wird zunächst die Basis der Entstehungsgeschichte des „doing gender“ angeführt.
Die Ansicht, dass Geschlechtszugehörigkeit in Interaktionen hergestellt wird und ihnen nicht bereits zugrunde liegt findet ihren Ursprung in der soziologischen Interaktionstheorie und der Kulturanthropologie (vgl. Wetterer 2010: 127). Vor allem in der Ethnomethodologie wurde diese Ansicht dann zum Forschungsgegenstand und Harold Garfinkel zeigt in den 1950er Jahren anhand seiner Fallstudie über Agnes, einer Mann-zu-Frau Transsexuellen, dass äußere Zeichen der Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechtsidentität nicht zwangsläufig zusammenfallen, sondern „Geschlechtszugehörigkeit mittels bestimmter Praktiken im Alltagshandeln und in Kooperation aller Beteiligten interaktiv hergestellt wird“ (Meuser 2008: 633). Garfinkel demonstriert also am Beispiel einer Transsexuellen, dass Menschen nicht einfach ein Geschlecht haben, sondern sie den Status eine Frau oder ein Mann zu sein durch einen sozialen Lern- und Aneignungsprozess über Jahre hinweg erwerben (vgl. Wobbe/ Nummer-Winkler 2007: 293). Dies ist am Beispiel eines Transsexuellen besonders gut erkennbar, da der Prozess der Aneignung eines Geschlechts in „Zeitlupe“ stattfindet und somit Schritt für Schritt aufgezeigt werden kann, wie ein Geschlecht konstruiert wird. Diese Erkenntnis der Aneignung eines Geschlechts ist grundlegend für das später entwickelte Konzept des „doing gender“, welches mittlerweile zu einem Synonym der Perspektive einer sozialen Konstruktion von Geschlecht geworden ist (vgl. Gildemeister 2010: 137).
Das Konzept des „doing gender“ nach West und Zimmermann baut auf den Theorien der Geschlechterkonstruktion von Garfinkel und Kessler/ McKenna auf und ist eine konstruktivistische Geschlechtertheorie mit Fokus auf sozialer Interaktion (vgl. Geimer 2005).[8] Ziel dieser Theorie ist es, die sozialen Prozesse zu beleuchten, in denen Geschlecht als sozial folgenreiche Unterscheidung reproduziert und hervorgebracht wird (vgl. Gildemeister 2010: 138). Wichtig ist zu betonen, dass bei diesem Konzept nicht von einem natürlichen Unterschied von Männern und Frauen (sex) ausgegangen wird, sondern wie in den zuvor beschriebenen konstruktivistischen Ansätzen, das „doing gender“ ebenso besagt, dass Geschlechtszugehörigkeit als kontinuierlicher Herstellungsprozess aufzufassen ist, der einhergehend mit jeder menschlichen Aktivität vollzogen wird und in den diverse institutionelle Ressourcen einfließen (vgl. Gildemeister 2010: 138). Die Begründer dieses Konzepts schreiben dazu Folgendes:
„Das Herstellen von Geschlecht (doing gender) umfasst eine gebündelte Vielfalt sozial gesteuerter Tätigkeiten, auf der Ebene der Wahrnehmung, der Interaktion und der Alltagspolitik, welche bestimmte Handlungen mit der Bedeutung versehen, Ausdruck weiblicher oder männlicher ‚Natur’ zu sein. Wenn wir das Geschlecht (gender) als eine Leistung ansehen, als ein erworbenes Merkmal des Handelns in sozialen Situationen, wendet sich unsere Aufmerksamkeit von Faktoren ab, die im Individuum verankert sind, und konzentriert sich auf interaktive und letztlich institutionelle Bereiche. In gewissem Sinne sind es die Individuen, die das Geschlecht hervorbringen. Aber es ist ein Tun, das in der sozialen Situation verankert ist und das in der virtuellen oder realen Gegenwart vollzogen wird, von denen wir annehmen, dass sie sich daran orientieren. Wir betrachten das Geschlecht weniger als Eigenschaft von Individuen, sondern vielmehr als ein Element, das in sozialen Situationen entsteht: Es ist sowohl das Ergebnis wie auch die Rechtfertigung verschiedener sozialer Arrangements sowie ein Mittel, eine der grundlegenden Teilungen der Gesellschaft zu legitimieren.“ (West/Zimmermann 1987: zit. n. Gildemeister/ Wetterer 1992: 237).
Aus diesem Zitat ist deutlich ablesbar, warum das Konzept des „doing gender“ konstruktivistischen Theorien zugrunde liegt. Es impliziert genau das, was zuvor als erkenntnistheoretisch begründeter Ausgangspunkt des Konstruktivismus aufgelistet wurde; Geschlechtszugehörigkeit ist das Ergebnis sozialer Prozesse. Die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht wird nicht mehr als natürlicher Ausgangspunkt von und für Unterscheidungen im menschlichen Verhalten, Handeln und Erleben betrachtet (vgl. Gildemeister 2010: 137). Aus diesem Grund muss statt der sex/gender Unterscheidung, bei der sex als biologisches Geschlecht definiert wurde, nun eine Neufassung dessen erstellt werden, die ohne natürliche Vorgaben des Geschlechts auskommt. West und Zimmermann entwickeln also die nachstehenden drei Unterscheidungskriterien (vgl. Gildemeister 2010: 137):
Die Geburtsklassifikation des körperlichen Geschlechts aufgrund sozial vereinbarter biologischer Kriterien wird nun dem Begriff sex zugewiesen. Neu ist der Begriff der sex-category, damit ist die soziale Zuordnung zu einem Geschlecht im Alltag gemeint. Diese Zuordnung wird aufgrund der sozial geforderten Darstellung einer erkennbaren Zugehörigkeit zum Geschlecht des Mannes oder der Frau vorgenommen. Wichtig ist, dass diese Zuordnung nicht mit der Geburtsklassifikation übereinstimmen muss. Das soziale Geschlecht wird schließlich mit gender betitelt, es ist die „intersubjektive Validierung in Interaktionsprozessen durch ein situationsadäquates Verhalten und Handeln im Lichte normativer Vorgaben und unter Berücksichtigung der Tätigkeiten, welche der in Anspruch genommenen Geschlechtskategorie angemessen sind“ (Gildemeister 2010: 138) gemeint.[9]
Sex, sex-category und gender werden nun als analytisch unabhängig voneinander verstanden und es wurde eine Definition gefunden, die Natur als kulturell gedeutete in die soziale Geschlechtskonstruktion einfließen zu lassen (vgl. Gildemeister 2010: 138). Hervorzuheben ist auch, dass die Geschlechtszugehörigkeit interaktiv validiert und von anderen bestätigt werden muss, somit hat man ein Geschlecht auch erst dann, wenn man es für andere hat (vgl. Gildemeister 2010: 138). Diese Ansicht wird vor allem von Kessler und McKenna betont, dass Individuen das Geschlecht, welches sie haben auch sozial glaubhaft darstellen müssen (vgl. Wobbe/ Nummer-Winkler 2007: 293).
Zusammengefasst und im Kern besagt das Konzept des „doing gender“ also, dass Menschen in einer bestimmten, kulturell definierten Weise handeln und sich darstellen müssen, um als ein Mann oder eine Frau anerkannt zu werden (vgl. Meuser 2008: 634). Daraus lässt sich logisch folgern, dass es in der westlichen Gesellschaft festgeschriebene Kriterien gibt, die darauf hindeuten, entweder der Kategorie der Frau oder des Mannes anzugehören. Dabei müssen Körperbewegungen ebenso wie verbale Kommunikation beherrscht werden. Ist man imstande dazu, die entsprechenden typischen Praktiken auszuüben, so lässt sich daraus die Handlungskompetenz der Mitglieder der Gesellschaft ableiten (vgl. Meuser 2008: 634). Um nur ein Beispiel an dieser Stelle zu nennen, welches aus einer Studie über „Zusammenstoß- Vermeidungsstrategien an einem Fußgängerüberweg“ stammt, ist ersichtlich, dass Frauen an anderen Personen in einer krampfhaften Art vorübergehen bzw. ihren Körper von anderen fortdrehen (vgl. Meuser 2008: 634). Männer hingegen tendieren zu einer offenen Haltung während sie andere Menschen passieren, das bedeutet, dass sie ihren Körper ihren Menschen eher zuwenden. Männliche Körperbewegungen im Allgemeinen kennzeichnen sich durch raumgreifende, dominanzorientierte Bewegungen, während weibliche Körperbewegungen sich durch wenig Raum beanspruchend beziehungsweise begrenzend charakterisieren. Dadurch, dass Frauen sowie Männer sich immer diesen unterschiedlichen Arten und Weisen ihres Auftretens, sei es durch verbale Kommunikation oder Körperbewegungen, bedienen, demonstrieren sie den anderen Gesellschaftsmitgliedern immer wieder, dass sie dem entsprechenden Geschlecht angehören.
[...]
[1] Die Begriffe sex und gender werden im Folgenden mit dieser Bedeutung weiter verwendet. Da die Begriffe der englischen Sprache entspringen werden sie in dieser Arbeit, wie auch im Englischen, kleingeschrieben.
[2] Da dies im Verlauf dieser Arbeit erklärt werden soll, ist an dieser Stelle auf eine Erläuterung dessen verzichtet worden.
[3] Die Begriffe „Norm“, „normal“ oder „richtig“ werden in dieser Arbeit, wie bei Garfinkel, im Sinne von „in accordance with the mores“ (Garfinkel 1984: 124) verwendet.
[4] Unterschiedliche kulturelle Definitionen von Geschlecht werden in Kapitel 3.1 aufgegriffen.
[5] Eine genauere Ausführung seiner Argumentation würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
[6] In Kapitel 3.1 wird eine Variation des morphologischen Geschlechts, der Hermaphroditismus, beschrieben.
[7] Die Frage woher die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit kommt und warum der westlichen Gesellschaft dieses Prinzip zugrunde liegt, kann nicht weiter beantwortet werden, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde und womöglich eine eigene Forschungsfrage darstellt. Es soll an dieser Stelle lediglich ein möglicher Grund für die Teilung der Gesellschaft in zwei Geschlechter geliefert werden bzw. ein Grund genannt werden, warum wir den Unterschied von Mann und Frau an morphologischem Geschlecht und nicht z.B. am Bartwuchs festmachen.
[8] Der Autor hat sich hier nur für die Ausführung des Konzepts des „doing gender“ nach West/Zimmermann entschieden, da dieses in der verwendeten Literatur als die aktuellste Definition des „doing gender“-Begriffs verstanden wird. Es gründet sich auf den anderen zwei grundlegenden Theorien zur Geschlechterkonstruktion von Kessler/ McKenna und Garfinkel.
[9] Im Folgenden werden die Begriffe sex, sex-category und gender nun mit dieser Definition verwendet.
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