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Mehr InfosExamensarbeit, 2013, 57 Seiten
Examensarbeit
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Vererbung oder Erlernen?
Seit einiger Zeit ist bekannt, dass ADS sehr viel mit Vererbung zu tun hat. Bei ADS handelt es sich um eine Symptomatik, die „[...] in einem hohen Maße nicht durch äußere Einflüsse entsteht.“[1] Studien beweisen, dass sich in der Verwandtschaft von ADS-Kindern mit Hyperaktivität / Impulsivität auch hyperaktive Personen befinden. Die Wahrscheinlichkeit dafür beläuft sich auf ca. 5%. Ist ein Geschwisterteil hyperaktiv, steigt die Wahrscheinlichkeit auf 30%. Bei einem Elternteil mit ADS wird diese schon auf 50% geschätzt.[2]
Bestätigung durch Zwillingsforschung
In einer Familie mit z.B. einem hyperaktiven Kind entwickelten dessen Geschwister häufiger Hyperaktivität als in anderen Familien. Überzeugend sind die Ergebnisse einer Zwillingsforschung, die an den Universitäten Oslo und Southampton durchgeführt wurden. Dabei wurden 526 eineiige und 389 zweieiige Zwillinge untersucht. Die Forscher entdeckten dabei eine Erblichkeit für Verhaltensstörungen von 80%. Barkley folgerte daraus, dass Unterschiede in Hyperaktivität / Impulsivität und Aufmerksamkeit zu 80% genetisch bedingt sind. Allerdings muss hierbei bedacht werden, dass gleich aussehende Kinder von ihrer Umwelt gleich behandelt werden, was eine Ähnlichkeit im Verhalten mit sich bringt.[3]
Auffälligkeit bei Gehirnaufnahmen
Durch Gehirnaufnahmen der letzten Jahre entstanden Vermutungen darüber, welche Gehirnregionen an ADS beteiligt sind. Wissenschaftler glauben, dass das vordere Stammhirn, zwei der Basalganglien und der Vermis die Aufmerksamkeit steuern. Das vordere Stammhirn nimmt an der Planung des Verhaltens teil und ist weiterhin für das Gefühl von Zeit und das Widerstehen von Ablenkung zuständig. Die beiden Basalganglien helfen, Reaktionen abzuwägen und gegebenenfalls abzuschalten. Die Funktion der Vermisregion allerdings ist nicht klar.[4]
Entwicklungsanomalien des Gehirns bei ADS
Zametkin wies anhand eines Messverfahrens mithilfe einer Positronen-Emissions-Tomographie (PET) eine geringere Hirnaktivität bei Erwachsenen mit einer Form von ADS nach. Hierzu injizierte er den Testpersonen radioaktive Glukose. Mithilfe des PET-Gerätes konnte er den Glukoseverbrauch in den einzelnen Hirnregionen nachweisen. Vor allem in den vorderen Bereichen des Gehirns stellte er große Unterschiede zwischen Erwachsenen mit und Erwachsenen ohne ADS fest. Diese Differenz ließ sich durch die Gabe von Stimulanzien vorübergehend korrigieren. Bei einer weiteren Studie mit 20 Jugendlichen wies er eine vergleichbar reduzierte Hirnaktivität der Jugendlichen mit ADS im Vergleich zu Jugendlichen ohne ADS nach. Bei weiblichen Jugendlichen erwiesen sich die Unterschiede größer als bei männlichen. Weiterhin konnten bei den ADS-Personen deutliche Veränderungen in der Hirnrinde festgestellt werden sowie Veränderungen der Bereiche des Gehirns, die für die motorische Aktivität, das Verhalten und die Daueraufmerksamkeit zuständig sind.[5]
Fehlerhafte Gene und der Neurotransmitter Dopamin
Der Neurotransmitter Dopamin wird in spezifischen Bereichen von Neuronen freigesetzt. Das Molekül hemmt oder moduliert die Aktivität anderer Neurone – vor allem dieser, die auf Gefühle oder Motorik Einfluss haben. Die Wirkung des Dopamins ist auch abhängig von der Wirkung der Rezeptoren auf den gegengeschalteten Nervenzellen. Forscher im Bereich der Neurochemie kamen zu dem Ergebnis, dass Veränderungen in den Genen die Wirksamkeit des Dopamins beeinflussen.[6]
Dopamin ist ein Stoff, der neben Serotonin und Norepinephrin für das Verhalten eines Menschen zuständig ist. Imbalancen zwischen diesen drei Neurotransmitterstoffen führen zu Störungen im Verhalten.[7]
Nicht-genetische Faktoren
Verfrühte Geburt, Tabak- und Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft, eine hohe Bleiexposition während der Kindheit oder eine Hirnverletzung, insbesondere am vorderen Stammhirn, können Unterschiede in der Aufmerksamkeit und Hyperaktivität / Impulsivität auslösen. Barkley weist jedoch darauf hin, dass in höchstens 5-10% der Fälle ADS die Folge einer Hirnschädigung ist.[8]
Umstrittene Thesen der Ursachenforschung
Ernährung
Barkley bestreitet die These, dass ADS mit den Ernährungsgewohnheiten der Betroffenen zu tun hat. Vor allem im Bezug auf die These Feingolds (1975), Hyperaktivität würde durch chemische Zusätze in den Nahrungsmitteln ausgelöst, äußerte er sich kritisch. „Es konnte nie nachgewiesen werden, dass normale Kinder eine ADHS entwickeln, wenn sie bestimmte Nahrungsmittel zu sich nehmen, oder dass sich der Zustand von Kindern mit ADHS durch ihren Verzehr beträchtlich verschlechtert.“[9]
Auch Krowatschek deutet auf mangelnde Verifizierung der Feingoldschen Diät gegen ADHS hin. „Insgesamt [...] sagen die meisten Studien aus, daß Hyperaktive keine Verbesserung durch die Diät erzielen.“[10]
Barkley steht der These, ADHS würde durch übermäßigen Verzehr von Zucker verursacht, ebenfalls kritisch gegenüber.
ADS durch Pilze verursacht?
Der Kinderarzt und Allergologe Crook ist ein Vertreter der These, ADS werde durch Pilze, die innerhalb des Körpers leben können, verursacht. Er ist der Ansicht, dass die Giftstoffe, die von diesen Pilzen produziert werden, Gehirn und Nervensystem beeinträchtigen und das Immunsystem schwächen können. Indirekt vertritt Crook auch Feingolds These, Zucker sei für Hyperaktivität förderlich, da der Zucker das Wachstum der Pilze begünstige.
Gegenwärtig gibt es nicht die Spur eines Beweises für Crooks Theorie. [...] wer Crooks Empfehlung folgt und sein Kind Vitamine und Mineralstoffe in hohen Dosierungen einnehmen lässt, setzt [...] sogar dessen Gesundheit aufs Spiel. [...] Da auch die Fachverbände die These von der Pilzunverträglichkeit für unhaltbar halten, sind Eltern am besten beraten, wenn sie sie schlichtweg ignorieren.[11]
Können Erziehungsfehler oder chaotische Familienverhältnisse zu ADS führen?
Einige Forschungsansätze suchen die Ursachen für ADS in der Familie. Vor allem Hyperaktivität sei die Folge einer falschen Erziehung. Zu wenig Anleitung, Struktur und Disziplin seien mögliche Gründe für hyperaktives Verhalten. Barkley weist jedoch deutlich darauf hin, dass es keine Studien gibt, die diese Thesen stützen. Vielmehr merkt er an, „dass Eltern von Kindern mit ADHS ihren Kindern mehr Anweisungen geben, sich strenger und negativer ihnen gegenüber verhalten und in einigen Fällen auch weniger auf ihr Kind eingehen und ihm weniger Beachtung schenken als Eltern von Kindern ohne ADHS.“[12]
Barkley geht noch einen Schritt weiter und macht das negative Verhalten der Mutter ihrem Kind mit ADS gegenüber zur Reaktion auf dessen Verhalten und nicht zur Ursache. Weiter argumentiert Barkley, dass Kinder mit ADS eine Belastung für die Familie und das Familienleben darstellen. Umgekehrt hat das problematische Verhalten einiger Eltern und ein gestörtes Familienleben Einfluss auf die Kinder und ruft aggressives Verhalten hervor, laut Barkley aber keine ADS.[13]
Die Liste der möglichen Ursachen für ADS mit und ohne Hyperaktivität ließe sich noch weiterführen. In der Forschung wird davon ausgegangen, dass die Ursachen für die verschiedenen Formen von ADS multimodal sind. Allerdings ist noch nicht geklärt, was die genauen Hintergründe dieses Phänomens sind. Im vorhergehenden Abschnitt wurde ein Überblick über die gängigsten Theorien der modernen Forschung gegeben. Nun sollen Therapie- und Fördermöglichkeiten von Schülern, die von ADS betroffen sind, dargestellt werden.
Wie schon in den Kapiteln zuvor deutlich wurde, knüpfen Therapieansätze an Ergebnisse der Ursachenforschung an. Da die diese auf eine multimodale Herkunft von ADS hinweist, existieren dementsprechend Therapieansätze aus verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen. Welche Therapieformen bei jeweiligen Personen angewandt werden, muss individuell entschieden werden.
Die folgenden Programme wurden von Therapeuten entwickelt. Daher sollten sie auch von Experten durchgeführt werden. Ein Lehrer kann Schüler nicht in Eigenregie therapieren. Seine Aufgabe ist es, sie gemäß ihren Fähigkeiten bestmöglich zu fördern. Hierzu zählt auch, zu erkennen, wann Schüler therapeutische Hilfe benötigen, um ihnen diese dann zukommen zu lassen. Therapeutische Interventionen müssen individuell auf den Schüler angepasst sein. Je nach Schüler sind verschiedene Programme wirksam. Die wichtigsten Therapieprogramme sollen in Kurzform dargestellt werden.
Kinderzentrierte Psychotherapie
Das Buch Training mit aufmerksamkeitsgestörten Kindern von Lauth & Schlottke (2009) bietet ein hierarchisch aufgebautes Training, das Basisfertigkeiten wie genaues Hinsehen, genaues Zuhören oder die genaue Wiedergabe von Wahrgenommenem fördert. Der Therapeut ist während des Trainings das Vorbild, das den Teilnehmern effektive Wahrnehmungsstrategien vermittelt. Ein weiterer Therapiebaustein dieses Programms stellt das Strategietraining dar. Hier sollen Strategien zur Selbstinstruktion erlernt werden. Anfangs erinnern sich die Teilnehmer mit Signalkarten daran, die Impulsivität möglichst zu bremsen. Sie geben sich selbst Befehle, Reaktionen zu verzögern: „Stopp, schau und höre genau hin!“ Dies soll den Teilnehmern helfen, Material und Aufgaben eingehender zu analysieren. Wichtig ist, dass die Teilnehmer nach und nach immer selbständiger arbeiten. Ein wesentlicher Punkt, dies zu erreichen, ist das laute Verbalisieren eigener Arbeitsschritte, das nach und nach in gedankliches Verbalisieren übergeht.[14] Das Programm von Lauth & Schlottke ist ein Programm zur Verhaltensmodifikation.
Ein weiteres Programm aus diesem Bereich ist das Training mit aggressiven Kindern von Petermann & Petermann (2001). Zentral hierbei ist die Strategie, erwünschtes Verhalten zu verstärken. Die Verstärkung kann durch das Zufügen von Belohnung erfolgen oder durch das Wegnehmen einer negativen Maßnahme. Durch die unmittelbare Verstärkung eines erwünschten Verhaltens soll das Gesamtverhalten modifiziert werden. Wichtig ist, die Ziele nicht zu hoch zu stecken, sondern Schritt für Schritt dem Ziel ein Stückchen näher zu kommen. Diese Ziele müssen mit den Kindern und Jugendlichen besprochen werden. Dabei ist zu beachten, dass sie gebots- und nicht verbotsorientiert sind. D.h. die Formulierung ist positiv (Ich darf..., wenn ... NICHT: Ich darf nicht...). Angewandte Maßnahmen bei verhaltensmodifizierenden Therapien sind Kontingenzverträge und Verstärkersysteme (Token systeme) sowie Auszeiten (Time-out). In einem Kontingenzvertrag wird schriftlich eine Vereinbarung zwischen dem Kind bzw. dem Jugendlichen und dem Therapeuten getroffen. Die Vereinbarung wird positiv geschrieben und in Absprache mit dem Therapieteilnehmer formuliert. Weiterhin werden Konsequenzen festgehalten, was passiert, wenn die Vereinbarung (nicht) eingehalten wurde. Ergänzend hierzu stehen Verstärkersysteme. Bei angemessenem Verhalten erhält das Kind oder der Jugendliche einen Punkt (in Form eines Aufklebers, Pokerchips, etc). Ab einer gewissen Anzahl von Punkten können die angesammelten Tokens gegen eine Belohnung eingetauscht werden. Diesen Belohnungsmaßnahmen gegenüber stehen die Auszeitmaßnahmen (Time-out). Das Kind bzw. der Jugendliche wird aufgrund ungebührenden Verhaltens für einige Zeit aus einer Situation herausgenommen. Auf die Time-out -Maßnahmen soll nur zurückgegriffen werden, wenn es die Situation nicht anders zulässt. Dabei ist es sehr wichtig, dass der oder die Betroffene weiß, warum das Time-out verhängt wurde. Das Time-out ist eine Maßnahme, von der auch in der Schule Gebrauch gemacht werden kann, wenn die Mitschüler zu sehr unter einem Schüler leiden. Generell ist es wichtig, Schülern, die oft den Unterricht stören – häufig handelt es sich hierbei um Hyperaktive – Trainingsprogramme zukommen zu lassen, die das Sozialverhalten fördern. Während solcher Programme werden Verhaltensregeln besprochen und gemeinsam geklärt. Hierbei fungiert der Therapeut ebenfalls als Modell.[15]
Neben den Programmen, die das Verhalten modifizieren, werden auch Therapien abgehalten, die die Selbstakzeptanz und Selbstwahrnehmung fördern sollen. Durch das Arbeiten in Gruppen lernen Kinder und Jugendliche ihre eigenen Talente und Stärken kennen.
Familienzentrierte Maßnahmen
Im Hinblick auf Therapien ist weiterhin zu bedenken, dass nicht nur das Kind oder der Jugendliche lernen muss, sich angemessen zu verhalten, sondern dass auch die Eltern Sicherheit im Umgang mit ihren Kindern bekommen müssen. Um den Alltag einer Familie mit einem ADS-Kind zu vereinfachen, bieten sich familienzentrierte Therapiemaßnahmen an. Überdies ist wichtig, dass Eltern von Maßnahmen wie den Tokensystemen, Verstärkerplänen oder Time-outs auch zu Hause Gebrauch machen. Hierzu ist es nötig, die Eltern in diese Maßnahmen einzuweisen, was im Rahmen einer familienzentrierten Therapie vollzogen werden kann. Mögliche Programme in diesem Bereich bietet der Elternleitfaden in dem Therapieprogramm für Kinder mit hyperkinetischem und oppositionellem Problemverhalten von Döpfner, Schürmann & Frölich (2002).[16]
Diät
Wie dem Kapitel der Ursachenforschung zu ADS bereits entnommen werden kann, sind Thesen, die falsche Ernährung für ADS mit Hyperaktivität verantwortlich machen, unzureichend verifiziert. Zudem sind Behandlungen mit Diäten bei Kindern nicht ganz risikolos, da sie zu Fehlernährungen führen können. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle nicht näher auf eine Therapie in Form einer Diät eingegangen werden.
Medikation
Die Medikation von ADS-Kindern und Jugendlichen ist die umstrittenste und meist diskutierte Therapieform bei ADS. Zunächst einmal ist erwiesen, dass gewisse Medikamente eine bereichsspezifische Wirkung haben. Sie verbessern die „zentralnervöse Wachheit, unterstütz[en] die überwiegend dem Frontalcortex und den Basalganglien zugeordnete Hemmungskontrolle, verbesser[n] basale Aufmerksamkeitsfunktionen und förder[n] so eine günstigere Selbsregulation beim Kind.“[17]
Die Medikation der Betroffenen erfolgt in den meisten Fällen durch Stimulanzien. Hierzu zählen vor allem Amphetamine und Abkömmlinge davon. Weitere Psychopharmaka, die in der ADS-Therapie verwendet werden, sind die Substanzen Methylphenidat, Fenetyllin und dazu gehörige Produkte wie Captagon®. Bereits 1937 wurden Untersuchungen von Bradley veröffentlicht, nach denen Hyperaktivität, Konzentrationsschwächen und Lernschwierigkeiten mit einem Amphetaminabkömmling bei Kindern behandelt wurden. Aus den Untersuchungen geht hervor, dass die Kinder auf die Medikamente ansprachen. Heute werden ADS-Schüler in den meisten Fällen mit Ritalin behandelt. Laut einer Schätzung wird davon ausgegangen, dass Ritalin bei 60-90% der betroffenen Schüler Aufmerksamkeitsstörungen, Verhaltensschwierigkeiten und Schulprobleme etwas verbessert. Motorische Unruhen verringern sich, die Impulsivität und Aggression lässt nach, die Schüler können sich besser konzentrieren, sie schreiben leserlicher. Bereits nach 30 Minuten zeigt das Ritalin seine Wirkung über einen Zeitraum von 3-4 Stunden. Mit dem Ritalin gehen allerdings auch Nebenwirkungen einher. In den häufigsten Fällen, besonders bei unsachgemäßer Dosierung, kommt es zu Schlafstörungen und Appetitlosigkeit. Manche Ärzte empfehlen daher, nach 16 Uhr kein Ritalin mehr zu verabreichen, um das Problem der Schlaflosigkeit etwas zu mildern, und in den Ferien möglichst auf Ritalin zu verzichten, um das Gewicht des Kindes zu stabilisieren.[18]
Generell gilt, dass Ritalin Schülern mit ADS helfen kann, ihre Konzentration zu verbessern und Impulsivität und motorische Aktivitäten zu verringern. Es kann daher bei solchen Schülern auch eine Verbesserung bei der Bearbeitung von Klassenarbeiten herbeiführen. Allerdings ist zu bedenken, dass Ritalin weder ein Wundermittel gegen komplexe Lernstörungen ist, noch umfassende Fähigkeiten wie Lesen, Rechtschreiben oder das Sozialverhalten ohne zusätzliche Therapien und Maßnahmen verbessert.[19]
Im Bereich der Fördermaßnahmen entstand in den letzten Jahren eine Vielzahl von Programmen, wie das ADDapt-Programm und das OptiMind-Konzept. Diese Ansätze zielen darauf ab, Eltern, Lehrern und Therapeuten Sicherheit im Umgang mit ADS-Kindern zu geben. Der Vorteil solcher Entwürfe ist, dass alle Personen, mit denen das Kind täglich Kontakt pflegt, einbezogen sind und zusammenarbeiten. Im folgenden Abschnitt möchte ich jedoch keinen einzelnen Inhalt darstellen, sondern vielmehr verschiedene Punkte dieser einzelnen Programme, die mir als besonders sinnvoll erscheinen. Die Tipps in den folgenden Abschnitten eignen sich für ADS-Schüler mit und ohne Hyperaktivität / Impulsivität und umfassen die einzelnen Lebensbereiche (Schule, Familie, Freizeit) des Kindes bzw. des Jugendlichen.
Um Lernen mit ADS-Kindern erfolgreich zu gestalten, ist es unabdingbar, sich an einige Prinzipien zu halten. Die obersten Grundsätze lauten: „Übungen regelmäßig wiederholen“ und „Lernen in kleinen Portionen“.[20]
Die Aufmerksamkeitsstörung, Filterschwäche und der begrenzte Arbeitsspeicher der ADS-Kinder machen es erforderlich, den Lernstoff regelmäßig zu wiederholen. Die begrenzte Aufnahmekapazität von Informationen sowie die reduzierte Aufmerksamkeitsspanne machen es erforderlich, dass ADS-Schüler in kleinen Portionen lernen.
Imhof weist vor allem im Umgang mit ADHS-Kindern auf zwölf goldene Regeln[21] hin:
1. Strukturen sind das A und O. Sie stellen eine wichtige Orientierungshilfe dar. Besonders für Schüler mit einer Aufmerksamkeitsstörung sind Strukturen beim Lösen von Aufgaben hilfreich. Hierzu werden Aufgaben in kleinere Schritte unterteilt, sodass die Einzeltätigkeiten klar werden und die Arbeitszeit besser eingeteilt werden kann. Aufgaben auf einem Arbeitsblatt, die gerade nicht bearbeitet werden, können mit einem leeren Blatt abgedeckt werden. Es ist auch möglich, Aufgaben zu portionieren und in Teilaufgaben einzuteilen. Die Maßnahme des Strukturierens kann verhindern, einzelne Teile der Aufgaben zu übersehen und mit unvollständigen Informationen weiterzuarbeiten. Neben der Vorgabe von Strukturen ist es ebenfalls nötig, besonders den hyperaktiven Schülern Strategien zum Erarbeiten eines Problems zu vermitteln. Diese Strategien sollten die Aufgabenanalyse (Was ist meine Aufgabe?), die Materialanalyse (Habe ich hier alles, was ich brauche?), die Zielanalyse (Wo will ich hin und wie kann ich das erreichen?), die Konfliktanalyse (Warum komme ich nicht weiter?), das Formulieren von Teilzielen (Was ist der nächste Schritt?), die Bewältigung von Frustration (Fehler kann man ausbessern!), die Aufforderung zu kleinen Pausen (Ich darf mir Zeit lassen!) und die Bewertung von Teilergebnissen (Bis jetzt ist alles richtig!) umfassen.
2. Weniger ist mehr. Dies gilt vor allen Dingen im Hinblick auf Regeln. Diese sollten mit den Schülern zusammen erstellt und deren Einhaltung konsequent beachtet werden. Beim Formulieren der Regeln ist es wichtig, dass diese positiv niedergeschrieben werden (z.B.: „Wenn ich eine Frage habe, melde ich mich!“). Verbotsorientierte Regelformulierungen sollten vermieden werden, da sie dem Schüler lediglich mitteilen, was verboten ist, nicht aber, was stattdessen von ihm erwartet wird.
3. Langer Atem ist nötig. Ermahnungen helfen bei dieser Schülergruppe oft nur für wenige Minuten. Jeder Tag, jede Stunde soll dennoch eine Chance zum Neubeginn sein. Krowatschek beschreibt bei seinen Formen der Unterrichtsgestaltung in diesem Zusammenhang die „broken record technique“ (broken record → Schallplatte mit Kratzer).[22] Egal, welche Argumente der Schüler findet, eine Aufgabe nicht zu machen, zum dritten Mal in der Stunde auf die Toilette zu gehen, ständig aufzustehen oder zu reden - die Lehrkraft soll den Arbeitsauftrag oder das Problem an einer Handlung ständig im gleichen Wortlaut wiederholen. Der Schüler erkennt somit, dass eine Diskussion zwecklos und die Lehrkraft konsequent ist. Ich halte diese Methode für fragwürdig, da es durchaus der Fall sein kann, dass sich manche Schüler einen Spaß daraus machen, den Lehrer einen Satz x-mal wiederholen zu lassen. Jedoch ist es wichtig, dass der Lehrer seine Autorität beibehält.
4. Ignorieren von Fehlverhalten. Solange es Mitschüler nicht stört, ist dies oft eine bessere Lösung als dauerndes Ermahnen. Positives Verhalten muss dagegen umgehend verstärkt werden. Kinder können Lob erst am Schluss einer Stunde nicht auf die richtige Situation beziehen.
5. Neue Wege führen manchmal zum Ziel. Dies bezieht sich hauptsächlich auf das Einbeziehen neuer Unterrichtsmethoden, die Individualisierung und Differenzierung aller Schüler ermöglichen.
6. Genaues Hinschauen bringt Klarheit. Es ist unbedingt notwendig, Schüler, denen ihr schlechter Ruf vorauseilt, genau zu beobachten. Man muss solchen Schülern unvoreingenommen gegenüber treten und sich selbst ein Bild über ihr Verhalten machen.
7. Das Kind kann oft nicht, selbst wenn es will. Es kommt vor, dass Schülern einmal eine Aufgabe gelingt und beim nächsten Mal nicht. Dieses Phänomen hat nichts mit Leistungsverweigerung zu tun.
8. Vertrauen vermitteln. Kinder und Jugendliche leiden nicht selten unter einem angeschlagenen Selbstwertgefühl. Diese Schüler brauchen Ermutigung, Lob und Menschen, die ihnen etwas zutrauen.
9. Das ,rosa Heft’ gibt neuen Mut. Um Schülern, die häufig stören, wieder mit positiven Gefühlen entgegenzutreten, ist es notwendig, sich auch deren positive Eigenschaften gelegentlich vor Augen zu halten. Eine gute Möglichkeit dazu stellt das Aufschreiben in ein Heft dar.
10. Nur gemeinsam kann es gelingen. Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus ist ein Muss!
11. Ohne Hilfe geht es nicht. Neben der Zusammenarbeit mit dem Elternhaus braucht ein Lehrer auch Kollegen sowie Schulpsychologen und Ärzte, die ihm helfend zur Seite stehen.
12. Schuldgefühle helfen keinem. Lehrer und Eltern, die sich von Selbstzweifeln und Schuldgefühlen plagen lassen, laufen Gefahr, sich selbst in ihrer Arbeit zu lähmen.
Bei einer Klasse, in der ein ADS-Kind sitzt, ist eine straffe Unterrichtsplanung und Unterrichtsgestaltung unabdingbar. Der Lehrer sollte aber nicht denken, er werfe seine Unterrichtsplanung für ein einzelnes Kind über den Haufen. Vielmehr ist eine gut strukturierte Unterrichtsplanung für alle Schüler von Vorteil und sollte, selbst wenn kein ADS-Kind in der Klasse ist, gezielt erarbeitet werden.
Ritualisierte Abläufe sind ein wichtiger Bestandteil einer straffen Unterrichtsplanung. Den Schülern fällt es leichter, sich angemessen zu verhalten, wenn sie wissen, was von ihnen erwartet wird und was auf sie zukommt. Wichtig ist, solche Riten konsequent zu verfolgen. Mögliche Riten können bei der Begrüßung und der Verabschiedung eingeführt werden. In der Grundschule ist vor allem der Morgenkreis oder der Montagskreis eine beliebte Form der Ritualisierung. Auch bei freien Unterrichtsformen müssen bestimmte Riten eingehalten werden. Gruppen sollten fest eingeteilt sein. Ebenso sollte die Aufstellung der Tische klar sein.
Da ADS-Schüler oftmals enorme Schwierigkeiten mit der Selbststeuerung haben, bietet sich gerade für diese Schüler eine gezielte Rhythmisierung im Unterricht an. Die Rhythmisierung schließt einen Wechsel von Spannungs- und Entspannungsphasen ein. Krowatschek bietet eine Vielzahl an Entspannungsmöglichkeiten im Unterricht.[23] Die Phasen der Entspannung sind für alle Schüler von großer Bedeutung. Regelmäßiger Einsatz von Entspannungsübungen kann bei Kindern und Jugendlichen schnell die Konzentrationsfähigkeit verbessern, zu Erholung und zu einer Beeinflussung verschiedener psychosomatischer Beschwerden und Verhaltensauffälligkeiten führen. Es ist wichtig, bei den verschiedenen Entspannungsmöglichkeiten das Alter der Schüler zu berücksichtigen. Der Körper soll von Stress und Leistung auf Entspannung und Erholung umgeschaltet werden. Bei bestimmten Übungen wird eine Entspannungsreaktion vom parasympathischen System angeregt, die den Herzschlag und die Atmung verlangsamt, die Darmtätigkeit anregt und für eine gute Durchblutung der Haut sorgt, sodass sich diese schön warm anfühlt.[24]
Für die Entspannung in der Schule eignen sich vor allem zwei Methoden: die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson und das Autogene Training nach Schultz. Bei der ersten Methode nach Jacobson wird der Zustand der Entspannung durch Anspannung und Entspannung der Muskeln herbeigeführt. Man spürt während der Übung, dass sich die Muskeln lockern. Etwa sechzehn Muskelgruppen werden mehrmals angespannt und nach drei Sekunden gelockert. Diese Methode kann in der Schule z.B. im Rahmen des Sportunterrichts angewandt werden. Im Unterricht wird sie von den Schülern allerdings eher als langweilig empfunden.[25]
Beim Autogenen Training wird der Entspannungszustand über die mentale Vorstellung herbeigeführt. Die Schüler sollen sich vorstellen, dass ihr Körper schwer, warm und ruhig ist. Diese Übungen werden von den Schülern vorgezogen, da sie im Unterricht abwechslungsreicher gestaltet werden können und die Phantasie anregen.[26]
Vor der Entspannung sollte in der Schule eine Phase der Dynamik erfolgt sein. Währenddessen können dann Spannung und Unruhe bei den Schülern abgebaut werden. Dynamische Übungen dauern nie länger als wenige Minuten und können am Platz durchgeführt werden. Sie sollten grobmotorische Elemente enthalten, da sie so zu einer Verbesserung der Atmung und einer verstärkten Sauerstoffzufuhr führen. Überdies motivieren sie und machen Spaß. Die Übungen sind auch durchaus für höhere Klassen geeignet. Eine Möglichkeit, eine dynamische Phase auszufüllen, bietet das Schattenboxen. Dabei stellen sich die Schüler vor, dass sie mit jemandem boxen. Erst nur mit geballten Fäusten und Armen, dann mit den Füßen (im Sitzen). Die Bewegungen sollten gemeinsam und möglichst rhythmisch vollzogen werden. Auch die Artikulation und der Stimmeinsatz spielen bei solchen Übungen eine wichtige Rolle. Bei jedem Schlag rufen die Schüler laut „ Ahhhh“, wobei sich das Tempo der Bewegungen allmählich steigert. Die Übung nimmt zwischen zwei und drei Minuten in Anspruch. Nach dieser dynamischen Phase erfolgt die Entspannungsphase. Damit die Entspannungsübungen auch wirklich wirken können, sollten einige Rahmenbedingungen eingehalten werden.[27]
So wird zum Beispiel eine störungsfreie Umgebung gefordert. Allerdings ist wohl jedem, der sich schon einmal in einer Schule aufgehalten hat, klar, dass dieser Forderung kaum nachgekommen werden kann. Die Ruhe kann durch Anklopfen, den Gong oder andere Störungen unterbrochen werden. In der Praxis hat es sich daher eher bewährt, Störungsgeräusche mit einzubeziehen: „ Draußen hören wir noch vorbeifahrende Autos“ etc .
Als eine besonders günstige Sitzordnung für Entspannungsübungen hat sich der Kreis bewährt. Dies ist jedoch nicht Bedingung. Die Schüler können auch in Tischgruppen sitzen. Die Sitzhaltung, die sich als die günstigste erwiesen hat, ist die von Prof. Schultz modifizierte Droschkenkutscherhaltung. Die Schüler sitzen dabei auf einem Stuhl, die Beine stehen am Boden. Die Hände werden locker auf die Oberschenkel gelegt. Mit dem Gesäß wird auf dem Stuhl zurückgerutscht, sodass die unteren Rückenwirbel gut gegen die Lehne gedrückt werden können. Der Kopf wird gerade gehalten. Die Augen sollten auf jeden Fall geschlossen sein. Für die Lehrkraft gilt allerdings zu beachten, dass das Schließen der Augen ein Vertrauensbeweis ist, der nicht allen Schülern sofort gelingt. Vor allem ADS-Schüler haben anfangs sehr große Probleme damit.[28]
Musik wirkt sich günstig auf die Entspannung aus, wenn sie richtig gewählt wird. Damit Musik entspannend ist, sollte sie 60 Taktschläge in der Minute haben. Dies entspricht einem verlangsamten Herzrhythmus und hilft der Lehrkraft, nicht zu schnell zu sprechen und somit die Entspannungsübung korrekt auszuführen.[29] Hinterher sollte den Schülern dann die Gelegenheit gegeben werden, sich auszutauschen.
Eine in der Schulklasse durchgeführte Entspannungsübung umfasst bestenfalls bis zu zehn Minuten und ist gut strukturiert. Im Internet lassen sich die verschiedensten Beispiele für solche Entspannungsübungen finden. Neben dem Einhalten der Entspannungsphasen und den vorangehenden dynamischen Phasen ist es nötig, vor allem hyperaktive Schüler in ihrem Bewegungsdrang nicht zu sehr einzuschränken. Imhof schlägt hierzu vor, für diese Schüler Botengänge zu arrangieren, ihnen Klassenämter anzubieten, beim Lösen von Aufgaben motopädagogische Elemente einzubauen, oder sie selbst eine geeignete Sitzposition wählen zu lassen etc. Generell rät Imhof der Lehrkraft, Toilettengänge und Ausflüge zum Papierkorb zu dulden, solange diese nicht zu störend sind. Auch Kaugummikauen kann sich positiv auf den Bewegungsdrang der Schüler auswirken.[30]
Neben dem Unterrichtsprinzip der Rhythmisierung spielt die Differenzierung eine wesentliche Rolle. Es sollte an dieser Stelle nicht extra erwähnt werden müssen, dass jeder Unterricht differenziert sein sollte, selbst wenn keine ADS-Schüler daran teilnehmen. Sowohl Umfang als auch Art der Aufgabe werden individuell variiert. Selbst Schülern, die Aufgaben in geringerem Umfang bearbeiten, soll genauso viel Übungszeit zur Verfügung stehen wie Schülern, die mehr bearbeiten. Die Aufgabenstellung sollte auf jeden Schüler in Bezug auf seine momentanen Fähigkeiten zugeschnitten sein. Nach Art und Umfang von Aufgaben bezieht sich die Differenzierung auch auf die Beurteilungssituation. Solche Situationen können entweder zeitlich oder formal variiert werden. Daraus folgt also, dass Schüler, die z.B. von ADS betroffen sind und somit oft länger für die Bearbeitung einer Aufgabe brauchen, auch mehr Zeit dafür erhalten.[31]
Eine Differenzierung der Prüfungssituation kann durch verschiedene Formen der Leistungsüberprüfung stattfinden. So können z.B. Fragen gestellt werden, die nur eine kurze Antwort erfordern, schriftliche Tests mit Multiple-Choice-Charakter erstellt, Lückentexte herangezogen und zur Bearbeitung einer Prüfung der Gebrauch des Computers zugelassen werden.
Multisensorische Lernsituationen schaffen
ADS-Kinder sind auf zusätzliche Unterstützung während ihrer Abspeicherungsprozesse im Gehirn angewiesen. Da Schüler mit einem Aufmerksamkeitsdefizit über eine kürzere Konzentrationsspanne verfügen als nicht betroffene Schüler, ist es nötig, ihnen den Unterrichtsgegenstand durch intensivere Informationsvermittlung und durch größere Stimulation nahe zu bringen. Eine erhöhte Stimulation kann zum Beispiel durch die Aufnahme des Unterrichtsgegenstandes mit mehreren Sinnen verwirklicht werden. Gerade im Fremdsprachenunterricht kann dieses Prinzip sehr gut umgesetzt werden. Beim Einführen neuer Vokabeln beispielsweise können der visuelle, der auditive und der haptische Sinn angesprochen werden, wenn die Vokabeln durch Bildkarten verdeutlicht, vorgesprochen und, wenn möglich, die bezeichneten Originalgegenstände in der Klasse herumgegeben werden. Auf diese Weise haben die Schüler die Möglichkeit, das Gespeicherte über mehrere Zugänge abzurufen.
Weiterhin können sich auch auditive Reize förderlich auf die Konzentration auswirken, wie zum Beispiel leise Musik beim Abschreiben. Ebenso wirken sich visuelle Zusatzreize, wie farbintensive Wortkarten, positiv auf die Aufmerksamkeit aus. Um mehrere Sinne anzusprechen, kann auf handlungsorientierte Unterrichtsmaterialien, wie Montessori-Material, zurückgegriffen werden. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass das Material eine eigenständige Fehlerkorrektur ermöglicht, die bei Schülern mit einer Aufmerksamkeitsstörung jedoch durch Überprüfungsaufträge unterstützt werden muss. So könnte die Lehrkraft nach einem Diktat beispielsweise den Korrekturauftrag geben: „ Kontrolliere, ob du alle Substantive groß geschrieben hast“.[32]
Der Sitzplan eines ADHS-Schülers
Kinder mit einer Hyperaktivität sitzen am günstigsten allein. Dies stellt für sie keine Bestrafung dar, den Betroffenen soll lediglich die Möglichkeit gegeben werden, sich besser zu organisieren. Wenn die jeweiligen Schüler das Bedürfnis haben, an einem Gruppentisch zu sitzen, sollten sie dies auch für einige Stunden dürfen. So lange, wie sie es schaffen, nicht zu stören.
Sollte es einem Schüler trotz ständiger Ermahnungen von Seiten des Lehrers nicht mehr gelingen, nicht zu stören und sollte sich dies durch positives Ignorieren nicht verbessern, hat sich, laut Krowatschek, das Time-out bewährt. Es stellt eine Entlastung für die Klasse, den Lehrer und den betroffenen Schüler selbst dar. Krowatschek schlägt vor, das Time-out wie folgt zu handhaben:
Es werden drei Ermahnungen ausgesprochen: Eins, Zwei, Time-out oder gelbe Karte, rote Karte, Drei, Time-out. Bei Time-out verlässt das Kind die Klasse, beruhigt sich und kommt dann wieder herein. Erhält das Kind die Vier muss es die ganze Stunde über draußen bleiben.[33]
Viele Lehrer scheuen sich, von dieser Maßnahme Gebrauch zu machen, da sie Angst haben, die Aufsichtspflicht zu verletzen. Manche sehen eine Lösung darin, den Schüler, der vor der Klassenzimmertür steht, die Türklinke heruntergedrückt halten zu lassen. Diese Methode ist allerdings nicht praktikabel, wenn das Kind sehr wütend ist. Eine bessere Lösung stellt das Time-out dar, wenn man den Schüler in die Nachbarklasse schicken kann, nachdem man sich mit einem Kollegen abgesprochen hat. Problematisch ist es natürlich, wenn ein Schüler die Klasse nicht verlassen will. Krowatschek schlägt hier vor, das Kind „mit etwas Nachdruck aus der Klasse heraus[zu]befördern“[34]. Notfalls soll auch die Hilfe eines Kollegen in Anspruch genommen werden. Lässt man dem Schüler seinen Willen und lässt ihn in der Klasse sitzen, hat sich ein Arbeiten mit dem Time-out erübrigt. Die Form des Hinausbeförderns mag vielleicht in der Grundschule noch einigermaßen umsetzbar sein, bei älteren Schülern in der Sekundarstufe sehe ich hier allerdings Probleme, da diese es zum Teil nicht als Bestrafung sehen, vom Unterricht fern bleiben zu müssen. Außerdem scheint es in meinen Augen sehr fragwürdig, ob es pädagogisch sinnvoll ist, einen Schüler für längere Zeit vom Unterricht auszuschließen. Vor allem, weil es sich bei solchen Kindern in der Regel um Schüler handelt, die ohnehin Probleme mit dem Unterrichtsstoff haben. Das Time-out sollte also als Ultima Ratio gesehen werden und in jedem Fall im Vorfeld mit den Schülern und Eltern abgesprochen werden. Vor allem darf neben den Ermahnungen und dem Time-out das Loben nicht vergessen werden, um dem Schüler zu zeigen, dass er nicht nur etwas falsch, sondern auch richtig macht.
Neben Ermahnungen und Loben, die dem Schüler zeigen, dass er etwas richtig oder falsch gemacht hat, ist es wichtig, ihm klarzumachen, wie korrektes Verhalten aussieht. Dem Lehrer muss bewusst sein, dass er Vorbild für die Schüler ist, d.h. er sollte sich möglichst immer so verhalten, wie er es von den Schülern erwartet. Außerdem muss er mit seinen Schülern gewünschtes Verhalten einüben. Dieses Einüben kann anhand von Verstärkerplänen vollzogen werden. Das Anfertigen von Verstärkerplänen stammt aus der Kindertherapie und kann ohne weiteres auf den Schulalltag übertragen werden. Beim Erstellen eines solchen Plans werden zunächst gemeinsam mit den Schülern erwünschte Verhaltensweisen formuliert. Dabei sollten auch Ideen der Schüler berücksichtigt werden. Es wird jeweils nur an einer Verhaltensweise gearbeitet. Wie an anderer Stelle schon erwähnt, sollen die Vereinbarungen positiv formuliert werden und dann von jedem Schüler auf den eigenen Verstärkerplan geschrieben werden. Hält sich der Schüler an die Vereinbarung, bekommt er einen Punkt. Die Punkte werden gesammelt und dann gegen eine kleine Belohnung eingetauscht. Punkte, die der Schüler erhalten hat, dürfen ihm nicht mehr weggenommen werden.[35]
Auch wenn der Unterricht gut gestaltet ist, empfiehlt es sich, Förderstunden für ADS-Schüler anzubieten. Während dieser kann ein gezieltes Konzentrationstraining stattfinden. Optimal ist eine Trainingsstunde pro Woche, die 60-70 Minuten dauert. Die Stunde erfolgt immer nach dem gleichen Muster. Zu Beginn einer Stunde steht eine Entspannungsübung, die den Schülern die Möglichkeit gibt, zur Ruhe zu kommen und die Aufnahmebereitschaft zu erhöhen. Darauf folgen in der Regel zwei bis vier Arbeitsphasen, die von sogenannten Spielphasen abgelöst werden. Die Spielphasen bestehen aus Aufgaben, die die Sinnesorgane fördern sollen. Durch Denkaufgaben, Suchbilder oder kleine gemeinsame Spiele wird die Förderstunde beendet. Die Aufgabenstellung soll bei allen Vorhaben laut beschrieben werden. Ziel der Förderstunden ist sowohl die Erhöhung der Selbststeuerung, der Selbständigkeit und der Selbstakzeptanz des Schülers als auch eine Verbesserung der Motivation durch erfolgreiches Bearbeiten von Aufgaben, angemessenes Umgehen mit Fehlern und eine Veränderung der Lehrer-Schüler- bzw. Eltern-Kind-Interaktion.[36]
[...]
[1] Krowatschek 2001, S. 62
[2] Krowatschek 2001, S. 62
[3] Barkley 2011, S.124
[4] Krowatschek 2001, S. 62 f.
[5] Raschendorfer 2003, S. 23 f.
[6] Krowatschek 2001, S. 64 f.
[7] http://adsinfos.wordpress.com/hirnforschung-medikamente/, Zugriff 10.09.2013
[8] Barkley 2011, S. 112
[9] Barkley 2011, S. 127
[10] Krowatschek 2001, S. 71
[11] Barkley 2011, S. 132 f.
[12] Barkley 2011, S. 133
[13] Barkley 2011, S.133 ff.
[14] Lauth & Schlottke (2009)
[15] Petermann & Petermann (2001)
[16] Döpfner, Schürmann & Frölich (2002)
[17] Lauth & Schlottke 2009, S. 386
[18] Krowatschek 2001, S. 156 ff.
[19] Lauth & Schlottke 2009, S. 384
[20] Vgl. Barkley 2011, S. 346 f.
[21] Imhof 2003, S. 92 ff.
[22] Krowatschek 2001, S. 116 f.
[23] Krowatschek 2001, S. 92 ff.
[24] Krowatschek 2001, S. 94
[25] Krowatschek 2001, S. 94
[26] Krowatschek 2001, S. 95
[27] Krowatschek 2001, S. 97 f.
[28] Krowatschek 2001, S. 99 f.
[29] Krowatschek 2001, S. 100
[30] Imhof (2003)
[31] Becker 2002, S. 13 ff.
[32] Barkley 2011, S.353 ff.
[33] Krowatschek 2001, S.118
[34] Krowatschek 2001, S.119
[35] Krowatschek 2001, S. 122
[36] Krowatschek 2001, S. 138
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