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Mehr InfosBachelorarbeit, 2013, 63 Seiten
Bachelorarbeit
1,7
Die Einführung der gemeinsamen europäischen Währung erwies sich bis zum Beginn der Krise als Segen für Staaten wie Griechenland oder Portugal. Die Zinskosten für ihre emittierten Staatsanleihen wurden niedriger (vgl. GnS economics, 2012, S.2).
Abbildung 1: Erträge auf 10-jährige Staatsanleihen (in Prozent)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: GnS economics, 2012, S.1
Wie in Abbildung 1 zu erkennen, lagen die Zinsen auf griechische Anleihen bei fast 25%. Die Zinsen auf spanische Anleihen lagen bei ca. 12%. Diese Zinsen sanken mit Einführung des Euro auf das Niveau der Anleihen von Deutschland. Real lagen sie in vielen Fällen sogar unter dem Niveau Deutschlands und damit bei fast null (vgl. McKinsey, 2012, S.6). Die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben, wurden allerdings vielfach falsch genutzt. Investitionen, z. B. in die Infrastruktur unterblieben, dafür nutzte man billige Kredite, um die Lücke zwischen Staatseinnahmen und –ausgaben zu schließen. Parallel erhöhten sich die Arbeitskosten, wie in Abbildung 3 zu sehen, und die Wettbewerbsfähigkeit verringerte sich. Deutschland konnte die Lohnstückkosten senken,
Abbildung 2: Reale Zinsrate
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: GnS economics, 2012, S.2
während diese in Griechenland, Italien, Spanien, Irland und auch Frankreich deutlich stiegen. Da eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit über eine Abwertung der Währung in diesen Ländern nicht möglich ist, muss das Preisniveau, d. h. die Lohnstückkosten, gesenkt werden.
Dies ist schwierig, wie das Beispiel Griechenland zeigt. Obwohl die sogenannte Troika, bestehend aus Vertretern der EU-Kommission, EZB und des IWF, seit 2010 tätig ist, sind die Lohnstückkosten
Abbildung 3: Nominale Lohnstückkosten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Boone/Johnson, 2012, S.6
nur marginal gesunken (vgl. Boone/Johnson, 2012, S.6).
Im Zuge der Bankenkrise stützten die Staaten ihren jeweiligen Finanzsektor. Dies führte zu einer hohen Staatsverschuldung und zu wachsenden Zweifeln seitens der Investoren, ob die Staaten ihre Schulden auch bedienen können. In Großbritannien oder den USA intervenierten die Zentralbanken neben den Staaten selbst. Die EZB folgte trotz Protesten, insbesondere aus Deutschland[1], dem Kurs des Federal Reserve System und der Bank of England und erwarb Staatsanleihen aus den Peripheriestaaten. Der Kurs der EZB ist weiterhin umstritten[2], aber sie erwies sich als einzig handlungswillige Institution der EU.
Im Mai 2010 begann die EZB mit den ersten Ankäufen von Staatsanleihen über den Sekundärmarkt[3]. Dies stellte ein Novum in der Geschichte der EZB dar.
Tabelle 1: Wertpapierforderungen und Bilanzsummen der EZB
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Zusammengestellt aus: EZB, 2010, 2012, 2013a, jeweils S.S6
Vom 30. April 2010 bis zum 13. April 2012 kaufte die EZB Wertpapiere von Eurostaaten im Wert von fast 300 Mrd. Euro, während sich die Bilanzsumme um über eine Billionen Euro erhöhte. Aktuell konnte die Bilanzsumme um über 500 Mrd. Euro gesenkt werden, aber die Forderungen an die Eurozone liegen weiterhin bei über 600 Mrd. Euro und damit rund 250 Mrd. Euro höher als im April 2010. Gegenwärtig liegt die Inflationsrate im Euroraum bei 1,6% (Juli 2013) (vgl. Eurostat, 2013, S.1). Dieser niedrige Wert dürfte damit zusammenhängen, dass der Interbankenverkehr und die Kreditvergabe der Geschäftsbanken, vor allem in Südeuropa, weiterhin stocken. Die EZB hat zwar die Geldbasis ausgeweitet, die umlaufende Geldmenge betrifft dies bisher aber nicht. Der Hauptzinssatz liegt bei lediglich 0,5%. Für Deutschland dürfte der Satz zu niedrig, für Griechenland, Italien, Irland, Portugal und Spanien (GIIPS) hingegen absolut notwendig sein. Der Interbankenverkehr ist oftmals noch gestört und Banken in den betroffenen Staaten vergeben nur sehr restriktiv Kredite. Die europäischen Geldströme fließen weiterhin vor allem nach Deutschland, wie das Zahlungssystem Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System II (TARGET II) zeigt. Die EZB hält den Leitzins auf niedrigem Niveau und wird, wenn nötig, auch weitere Ankäufe tätigen, solange die Politik keine Lösung findet. Es wurden Sicherungssysteme geschaffen, wie der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) mit Mitteln in Höhe von 440 Mrd. Euro, dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) der EU in Höhe von 60 Mrd. Euro und einer Beteiligung von 250 Mrd. Euro seitens des IWF. Insgesamt waren so 750 Mrd. Euro temporär verfügbar. Seit Juli 2012 ist ein dauerhafter Schutzmechanismus, der Europäische Stabilisierungsmechanismus (ESM) vorhanden. Dieser verfügt über ein Stammkapital in Höhe von 700 Mrd. Euro und kann maximal Darlehen in Höhe von 500 Mrd. Euro vergeben (vgl. Bundesregierung, o. J.).
Ob dies Panikkäufe und –verkäufe an den Finanzmärkten dauerhaft eindämmt, wird sich zukünftig zeigen und ist von dem Ziel abhängig, wie weit die Zinsen gesenkt werden sollen. Wie Boone und Johnson schreiben: „Any successful program must recognize the fact that appetite for periphery debt amongst investors will not recover to "precrisis" levels, because default risk is now a reality that was not foreseen prior to 2009 and because debt stocks are now higher in the periphery” (Boone/Johnson, 2012, S.4 f.).
Dies bedeutet, eine Rückkehr der GIIPS-Staaten zu Zinsen in Höhe von 3-4% ist zukünftig äußerst unwahrscheinlich.
Dank der Unterstützung der nordeuropäischen Staaten, der EZB und des IWF konnte die Lage in den GIIPS etwas entspannt werden. Dennoch ist sie weiterhin bedenklich. Italien leidet besonders unter der hohen Staatsverschuldung, während Spanien zusätzlich der Gefahr einer Bankenkrise ausgesetzt ist, da einheimische Unternehmen hohe Verschuldungen aufweisen (vgl. Lombard Street Research, 2012, S.18). Portugal und besonders Griechenland stehen noch schlechter da. In Griechenland müsste eigentlich erst ein funktionierender Staat aufgebaut und darüber hinaus eine Mentalität geschaffen werden, Steuern zu bezahlen und Korruption zu bekämpfen. Griechenland schneidet beim Korruptionsindex mit Platz 94 und 36 Punkten schlecht ab[4] (vgl. Transparency International, 2012).
Wie in Tabelle 2 zu erkennen, sind die wirtschaftlichen Kennzahlen der GIIPS besorgniserregend. Die Daten stammen, zur besseren Vergleichbarkeit, alle vom US-amerikanischen Nachrichtendienst Central Intelligence Agency (CIA). Griechenland und Spanien haben Arbeitslosenquoten (ALQ) von rund 25%. Die Industrieproduktion ist stark rückläufig und die Leistungsbilanz (LB) ist stark defizitär. Auch Italien, Irland und Portugal weisen, zwar in geringerem Umfang als Griechenland und Spanien, aber dennoch hohe ALQ vor. Die LB ist, mit Ausnahme von Irland, stets negativ, d. h. es werden stets mehr Waren importiert als exportiert. Des Weiteren weist der Staatshaushalt ein großes Defizit auf und wirkt sich bei parallelem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verstärkt auf die Staatsschulden aus. Wobei angemerkt werden muss, dass allein der Wirtschaftsrückgang, mathematisch bedingt, für eine Erhöhung der Staatsschuldenquote sorgt.
Tabelle 2: Volkswirtschaftliche Kennzahlen GIIPS 2012
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[5] [6] [7] [8] [9] [10]
Quelle: Zusammengestellt aus: CIA, 2013d, 2013e, 2013f, 2013i, 2013j
Da, mit Ausnahme von Italien, die GIIPS eine Wirtschaftsstruktur aufweisen, die besonders abhängig vom Dienstleistungssektor ist, können steigende Lohnstückkosten ein rapides Schrumpfen der Volkswirtschaft bewirken. In Irland sind besonders US-amerikanische IT-Unternehmen vertreten, die schnell wieder abwandern könnten. Portugal, Griechenland und besonders Spanien haben traditionell einen starken Tourismussektor. Bei steigenden Kosten für Urlauber, weichen diese aber z. B. auf Ägypten oder die Türkei aus. Zudem können Ägypten oder die Türkei ihre Währung abwerten, um wettbewerbsfähiger zu werden. Alle GIIPS, außer Irland, belegen laut dem Index zur Wettbewerbsfähigkeit Plätze am Ende der Rangliste[11] (vgl. World Competitiveness Center, 2013).
In den nordeuropäischen Staaten Finnland, Österreich, Niederlande, Frankreich und Deutschland (FÖNFD) sieht die wirtschaftliche Lage besser aus. Die ALQ ist niedrig, die Wettbewerbsfähigkeit ausgeprägt und die Staatsverschuldung auf tragfähigem Niveau.
Tabelle 3: Volkswirtschaftliche Kennzahlen FÖNFD 2012
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten[12] [13] [14] [15] [16] [17]
Quelle: Zusammengestellt aus: CIA, 2013a, 2013b, 2013c, 2013g, 2013h
Laut Frankfurter Allgemeinen Zeitung (vgl., FAZ, 2013) vertreten auch die drei großen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch diese Meinung. Lediglich neun Staaten in Europa erhalten zur Zeit das Toprating AAA bzw. Aaa. Deutschland, Finnland, die Niederlande und Österreich gehören dazu.[18]
Deutschland weist traditionell einen Leistungsbilanzüberschuss aus. Vereinzelt wird dieser auch als Ursache für die Krise gesehen, stärker noch als das Staatsdefizit der Krisenländer (vgl. Future Perspectives, 2012, S.4). Pisani-Ferry sieht hingegen die schwache Disziplin der Krisenländer in der Fiskalpolitik und die mangelhafte Durchsetzung der Maastricht-Kriterien als Ursache (vgl. Pisani-Ferry, 2012, S.6 f.). Deutschland konnte sich in der Krise behaupten, da Reformen bereits zu Beginn des Jahrtausends eingeleitet wurden (vgl. ebd., S.3). Zudem sorgt die Wirtschaftsstruktur für eine gewisse Sicherheit. Deutschland hat eine hohe Anzahl so genannter „Hidden Champions“, d. h., es finden sich viele kleine bis mittlere Unternehmen mit einer hochgradigen Spezialisierung, die in ihrem Segment globaler Marktführer, dabei der Öffentlichkeit jedoch oftmals unbekannt sind (vgl. Simon, 2007, S.29). Dies ermöglicht auch einen Export über die Grenzen Europas. Deutschland ist somit weniger abhängig vom europäischen Binnenmarkt. Schließlich exportieren deutsche Unternehmen entweder hochwertige Konsumgüter wie Autos oder Investitionsgüter. So konnten viele deutsche Unternehmen vom weltweiten Aufschwung (vgl. Zeddies, 2009, S.254) und der verstärkten Integration der Weltmärkte (vgl. Horn/Stephan, 2005, S.8) profitieren.
Finnland konnte vom Euro bis zum Beginn der Krise ebenfalls, besonders in der IT-Branche, profitieren (vgl. GnS economy, 2012, S.11). Auch für Österreich und die Niederlande deuten die volkswirtschaftlichen Kennzahlen auf gute Ergebnisse hin. Wobei die Niederlande laut des Lombars Street Research von ihrer eigenen Währung mehr profitiert hätten (vgl. Lombard Street Research, 2012, S.1). Kritisch anzumerken sind bei dieser Untersuchung mangelnde Unterlagen zur Berechnung und der Hintergrund, dass der Bericht von der europakritischen Partei Partij voor de Vrijheid (PVV) in Auftrag gegeben wurde.
Frankreich ist, wie bereits erwähnt, ein Sonderfall. Gerade das hohe Defizit in der LB bereitet Anlass zur Sorge. Eine Reform der französischen Arbeits- und Sozialsystems ist nach Meinung von EZB-Präsident Mario Draghi überfällig (vgl. Heuser, 2013). Bisher konnte die sozialistische Regierung unter Präsident François Hollande kaum Erfolge vorweisen, dennoch vertritt Hollande die Meinung, dass die europäische Krise bereits beendet sei (vgl. Élysée, 2013). In der Vergangenheit nutzte Frankreich häufiger eine Abwertung des Franc um wettbewerbsfähiger zu werden. Aktuell könnte man es aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage zwischen den GIIPS und FÖNFD einordnen. Es ist offen, ob Frankreich zukünftig ebenfalls Hilfen benötigen wird, oder ob Reformen implementiert werden. Als zweitgrößte Volkswirtschaft der EU ist Frankreich von elementarer Bedeutung für die Zukunft der EU. Gerade die enge Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland wird den Ausschlag geben, ob die nachfolgend beschriebenen Szenarien Realität werden.
In diesem Kapitel werden drei mögliche Szenarien erläutert. Die drei Szenarien werden danach untersucht, ob ein Austritt aus der Währungsunion freiwillig oder unfreiwillig erfolgt. Zum einen das Szenario, dass ein Staat aus Südeuropa austreten würde. Dieser Fall wird am Beispiel Griechenlands dargestellt. Zum anderen wird das Szenario untersucht, dass ein Staat aus Nordeuropa aus der Eurozone austreten würde. Dieser Fall wird am Beispiel Deutschlands dargestellt. Zuletzt wird untersucht, welche Folgen ein Auseinanderbrechen der gesamten Währungsunion hätte. Darüber hinaus erfolgt eine Klärung der Frage, ob durch einen Zusammenbruch der EWU die Gefahr einer Hyperinflation oder einer erneuten „Großen Depression“ droht.
Seit Beginn der Krise ist vielfach gefordert worden, dass diejenigen Länder, die besonders stark von der Eurokrise betroffen sind, die Eurozone verlassen, eine nationale Währung einführen und diese dann abwerten sollten, um im Wettbewerb bestehen zu können (vgl. Dabrowski, 2012, S.1). Selbstverständlich können nicht alle Staaten ein Wirtschaftsmodell à la Deutschland implementieren. Zum einen müssen Exportwaren, die auch auf ausländischen Märkten Absatzchancen haben, vorhanden sein, zum anderen sollen sich die LB annähern. Es können nicht alle einen Überschuss erwirtschaften, irgendwo müssen auch Defizite vorhanden sein (vgl. King/Henry, 2011, S.7).
Ein Austritt aus der EWU könnte freiwillig oder unfreiwillig erfolgen. „Most probably, an involuntary exit would be even more disastrous, economically and politically, than a voluntary one because of its spontaneous and highly unpredictable character” (Dabrowski, 2012, S.3). Die Auswirkungen selbst werden aber in allen Bereichen dieselben sein, bei einem freiwilligen Austritt vielleicht nur etwas weniger intensiv[19] als bei einem unfreiwilligen. Für ein unfreiwilliges Verlassen der Währungsunion gibt es zwei mögliche Gründe. Entweder kann (oder will) der betroffene Staat die vorgegebenen Auflagen nicht erfüllen, oder aber die nationale Zentralbank begehrt gegen Entscheidungen der EZB auf und die nationalen Privatbanken erhalten kein Geld der EZB mehr (vgl. ebd., S.2 f.).
Griechenland ist momentan das Land mit den größten ökonomischen Problemen in der Währungsunion. Ohne finanzielle Hilfen seitens der Troika hätte die griechische Regierung längst den Staatsbankrott erklären müssen. Die Pro- und Kontraargumente für einen Austritt Griechenlands werden nachfolgend untersucht. Danach erfolgt eine Bewertung der möglichen Auswirkungen und Kosten eines Austritts, unabhängig davon, ob dieser freiwillig geschieht oder nicht. Dabei werden verschiedene Bereiche der griechischen Wirtschaft, wie die Realwirtschaft, die Inflation, der Finanzsektor, der Wechselkurs oder das inländische Bankensystem untersucht. Abschließend werden nicht-ökonomische Aspekte, d. h. politische und soziale Kosten, bewertet.
Das häufigste Argument für einen Austritt Griechenlands lautet, dass man wieder eine eigene Währung einführen könnte, diese abwerten und so die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen würde. Argentinien wird gerne als Vorbild genannt (vgl. Elbers, 2012, S.31; Bootle, 2012, S.64; Vieira/Frias, 2012, S.18 ff. und Dullien/Schwarzer, 2011, S.46). Vor dem Hintergrund, dass Eurobonds, also Anleihen, für die alle Mitglieder der EU oder zumindest der Währungsunion haften, nicht eingeführt[20] werden, ist die Wichtigkeit eines Sparkurses für Deutschland hoch. Woo und Vamvakidis (2012) zeigen dies in an einem spieltheoretischen Beispiel. Es handelt sich dabei um das Modell des Gefangendilemmas. Griechenland und Deutschland haben jeweils zwei Möglichkeiten.
Tabelle 4: Spieltheoretisches Modell Deutschland versus Griechenland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Woo/Vamvakidis, 2012, S.3
Deutschland kann sich für oder gegen die Einführung von Eurobonds entscheiden, Griechenland für oder gegen einen Austeritätskurs. Man kann erkennen, dass die optimale Lösung ein kooperierendes Verhalten wäre. Unter der Annahme, dass keiner vorher weiß, welchen Kurs der andere einschlägt, fällt die Entscheidung auf das Nash-Gleichgewicht[21]. In diesem Fall bedeutet dies keine Eurobonds und keine Austerität (vgl. Woo/Vamvakidis, 2012, S.3 f.). Dies ist sowohl für Griechenland, als auch für Deutschland nur die drittbeste Wahl. Momentan schwankt Griechenland zwischen den, für sich selbst, beiden schlechtesten Möglichkeiten und könnte daher einen Austritt anstreben.
Ein weiteres Argument für einen Austritt Griechenlands bzw. einen generellen Austritt der Staaten, die aus eigener Kraft nicht mehr ihren Staatshaushalt finanzieren können, betrifft die Eindämmung des aufkommenden Nationalismus in vielen europäischen Staaten, dadurch dass Zahlungen an die GIIPS aus Steueraufkommen in Deutschland, den Niederlanden, Finnland usw. nicht mehr erfolgen würden.
Zudem wäre ein Austritt Griechenlands, ceteris paribus, ökonomisch verkraftbar (vgl. Petersen/Böhmer, 2012, S.1). Bei einem Verbleib müsste hingegen eine dauerhafte Transferzahlung stattfinden (vgl. Meyer, 2012b, S.23) und dies aufgrund einer Mitgliederstruktur, die nicht der einer optimalen Währungsunion entspricht[22] (vgl. ebd., S.19).
Auch sind, so ein letztes Argument, Länder wie Schweden, das Vereinigte Königreich und Dänemark nie der Währungsunion beigetreten und partizipieren dennoch erfolgreich am europäischen Binnenmarkt (vgl. Eichengreen, 2007, S.11).
Ein wichtiges Argument für einen Verbleib wirtschaftlich schwächerer Nationen wie Griechenland im Euroraum ist der europäische Gedanke. Ein Verlassen der Währungsunion (und möglicherweise der EU) wäre konträr zur Idee des vereinten Europas. Der Solidaritätsgedanke wäre ad acta gelegt.
Das Hauptargument für einen Verbleib Griechenlands bzw. eines schwächeren Euromitgliedes betrifft jedoch die Gefahr des Übergreifens der Eurokrise auf weitere Staaten und den Domino-Effekt eines internationalen Bank Runs (vgl. Cliffe/Vanden Houte/van Vliet, 2012, S.3 ff.; Åslund, 2012a, S.1; Lachman, 2010, S.30; King/Henry, 2011, S.14; McKinsey, 2012, S.15 und Petersen/Böhmer, 2012, S.1).
Sollte dies geschehen, wären die Folgen dramatisch. Ein solches Szenario würde das Ende der Währungsunion und der EU bedeuten. „Exit from the EMU [Economic and Monetary Union] cannot be selective: It is either none or all” (Åslund, 2012a, S.1). Diese Aussage ist essenziell. Ein Austritt aus der Währungsunion, sei es aus den Peripherieländern oder den wirtschaftlich gesünderen Staaten Nordeuropas, führt mit größter Wahrscheinlichkeit zum Auseinanderbrechen der gesamten Währungsunion und der EU. Allein über das Prinzip einer Neueinführung einer nationalen Währung und deren Abwertung ist wirtschaftliches Wachstum nicht realisierbar. Diese Vorstellung ist ebenso falsch wie die, dass ein Land wie Deutschland die Währungsunion ohne ernsthafte Konsequenzen verlassen kann (vgl. Deo/Donovan/Hatheway, 2011, S.3).
Dass Schweden, Dänemark und das Vereinigte Königreich nie der Eurozone beigetreten sind und dennoch erfolgreich am Binnenmarkt teilnehmen, ist richtig. Allerdings sind sie freiwillig nie beigetreten. Das ist ein wichtiger Unterschied.
Obwohl ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion ohne Zusammenbruch der selbigen in ihrer Gesamtheit unwahrscheinlich ist, wird im Weiteren untersucht, welche Folgen und Kosten der Austritt Griechenlands für das Land selber hätte. Annahme gemäß bleibt die Eurozone erhalten, lediglich Griechenland verlässt sie. Zudem sind die Auswirkungen weniger ausgeprägt, als bei dem Ausscheiden einer größeren Volkswirtschaft. Des Weiteren erfolgt der Austritt in geordneter Weise (vgl. Cliffe, 2011, S.9). Es werden die Auswirkungen auf unterschiedlichste Felder, wie z. B. Inflation, Realwirtschaft und den Wechselkurs, beschrieben. Selbstverständlich könnten weitere Auswirkungen und Kosten auftreten.
Unternehmensanleihen bezeichnen Schuldaufnahmen von Unternehmen am Kapitalmarkt (vgl. May, 2008, S.17). Mit einem forderungsbesicherten Wertpapier, einem Asset-Backed-Security (ABS), „ist ein verzinsliches Wertpapier [gemeint], welches Zahlungsansprüche gegen eine Zweckgesellschaft (…) zum Gegenstand hat, und wobei die Zweckgesellschaft die Mittel aus der Finanzierung (…) ausschließlich zum Erwerb von Forderungen meist mehrerer Gläubiger verwendet. Asset-Backed Securities (…) haben zum Ziel, bisher nicht liquide Vermögensgegenstände (Assets) in festverzinsliche, handelbare Wertpapiere mittels Wertschriften-Verbriefung (Securitization) zu transformieren“ (Gallati, 2011, S.211).
Bei einem Austritt würde der Credit Spread[23] für ABS und Unternehmensanleihen deutlich über dem Niveau von 2008 nach der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers liegen. Geringe ökonomische Aktivität und finanzielle Not würden zu Verkäufen zu (fast) jedem Preis und zu einer Abwärtsspirale auf dem Kreditmarkt führen (vgl. Cliffe et al., 2010, S.14). Bestehende Anleihen würden weit unter Wert veräußert und für neu emittierte müssten horrende Zinszahlungen geleistet werden.
Unter Realwirtschaft versteht man die Abkoppelung des Finanzmarktes von der übrigen Wirtschaft. Ein Austritt Griechenlands hätte für die heimische Wirtschaft verschiedene schwerwiegende Auswirkungen. Zunächst wären da die juristischen und logistischen Herausforderungen, eine neue Währung einzuführen (vgl. ebd., S.8). Juristisch wäre die Frage zu klären, ob Griechenland überhaupt eine neue Währung einführen darf und wie man dies bewerkstelligt. Darüber hinaus würde eine rechtlich ungewisse Situation entstehen, die eventuell über Jahre andauerte, bis die Gerichte alle Klagen im Zusammenhang mit der Währungsreform bearbeitet hätten (vgl. Dullien/Schwarzer, 2011, S.46).
Logistisch wäre eine Währungsreform schwieriger zu bewerkstelligen als z. B. in den 1920er Jahren in der Weimarer Republik oder in den 1990er Jahren in der ehemaligen Sowjetunion. Heutzutage müsste Computersoftware umgeschrieben und Automaten müssten neu programmiert werden. Eine lange Vorbereitung wäre zwingend erforderlich (vgl. Eichengreen, 2007, S.2).
Schon im Voraus würden Unternehmen, Investoren und Verbraucher das Vertrauen in die griechische Wirtschaft (vgl. Cliffe, 2011, S.11) und Regierung verlieren, insbesondere da Korruption, Nepotismus und Patronage in dem Land blühen (vgl. Mylonas, 2011, S.79). Bei einem Austritt aus der EU würde möglicherweise der Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt verloren gehen (vgl. Normand/Sandilya, 2011, S.3). Exporte würde sich schwierig gestalten, da die EU bei einer Abwertung der neuen Währung Zölle in derselben Höhe der Abwertung erheben könnte (vgl. Deo/Donovan/Hatheway, 2011, S.9). Importe könnten ebenfalls teurer werden, da Protektionismus ein probates Instrument wäre, um die einheimische Wirtschaft zu schützen und dadurch die Abwertung der neuen Währung Importe sich wesentlich verteuern würden.
Theoretisch könnte die Fiskalpolitik genutzt werden, um staatliche Nachfrage zu kreieren und die ALQ zu senken. Doch einerseits kann Griechenland staatliche Nachfrage nicht finanzieren und zum anderen, selbst wenn sie es könnten, dann würde dies nur das Defizit der LB erhöhen und zusätzlich, bei sinkender Arbeitslosigkeit, den Druck auf die Löhne vermindern. Das Konzept der Wettbewerbsfähigkeit wäre Makulatur (vgl. Blanchard, 2006, S.10).[24]
Griechenland würde unter einer Rezession leiden, schlimmer als die gegenwärtige. Bei einem Austritt Ende 2011 lagen der kalkulierte Rückgang des BIP Griechenlands bei 10,5% im Jahr 2012 (vgl. Deo/Donovan/Hatheway, 2011, S.12). Dies wäre fast doppelt so groß, wie der tatsächliche Rückgang 2012 gewesen ist (vgl. CIA, 2013d).
Griechenland müsste bei einer neuen Währung versuchen Vertrauen in diese zu schaffen. Allerdings wäre die Umsetzung schwierig. Es wird geschätzt, dass ein Inflation in Höhe von ca. 20% pro Jahr droht (vgl. Cliffe, 2011, S.14), während einige auch die Möglichkeit einer Hyperinflation in Betracht ziehen (vgl. Normand/Sandilya, 2011, S.3 und Dullien/Schwarzer, 2011, S.46).
Hinzu kommt die Abwertung der Währung. Zwar wird sie vielfach als Vorteil gesehen, aber dies könnte sich als Trugschluss erweisen. Währungsabwertungen, vor allem im großen Maßstab, gehören zu den schlechtesten wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die eine Regierung treffen kann (vgl. Cooper, 1971, S.3). Cooper bezieht sich zwar auf Entwicklungsländer, die Auswirkungen können aber auch in Industrieländern stattfinden. Bedenkt man die aktuelle chaotische Lage in Griechenland, kann man schnell den Eindruck gewinnen, dass Griechenland zwar ökonomisch nicht zu den Entwicklungs- oder Schwellenländern gehört, aber politisch und gesellschaftlich momentan eher an solche erinnert. So ist z. B. die Versorgung mit Medikamenten in Griechenland problematisch (vgl. Karamanoli, 2012, S.302). Das griechische Sozialsystem ist mit dem Ausmaß der Krise völlig überfordert (vgl. Matsaganis, 2012, S.414). Eine Währungsabwertung verschärfte dieses Problem noch.
Diese würde bei geschätzten 75% (vgl. Dullien/Schwarzer, 2011, S.46) bis 80% (vgl. Cliffe, 2011, S.20) liegen. „Exiting the Euro is not going to take place with a small depreciation of the NCC [New National Currency]. The Idea that a 10% or 20% adjustment is all that is required is fantasy (why on earth would any country go through this much trauma for so small an adjustment?)” (Deo/Donovan/Hatheway, 2011, S.8). Importe wären schwierig zu finanzieren. Problematischer ist jedoch die Frage der Schuldverschreibungen. Griechenland ist, ebenso wie Portugal, Spanien, Italien und Irland, untereinander, in der Eurozone und außerhalb dieser verschuldet.
Wie in Abbildung 4 zu erkennen ist, sind die Forderungen an den griechischen Staat besonders aus Frankreich, Irland und Portugal sehr hoch. Bei einer Abwertung ist es zum einen fraglich, ob die Forderungen bedient werden können und zum anderen, in welcher Währung dies zu erfolgen hat. Sollten die Forderungen nicht erfüllt werden können, sind erneute Hilfen für Banken und andere Finanzinstitute unumgänglich. Die Zinssätze für portugiesische, spanische, italienische und irische Staatsanleihen würden auf nie erreichte Höhen steigen. Keiner dieser Staaten könnte sich Gelder zu diesen Konditionen leihen. Darüber hinaus wären erneute finanzielle Hilfen der Bevölkerung gegenüber nicht vermittelbar. Als Vorteil einer Währungsreform gilt, dass Griechenland seine Schuldverschreibungen in die neue Währung umschreiben würde (vgl. Deo/Donovan/Hatheway, 2011, S.7).
Abbildung 4: Forderungen ausländischer Banken an die GIIPS (in % des BIP)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Lachman, 2010, S.24
Zudem würden die Zinsen für griechische Staatsanleihen sinken, auf ein hohes Niveau zwar, das aber niedriger als das gegenwärtige wäre (vgl. Cliffe, 2011, S.16).
[...]
[1] Im Zuge der Proteste gegen den Kurs der EZB traten sowohl Bundesbankpräsident Axel Weber, der als Nachfolger des damaligen französischen EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet gehandelt wurde, als auch der deutsche Chefvolkswirt der EZB Jürgen Stark von ihren Ämtern zurück.
[2] Auch rechtlich. Zur rechtlichen Beurteilung siehe Abschnitt 4.3.
[3] Mit Sekundärmarkt ist gemeint, dass die Wertpapiere sich bereits im Umlauf befinden (Vgl. Pollert/Kirchner/Polzin, 2008, S.452).
[4] Zum Vergleich: Deutschland erreicht 79 Punkte und Platz 13. Spitzenreiter sind mit 90 Punkten Dänemark, Finnland und Neu Seeland. Irland erreicht Platz 25 und 69 Punkte. Spanien 30/65, Portugal 33/63 und Italien 72/42. Insgesamt sind 176 Staaten gelistet. Schlusslichter sind mit jeweils 8 Punkten Afghanistan, Nordkorea und Somalia (vgl. Transparency International, 2012).
[5] In Kaufkraftparität (KKP)
[6] In US-$.
[7] Im internationalen Vergleich.
[8] In Prozent.
[9] In Prozent des BIP.
[10] In Mrd. US-$.
[11] Siehe auch Abbildung 9 im Anhang.
[12] In KKP.
[13] In US-$.
[14] Im internationalen Vergleich.
[15] In Prozent.
[16] In Prozent des BIP.
[17] In Mrd. US-$.
[18] Die weiteren Staaten sind Luxemburg, Dänemark, die Schweiz, Schweden und Norwegen (vgl. FAZ, 2013).
[19] Wobei „weniger intensiv“ ein Euphemismus ist. Die Auswirkungen würden auch bei einem freiwilligen Austritt dramatisch sein.
[20] Für den juristischen Hintergrund siehe Abschnitt 4.3.
[21] Ein Nash-Gleichgewicht (nach dem US-amerikanischen Mathematiker John Forbes Nash Jr.), ist definiert als erwartete optimale Entscheidung, d. h. ein Individuum wählt eine Strategie, abhängig von der Wahl des anderen Individuums. Da beide im Voraus nicht wissen, welche Strategie der andere wählt, wählen beide die Strategie, die sie nach Kenntnisnahme der anderen nicht mehr wechseln (vgl. Nash, 1950, S.17 ff. und Varian, 2007, S.599 f.). Für diese Leistung, auf der weitere Erkenntnisse der Spieltheorie aufbauen, erhielt Nash 1994, zusammen mit dem Deutschen Reinhard Selten und dem US-Amerikaner John Harsanyi, den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.
[22] Die Voraussetzungen für eine Währungsunion sind vielfältig. Besonders wichtig ist die Faktormobilität. Meade befürwortet einen gemeinsamen europäischen Markt für Waren, Arbeit und Kapital sowie ein gemeinsames Bankensystem (vgl. Maede, 1957, S.386). Scitovsky betont die Notwendigkeit der Verbesserung der Arbeitsmobilität (vgl. Scitovsky, 1962, S.128). Der kanadische Volkswirt Robert Alexander Mundell befasste sich ausführlich mit der Theorie der Währungsunion, insbesondere in Verbindung mit Wechselkursen (vgl. Mundell, 1961, S.657-665). Unter anderem erhielt er hierfür 1999 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.
[23] Als Credit Spread bezeichnet man den Anteil der auf den risikofreien Zinssatz aufgeschlagen wird. Je höher die Ausfallwahrscheinlichkeit, desto höher ist der verlangte Aufschlag der Investoren (vgl. Schierenbeck/Wöhle, 2008, S.502).
[24] Blanchard bezieht sich zwar nur auf Portugal, aber die Situation in Griechenland ist mindestens gleich, wenn nicht noch bedenklicher.
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