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Mehr InfosBachelorarbeit, 2012, 58 Seiten
Geowissenschaften / Geographie - Bevölkerungsgeographie, Stadt- u. Raumplanung
Bachelorarbeit
Die gesellschaftlichen Veränderungen haben sich auf die Größe der Haushalte ausgewirkt. Die Anzahl kleiner Haushalte hat sich vermehrt. Wie ich in Kapitel 5 noch beschreiben werde, sind diese kleinen, oft kinderlosen Haushalte wichtige Akteure im Gentrifizierungsprozess. Vor allem in Großstädten, welche die Schauplätze der Gentrifizierung sind, gibt es eine große Zahl an kinderlosen Haushalten. Diese demographischen Faktoren führen zu einer höheren Nachfrage an Wohnraum. (vgl. Blasius 1993: 24)
Ein weiterer Faktor, der zu einer höheren Nachfrage an innenstadtnahem Wohnraum führt, sind die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Der tertiäre Sektor (Dienstleistungssektor) hat seit den 70er Jahren enorm an Wichtigkeit gewonnen, wodurch das Bedürfnis nach kurzen Wegen zu Freunden und Bekannten sowie Einrichtungen des täglichen Bedarfs und kulturellen Einrichtungen entstanden ist. (vgl. Blasius 1993: 25)
In wissenschaftlicher Literatur sind Lebensstile ein häufig beschriebener Faktor der Gentrifizierung. Die Lebensstile der Akteure im Gentrifizierungsprozess sind neu entstanden und ohne die Ausübung jener wäre die Gentrifizierung nicht möglich. Auf der einen Seite führt die Verlängerung der Post-Adoleszenz zur Verlängerung der Ausbildungszeit und somit zu unterschiedlichen Wohnformen (Wohngemeinschaft, Singlewohnungen, Zweierwohnungen). (vgl. Blasius 1993: 24) Dies könnte mensch als den „studentischen Lebensstil“ bezeichnen. Auf der anderen Seite stehen die kinderlosen Haushalte, in denen beide Mitglieder einer Partnerschaft auf hohem Lohnniveau erwerbstätig sind. Auch damit geht ein bestimmter Lebensstil einher – das häufige Essen gehen in Restaurants und andere Konsumwünsche. In Kapitel 5 werden die Lebensstile und deren Akteure noch genauer beschrieben.
Gentrifier und Pioniere pflegen beide einen kosmopolitischen Lebensstil. Diese Gruppen zieht es in die innenstadtnahen Wohngebiete, die Orte, die gut erreichbar sind, weil sie ihren Lebensstil in diesen Räumen bestmöglich darstellen können. Diese Orte der Ausübung und Pflege des Lebensstils sind nicht automatisch auch die Orte der Niederlassung, jedoch wird durch die innenstadtnahe Lage auch die Nähe zur Ausbildungs- oder Arbeitsstädte gegeben, ziehen es die kosmopolitischen Gentrifier oder Pioniere vor, auch da zu wohnen. (vgl. Kecskes 1997: 118)
Es gibt zwei wichtige Erklärungsansätze zur Entstehung von Gentrifizierung – der „angebotsorientierte Ansatz“ und der „nachfrageorientierte Ansatz“.
Neil Smith legt den Fokus bei der Beschreibung von Gentrifizierung auf die Verbindungen zwischen dem Kapitalfluss und der Produktion von Stadtraum. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 21) Seine Theorie wird auch als „Rent-Gap“ Theorie bezeichnet.
Smith beschreibt Gentrifizierung als Symptom von sozialen Transformationsprozessen in der Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen die bereits erwähnten Lebensstile der neuen Mittelschicht und auf der anderen steht die Produktionsseite, die beim angebotsorientierten Ansatz im Vordergrund steht. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 22)
Smith erklärt den „Rent-Gap” zu Deutsch „Mietlücke(ntheorie)” so: „The rent gap is the disparity between the potential ground rent level and the actual ground rent capitalized under the present land use.” (Smith 2010: 93) Der Rent-Gap ist also die Differenz zwischen den aktuellen Mieteinnahmen und den potentiellen Mieteinnahmen. Wenn der Rent-Gap groß genug ist, sehen Baufirmen, Bauträger, HausbesitzerInnen und ImmobilienhändlerInnen ihre Chance auf Gewinn durch eine Aufwertung. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 22) Wenn also „[…]die Wertminderung so weit fortgeschritten ist, dass der lukrierte Bodenzins des Grundstücks tiefer liegt als der potenzielle im besten Wertzustand, wird aufgewertet.“ (Meinharter/Rode 2001: 22)
In dieser Phase beginnt die Gentrifizierung mit den „occupier developers“. Diese beginnen als Erste mit der Aufwertung einzelner Gebäude in einem Gebiet. Wenn die ersten Gebäude aufgewertet sind, steigt automatisch auch der Wert der umliegenden Gebäude und führt zu einer weiteren Aufwertung des Viertels. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 22)
Bei Leys Ansatz stehen die Veränderung im Konsumverhalten und die Gentrifier (Akteure im Gentrifizierungsprozess) im Vordergrund. (vgl. Meinharter/Rode 2001: 21) Die Rolle von Gentrifiern und Pionieren wird in Kapitel 5 noch genauer erläutert.
David Ley sieht „[…]den Lifestyle der ‚class in emerge‘ als die treibende Kraft hinter den Veränderungsprozessen[…]“ (Meinharter/Rode 2001: 22) Die „class in emerge‘ ist die kaufkräftige, konsumorientierte Gesellschaftsschicht, die über hohes kulturelles und soziales Kapital verfügt. Das Re-Investement in innenstadtnahe Gebiete sieht Ley als Folge der Entstehung dieser Gesellschaftsschicht mit ihrem konsumorientierten Lebensstil.
Ich habe bereits die zwei bekanntesten Erklärungsansätze von Smith und Ley beschrieben. Nun möchte ich noch auf einen dritten Ansatz, den „integrativen Ansatz als verdeckte Ideologie des Individualismus“ eingehen.
Hammnett kritisiert Smiths Rent-Gap Theorie und sieht die beiden Erklärungsansätze (angebots- und nachfrageorientiert) in Kombination als richtig an. Er kritisiert Smiths Ansatz als marxistisch und beanstandet die Darstellung der Individuen als vom Kapitalismus geleitet. Der Ansatz von Ley hingegen stellt die Gentrifier (Begriff wird in Kapitel 5 noch genauer erläutert) als Auslöser der Gentrifizierung hin. Die politische Verantwortung und das Kapitalistische Handeln werden dadurch in den Hintergrund gerückt.
Im Gentrifizierungsprozess werden üblicherweise zwei Gruppen von Akteuren auf der Nachfrageseite unterschieden. Die „Pioniere“ und die „Gentrifier“. Diese zwei Begriffe sind Usus in wissenschaftlicher Literatur über Gentrifizierung.
Die „Pioniere“ sind zeitlich die ersten, die ein bestimmtes Gebiet beziehen. Sie gestalten ihre Wohnung und ihren Wohnort nach ihren Vorstellungen und sind Initiatoren der Veränderung in einem Gebiet. Ihre Merkmale sind ein junges Alter[3], Kinderlosigkeit und ein geringes Einkommen. Sie haben eine hohe Schuldbildung und werden als risikofreudig bezeichnet, da die Entwicklung des Gebietes, in das sie selbst investieren, nicht absehbar ist. (vgl. Blasius 1993: 31)
3 Bezüglich des Alters der Pioniere herrscht Uneinigkeit in der wissenschaftlichen Literatur, die Angaben streiten sich um ein Alter in den 20ern oder in den 30ern
Diese Personen werden in der Literatur häufig als Studierende, KünstlerInnen und Alternative beschrieben. Ihre Wohnsituation kann alle Formen haben (allein, zu zweit oder als Wohngemeinschaft). (vgl. Kecskes 1997: 25) Sobald eine größere Anzahl von Pionieren in ein Gebiet gezogen ist, verändert sich auch die Infrastruktur. Es werden Geschäfte, Bars und Restaurants auf die Bedürfnisse der Pioniere angepasst. (vgl. Kecsces 1997: 25) Wenn die Pioniere ein Gebiet und dessen „Ansehen“ verändert haben, kommen die „Gentrifier“ ins Spiel. Sie ziehen in ein Gebiet, wenn die erste Phase der Aufwertung stattgefunden hat. (vgl. Blasius 1993: 31)
In dieser ersten Phase gibt es keine Aufwertung durch Vermieter und oder Wohnungsinhaber. In dieser Phase finden auch noch keine Veränderungen in der Sozialstruktur statt. (vgl. Kecskes 1997: 25)
Die Merkmale der Gentrifier sind ein höheres Alter, als bei den Pionieren, ebenfalls Kinderlosigkeit und ein höheres Einkommen. Sie sind oftmals Singles oder unverheiratete Paare. (vgl. Blasius 1993: 31) Bei Paaren sind die Gentrifier oft Doppelverdiener. Ihren Arbeitsplatz haben sie hauptsächlich im tertiären Sektor. Die Bedürfnisse der Gentrifier unterscheiden sich von denen der Pioniere, wodurch ein Konflikt geschaffen wird. (vgl. Kecskes 1997: 26)
Sowohl bei den Pionieren als auch bei den Gentrifiern sind die beschriebenen Merkmale nicht universell. Gentrifier und Pioniere sind keine homogenen Gruppen und es treffen nicht immer alle beschriebenen Merkmale auf ein Individuum zu.
Die „Sonstigen Haushalte“ beziehungswiese die „alteingesessene Bevölkerung“ ist eine relativ heterogene Gruppe. Diese Gruppe unterscheidet sich von den Pionieren und Gentrifiern, da sie tendenziell weder über eine hohe Bildung, noch über ein hohes Einkommen verfügen und keine kinderlosen Haushalte sind. Zu den sonstigen Haushalten zählen auch die Älteren, also die über 45-jährigen. (vgl. Blasius 2004: 25f)
Parallel mit der Einwanderung der Gentrifier verändern sich die Miet- und Wohnungspreise im Gebiet. In diesem Stadium beginnen die Vermieter und Wohnungsbesitzer in die Aufwertung zu investieren. Durch die veränderte Nachfrage von Wohnraum wird die Investition für sie rentabel (siehe Rent-Gap). Die einkommensstärkeren Gentrifier verlangen besser renovierte Wohnungen und können gleichzeitig mehr dafür investieren. Die Miet- und Wohnungspreise steigen und einige Mietwohnungen werden in Eigentumswohnungen umgewandelt. (vgl. Kecskes 1997: 26)
Da sowohl die alteingesessene Bevölkerung als auch die Pioniere sich hohe Mietpreise und Mietwohnungen nicht leisten können, sind diese beiden Gruppen ab diesem Zeitpunkt von Verdrängung bedroht. Zu dem bestehenden Konflikt der unterschiedlichen Lebensstile kommt noch der Konflikt der Preissteigerungen hinzu. (vgl. Kecskes 1997: 26) Ob eine Verdrängung stattfindet, beziehungsweise in welchem Ausmaß die Mietpreise steigen, hängt sehr von den ortsgebundenen Mietsrechtsgesetzen ab. (siehe Kapitel 11)
Direkte oder indirekte Verdrängung
Eine direkte Verdrängung findet dann statt, wenn aufgrund von Mietpreiserhöhung oder Umwandlung einer Mietwohnung in eine Eigentumswohnung ein Auszug aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln unvermeidbar ist. (vgl. Kecskes 1997: 26)
Die indirekte Verdrängung findet nach einem freiwilligen Auszug aus einer Wohnung statt. Wenn diese dann, aufgrund von erhöhtem Mietpreis oder Umwandlung in eine Eigentumswohnung, für einen Haushalt mit ähnlichen finanziellen Möglichkeiten, nicht leistbar ist, spricht mensch von einer indirekten Verdrängung. Diese Form ist in Ländern mit mieterfreundlichen Gesetzen wahrscheinlicher. (vgl. Kecskes 1997: 26)
Über den Verlauf von Gentrifizierung herrscht Uneinigkeit in der wissenschaftlichen Literatur. Sowohl der „(einfache) Invasions-Sukzessions-Zyklus“ als auch der „doppelte Invasions-Sukzessions-Zyklus“ sind gängige Modelle zur Beschreibung des Gentrifizierungsprozesses.
Eine Gruppe B tritt in ein Wohnviertel der Gruppe A ein. Gruppe B wird im Verlauf des Prozesses immer größer und verdrängt Gruppe A aus ihrem Wohnviertel. Schlussendlich wohnen in diesem Wohnviertel mindestens 75 % der Gruppe B. In Phase eins des Gentrifizierungsprozesses sind Gruppe B die Pioniere und Gruppe A die alteingesessene Bevölkerung. In Phase zwei sind Gruppe B die Gentrifier und Gruppe A die Pioniere.
Entstanden ist dieses Modell durch die Ableitung an den Prozessen, die in den 20er Jahren in nordamerikanischen Städten beobachtet wurden. Dort lief es so ab, dass eine Minorität in ein Wohngebiet eingedrungen ist und so die ansässige Bevölkerung verdrängt hat. Ein Beispiel dafür ist Harlem in New York. (vgl. Friedrichs 1996: 16) Friedrichs meint zu den Studien, die dieses Modell beweisen sollen: „Wie sich zeigt, sind die Ergebnisse jedoch mit dem Modell nicht vereinbar. Zum Teil waren Gentrifier vor den Pionieren in das Gebiet eingezogen, zum Teil zogen beide Gruppen parallel in ein Wohngebiet.“ (Friedrichs1996: 16)
Nach diesem Modell sind die Pioniere die Ersten, die in ein Gebiet einziehen. Sie verfügen über ein höheres Kapital als die Alteingesessene Bevölkerung, da sie entweder von ihren Eltern finanziert werden, oder durch das Beziehen von Wohnungen in Wohngemeinschaften trotz ihres geringen Einkommens eine größere Menge an Geld zur Mietfinanzierung zur Verfügung haben. Sie haben außerdem überdurchschnittlich große soziale Netzwerke, die auch zu einer Wohnungsfindung beitragen können. Laut diesem Modell beginnt bereits hier die Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung. (vgl. Blasius 2004: 25f) Die Gentrifier kommen erst dann ins Spiel, wenn die Pioniere die Majorität bilden. (vgl. Kecskes1997: 28) Zu diesem Zeitpunkt beginnt die Verdrängung der Pioniere durch die Gentrifier, bis schlussendlich fast nur mehr Gentrifier übrig bleiben. Das wäre die extremste Ausprägungsform von Gentrifizierung. (vgl. Blasius 2004: 26)
Dieses Modell ist in der wissenschaftlichen Literatur sehr umstritten, da es noch nicht empirisch nachgewiesen wurde. (vgl. Kecskes 1997: 28) Trotzdem wird es häufig als Ansatz für empirische Studien verwendet.
Probleme des Modells:
Das Modell wurde nie mit aufwändigen empirischen Studien untersucht. Es wurde weder mit Panel-Daten noch mit Längsschnittstudien gearbeitet. Das Modell wurde immer nur mit Querschnittstudien geprüft und somit nur unzureichend empirisch getestet. (vgl. Friedrichs 1996: 17) Ein weiteres Problem ist die Festlegung der Kategorien „Pioniere“ und „Gentrifier“, da sich während des Prozesses ein Haushalt von einem Pionierhaushalt zu einem Gentrifierhaushalt wandeln kann. Dies kann z. B. passieren, wenn ein Studentenhaushalt, aufgrund des Abschluss des Studiums, ein größeres Einkommen aufweist. (vgl. ebd.: 17)
In diesem Kapitel möchte ich die Geschichte der europäischen Stadtentwicklung betrachten und somit auch die Geschichte der sanftem Gentrifizierung als Instrument der Stadtentwicklung.
Alle Städte der Welt sind abhängig von Zuwanderung. Deshalb ist Migration ein wichtiger Faktor in der Stadtentwicklung. (vgl. Häußermann/Oswald1997: 9) Im 19. Jahrhundert, als die Industrialisierung in Mitteleuropa in vollem Gange war und die Landbevölkerung in die Städte flüchtete, entstanden durch den rasanten Bevölkerungswachstum in den Städten Wohnungsknappheit, Überbelegung von Wohnraum und somit die sogenannten „Elendsviertel“. Mit der Verbesserung der öffentlichen Verkehrsmittel seit den 80er Jahren gab es wieder eine Fluchtbewegung. Aufgrund der schlechten Lebensbedingungen in den Städten flüchteten die einkommensstärkeren Haushalte in die Randgebiete der Städte. Schon damals waren die Einwanderer nicht erwünscht und sollten aus der Stadt fern gehalten werden. Durch Bauvorschriften und Wohnungsaufsicht sollte verhindert werden, dass zu billige Wohnungen auf dem Markt waren. Diese Maßnahme sollte dazu führen, dass sich die Einwanderer keine Wohnungen mehr leisten konnten. So sollten sie aus der Stadt fern gehalten werden. (vgl. ebd.: 11)
Seit Mitte des 19 Jahrhunderts gab es in ganz Europa Bestrebungen, die Städte in Ordnung zu bringen. Damals galt Paris als Vorbild für alle europäischen Städte. Die einkommensschwächeren Haushalte wurden aus dem Stadtzentrum in die Randgebiete verbannt, um Platz für Straßen, Kultur, Verwaltung und Handel zu schaffen. Dieses Projekt war der Grundstein der Stadtentwicklung in Europa. Lösungen für den Wohnungsverlust der einkommensschwachen Haushalte wurden nicht gesucht. (vgl. ebd.:12)
Mit der Wende zum 20. Jahrhundert gab es die Idee zu einem sozialpolitischen Konzept für die ganze Stadt. Das Ziel war die chaotische Stadt des 19. Jahrhundert hinter sich zu lassen und zu verhindern, dass das Chaos bei der Stadterweiterung wiederkehrte. „Zonierung“ war das Konzept, dass dabei den gewünschten Erfolg bringen sollte. Die Stadt sollte in verschiedene Zonen eingeteilt werden, die jeweils nur eine Funktion erfüllen sollten. Entweder Wohnen oder Verkehr oder Handel oder Erholung. (vgl. ebd.: 12)
Bei der Stadtentwicklung war der „Verlust von Heimat“ ein großes Thema, oder wie mensch es heute bezeichnen würde – die „städtische Anonymität“. Viertel mit großer Mobilität wurden, aufgrund der Schwierigkeit nachbarschaftliche Beziehungen zu entwickeln, als problematisch angesehen. Diese damalige Einstellung stand auch unter dem Einfluss der „Chicago School“. (vgl. ebd.: 13)
Die Chicago School of Sociology
Die ethnologische Stadtforschung begann mit der Chicago School of Sociology. Ihre Forschungen thematisierten die MigrantInnenviertel in Chicago in den 20er Jahren. Die Chicago School nahm Einfluss auf die Stadtforschung und ist bis heute von Bedeutung. (vgl. Hengartner et al 2000: 4)
Die Chicago School meinte, dass durch die unübersichtlichen Viertel in den Städten die soziale Kontrolle nicht mehr möglich sei. Die Community-Entwicklung wurde somit zu einem zentralen Ziel der Stadtentwicklung deklariert. Das heißt städtische Räume mit einer ziemlich homogenen Bevölkerung galten als Förderer von Gemeinschaft und Verwandtschaftsstrukturen und sollten somit durch Ordnung der „Kriminalität“ und dem „Sittenverfall“ vorbeugen. Es gab also einerseits das Nachbarschaftskonzept und andererseits galt es zu verhindern, dass die alte Klassengesellschaft wieder entsteht. Somit entstand das neue Ideal der „sozialen Mischung“. Durch die Zonierung und die Nachbarschaftsbildung entstand jedoch das Problem, dass sich neue Einwanderer schwieriger integrieren konnten. (vgl. Häußermann/Oswald1997: 14)
Im 20. Jarhundert gab es eine fortschreitende Suburbanisierung, das heißt die Bevölkerung und das Gewerbe verlagerten sich zunehmend an den Stadtrand. Die Entwicklung ging dahin, dass sich das Arbeiten in die Stadt verlagerte und das Wohnen an den Stadtrand. Durch diese Entwicklung nahm die soziale Segregation zu. Im Stadtkern lebten hauptsächlich Menschen mit geringem Einkommen, allein lebende Personen oder sozial weniger angepasste Menschen. Die Stadtplanung förderte sowohl die Verlagerung von Firmen aus der Stadt sowie die Förderung von Eigentum durch die Flächennutzungs- und Bebauungsplanung. Neue Probleme, die dadurch entstanden, waren die Abwanderung von Einzelhandelsgeschäften aus den Stadtzentren sowie die fehlenden Steuereinnahmen, durch den Abzug der einkommensstarken Bevölkerung. Im Stadtkern siedelten sich hauptsächlich Dienstleistungsgewerbe an, da diese von einem zentralen Standort profitieren. Diejenigen, die diese Arbeitsplätze besetzten, wollten innenstadtnahe Wohnungen mieten und konnten sich auch größere, renovierte Altbauwohnungen leisten. Gentrifizierung nach dem nachfrageorientierten Ansatz fand statt. Das führte dazu, dass der Flächenbestand trotz sinkender Einwohnerzahl abnahm. Der Ausländeranteil in diesen Gebieten sank wieder. Die Städte unterstehen seit ihrem Entstehen einem ständigen Kreislauf von Segregation und Integration sowie vom Wechsel der Beliebtheit von Wohnstandorten. Viele AusländerInnen beziehungsweise MigrantInnen und die einkommensschwächeren Personen müssen gezwungenermaßen immer in jene Stadtteile ziehen, die von den oberen Gesellschaftsschichten gerade nicht bewohnt werden wollen. Es stellt sich die Frage, ob das Instrument der Sanften Gentrifizierung eine sinnvolle Form der Stadtentwicklung ist, oder ob die Stadtpolitik Gentrifzierungsprozesse verhindern sollte. (vgl. ebd.: 15ff)
Fallbeispiel: Ottakring (16. Bezirk) in Wien
„Wien ist anders“ ist das Motto der Stadt Wien. Gentrifizierung ist ein Phänomen, das es laut der Stadtverwaltung in Wien nicht gibt. Aber stimmt das auch?
In diesem Abschnitt meiner Arbeit möchte ich mich mit dem Thema der Gentrifizierung in Wien beschäftigen – genauergesagt mit dem 16. Bezirk (Ottakring). Gibt es Gentrifizierung in Ottakring? Welche Art der Gentrifizierung findet hier statt? Welche Voraussetzungen der Gentrifizierung sind in Ottakring vorhanden? Was sind Maßnahmen der Stadtverwaltung gegen Gentrifizierung und inwiefern ist die migrantische Bevölkerung in Ottakring von Verdrängung betroffen beziehungsweise bedroht? Diese Fragen möchte ich im folgenden Teil meiner Arbeit versuchen zu beantworten.
Der heutige Bezirk Ottakring bestand ursprünglich aus zwei Gemeinden – Ottakring und Neulerchenfeld. Ottakring gibt es seit circa 1150, Neulerchenfeld erst seit circa 1683. Die Gemeinde Neulerchenfeld war dicht bebaut und hatte keine landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Der Großteil der BewohnerInnen waren HandwerkerInnen und ArbeiterInnen. Früher schon war Neulerchenfeld eine Gemeinde der Armen und schon damals war es das Ausflugsziel der „unteren Volksklassen“. (vgl. Kinz 1990: 7) Der Brunnenmarkt, der heute der längste Straßenmarkt Wiens ist, entstand 1786 und wurde später mit dem 1897 entstandenen Yppenmarkt zusammengelegt. (Purtscheller 2006: 15) 1892 wurden Ottakring und Neulerchenfeld offiziell zum 16. Wiener Gemeindebezirk Ottakring zusammengelegt. (vgl. Kinz 1990: 36). Zu dieser Zeit verzeichnete Ottakring ein enormes Bevölkerungswachstum. 1900 hatte Ottakring eine Einwohnerzahl von 148.652 und war damit der bevölkerungsreichste Bezirk Wiens. (vgl. Purtscheller 2006: 15) Durch das schnelle Bevölkerungswachstum entstand eine Wohnungsknappheit. Purtscheller (2006: 15) meint in ihrer Arbeit: „Der kurze Blick auf die Geschichte Ottakrings bzw. auf Neulerchenfeld zeigt auf, dass gewisse Charakteristika in den Grundstrukturen bis heute gleich geblieben sind.“ Die geschichtlichen Entwicklungen Ottakrings wirken bis heute und führten dazu, dass der Bezirk heute von Gentrifizierung betroffen ist.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Bezirke außerhalb des Gürtels mit starker Kauf- und Arbeitskraft ausgerüstet. Das Wohnen war aufgrund mieterfreundlicher Gesetze günstig und die Altbaubestände waren baufällig und wurden von den HausbesitzerInnen nicht renoviert, weil der Rent-Gap zu niedrig war. (vgl. URL 7: 73)
In den 70er Jahren entstand ein Gegentrend, als viele österreichische ArbeiterInnen in das städtische Umland in Gemeindebauten zogen. Zu dieser Zeit kamen GastarbeiterInnen nach Wien und übernahmen die „minderwertigen“ Jobs und den „minderwertigen“ Wohnraum der ÖsterreicherInnen. Somit entstand eine soziale Ungleichheit zwischen ÖsterreicherInnen und MigrantInnen. Das von der Stadt Wien begonnene Konzept der „Sanften Stadterneuerung“ begünstigte diese Entwicklung. Außerdem bekamen bis 2001 nur ÖsterreicherInnen eine Wohnung im Gemeindebau. Der nächste Schlag für die untere soziale Schicht kam mit der Einführung von Halbjahres-Mietverträgen 1981, die keine Mietgrenze hatten. So wurden die heruntergekommenen Wohnungen zu einem Wucher-Mietzins vermietet. Ottakring entwickelte sich dadurch zur „No-Go-Area“. (vgl. URL 7: 73f)
Bereits in den 1970er Jahren wurde erstmals von Gentrifizierung in Wien gesprochen. Betroffen davon war der siebte Bezirk (Neubau). Zu dieser Zeit sollten die alten Gebäude am Spittelberg (ein Stadtteil im siebten Bezirk) abgerissen werden, um anstelle derer neue Wohnanlagen aufzubauen. (vgl. URL 5)
Gegen dieses geplante Vorgehen der Stadtplanung ist eine Bewegung entstanden, um die alten Gebäude zu retten. In dieser Bewegung vereinten sich linke Amerlinghaus-BesetzerInnen[4] mit konservativen ÖVP WählerInnen. Die Bewegung hatte Erfolg. Die alten Gebäude wurden mit dem Konzept der sanften Stadterneuerung/Gentrifizierung gerettet.
Die Stadt sorgte dafür, dass private InvestorInnen die alten Gebäude sanierten und renovierten. Das geschah durch ein Förderungssystem, das von InvestorInnen beantragt werden konnte. „Verschiedene Faktoren wirken sich positiv auf das Fördervolumen aus: Maßnahmen, die den Allgemeinzustand des Hauses verbessern, ökologische Kriterien, das Installieren eines Aufzugs etc.“ (ebd.)
Außerdem mussten in dem Haus, das erneuert werden sollte, Wohnungen in schlechtem Zustand überwiegen. Über zehn Jahre hinweg bezahlte die Stadt Wien den Investorinnen die Hälfte der Renovierungskosten und sorgte gleichzeitig dafür, dass das Ansteigen der Mieten eingegrenzt wurde. Langfristig gesehen stiegen die Mieten jedoch erheblich und verdrängten somit die ursprüngliche Bevölkerung. Heute ist das Wohnen am Spittelberg nur mehr einkommensstarken Personen vorbehalten. (vgl. URL 5)
Vom Liberalismus zum Postfordismus oder die Regulationstheorie
Die These der aus Frankreich kommenden Regulationstheorie sagt aus, „[…] dass die kapitalistische Entwicklung im 20. Jahrhundert durch einen Übergang von einem extensiven zu einem intensiven Akkumulationsregime gekennzeichnet war.“ (Novy 2001: 24)
4 Das Ammerlinghaus ist heute ein Kulturzentrum am Spittelberg und ist das Geburtshaus von Friedrich Ritter von Amerling (österreichischer Maler) und nach ihm benannt.
Das extensive Regime ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Kapitalismus in einer noch nicht kapitalistischen Gesellschaft durchgesetzt hat. Zur Zeit des extensiven Regimes wurden die Bauern zu Arbeitern. Die Aufgaben des Staates beschränkten sich auf das zur Verfügung stellen von Infrastruktur und Elektrizität. (vgl. ebd.)
Das intensive Regime ist charakterisiert durch die Entwicklung des Massenkonsums und der damit hergehenden Verbilligung von Konsumgütern. Novy (ebd.) meint: „Vor allem Männer arbeiteten immer produktiver und erwirtschafteten eine immer größere Wertschöpfung.“ Dieses System wurde durch Gesetze, Normen und bestimmte Lebensstile gehalten. (vgl. ebd.)
Im Roten Wien (Bezeichnung für die Phase zwischen den beiden Weltkriegen) war die fordistische Regulation vorherrschend. Es wurde in Massen produziert um die Massen mit Konsumgütern zu versorgen. Der Lohn der ArbeiterInnen war einerseits ein Kostenfaktor, sicherte aber andererseits das Wirtschaftswachstum und das Loswerden der Produktionsgüter. Als Lösung der sozialen Frage stellte das Rote Wien den ArbeiterInnen (vor allem Männer) eine Vielzahl an Sozialleistungen zur Verfügung. (vgl. ebd.)
Ent-/Rekommodifizierung des Wohnungsmarktes
Das ökonomische Entwicklungsmodell hat sich vom fordistischen Entwicklungsmodell zu einem postfordistischen beziehungsweise neoliberalen Entwicklungsmodell verändert. (vgl. Jäger 2001: 26)
Das fordistische Entwicklungsmodell
Das fordistische Entwicklungsmodell hat seinen Namen von H. Ford, auf den diese Produktionsweise zurückgeht. Dieses Modell ist charakterisiert durch ein hohes Maß an Arbeitsteilung sowie gering qualifiziertes Personal. Weitere Merkmale sind Massenproduktion, Fließproduktion, ein hohes Maß an Standardisierung und Wertschöpfungstiefe sowie das Ziel der Massenproduktion. (vgl. URL 6)
Nach dem zweiten Weltkrieg, zur Zeit des Fordismus, waren der Wohnungsmarkt und damit auch die Stadtentwicklung in vielen Städten zu großen Teilen entkommodifiziert. Der Wohnungsmarkt war nicht nur vom ökonomischen Handeln geprägt, sondern wurde durch Mietpreisfestlegungen und öffentlichen Wohnbau geregelt. (vgl. ebd.)
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