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Mehr InfosBachelorarbeit, 2011, 64 Seiten
Bachelorarbeit
1,7
Bildung, Gleichheit, Förderung. Diese Schlagworte stehen in vielen politischen Agenden und sind präsente Begleiter in der modernen medialen Welt geworden und finden sich häufig im beinahe täglichen Sprachgebrauch wieder. Allerdings stehen oftmals persönliche, ökonomische und soziale Probleme in ihrer tatsächlichen Existenz diesen Idealen gegenüber. Dies führt dazu, dass einigen MitbürgerInnen Deutschlands die Chancengleichheit per se, also schon in den Jahren ihrer Kindheit und Jugend genommen wird. Ausgehend von der biografischen Entwicklung muss man daher kons-tatieren, dass ein frühzeitiges Scheitern von Bildungszugängen progressiv und negativ nachhaltig auf die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen einwirken und somit ein Ausgangspunkt von sozialen Schieflagen und Unterschieden darstellen. Verfolgt man nun diese Idee, so zeigt sich schnell, dass ein gezieltes und frühzeitiges Arbeiten mit Kindern und Jugendlichen diesem negativen Fahrstuhleffekt bildungsseitig begegnen kann. Somit kann man perspektivisch auf sozial-pädagogische Weise einen Gesellschaftsanteil zur Linderung des binnenlateralen Bildungs-problems bewirken.
Dieses Werk soll sich damit beschäftigen, was unter (sozialer) Ungleichheit verstanden wird, wie sie sich manifestiert und ob man sie abgrenzen bzw. einer bestimmten Bevölkerungsschicht zuordnen kann. Vor dem Hintergrund anhaltend hoher Erwerbslosenzahlen und einen gesellschaftlich hohen Prozentsatz an BezieherInnen von Sozialleistungen, soll dargelegt werden, ob sich soziale Ungleichheit z.B. auch im Bildungssegment niederschlägt und inwiefern. Es wird also inhaltlich darauf eingegangen, ob z.B. gesellschaftlich schlechter gestellten BundesbürgerInnen eine Möglichkeit angeboten werden kann, einer Bildungsungleichheit zu begegnen, sie eventuell zu dezimieren, um deren Kindern einen potentiell ebenbürtigen Bildungsweg zu gewähr-leisten. Dazu soll neben den theoretischen Aspekten ein fachpraktischer Ansatz dargelegt werden, um aufzuzeigen oder zu prüfen, ob es ein probates und praktikables Modell auf dem sozialpädagogischen (Bildungs-)Markt gibt, damit eventuell nach dem Subsidaritätsprinzip eine Hilfestellung angeboten werden kann und erfolgsorientiert umgesetzt wird.
Zur sukzessiven Abhandlung des Themas ist diese Arbeit daher in einen theoretischen und fachpraktischen Strang unterteilt worden. Im ersten Teil wird dafür zunächst die theoretische Ebene des Ungleichheitsbegriffs beleuchtet. Dazu wird eingangs der Begriff
„Ungleichheit“ anhand von zwei exemplarisch gewählten soziologischen Vertretern besprochen (Kap. 2) um nachfolgend das klassische Gesellschaftsgefüge hinsichtlich seiner Entwicklung bis in die Gegenwart zu erörtern (Kap. 3). Das daran anschließende Kapitel beschäftigt sich mit herkunftsbedingten Dispersitäten und soll unter soziologischer Betrachtungsweise prüfen, ob Bildungsungleichheit eine ableitbare Variable im biografischen Kontext darstellt (Kap. 4), um überzuleiten zur Diskussion der Bildungschancen von Mitgliedern der sozialschwächeren Bevölkerungsschicht in Hinsicht auf Zukunfts- und Partizipationsaspekten (Kap. 5). Im daran anschließenden Abschnitt wird dann die Diskussion aufgenommen, inwiefern die Bildungschancen in den unteren Bevölkerungs-schichten restringiert sind, um unter Darlegung der Determinanten für die Chancenungleichheit ein kausales Muster zu analysieren/untersuchen (Kap. 6). Mit dem Kapitel 6 endet der fachtheoretische Teil der Arbeit und mittels einer berufsethischen Betrachtungsweise zum Thema Kinder- und Jugendförderung soll eine Brücke geschlagen werden zur Darlegung fachpraktischer Inhalte als Beispiel sozialpädagogischen Handelns zur Bearbeitung der Bildungsungleichheitsproblematik (Kap. 7). Unter Aufzeigen der Plastizität von Sozialer Arbeit im Segment der Kinder- und Jugendarbeit und vor dem Bildungshintergrund (Kap. 8) soll darauf aufbauend eine komprimierte Bearbeitung der schulischen Realitätsbedingungen zur Abrundung der Komplexität vorgenommen werden, und um außerdem aufzuzeigen, wie Schule – respektive Bildung – 2011 aussieht (Kap. 9). Da innerhalb dieser Arbeit die Frage aufgeworfen werden soll, ob ein funktionales Mittel zur Bearbeitung einer Bildungsungleichheit notwendig ist, soll exemplarisch die städtische Situation Neubrandenburgs analysiert werden, um daraus hervorgehend abzuleiten, ob vor Ort eine Gegensteuermaßnahme bzw. sozialpädagogisches Unterstützungs-„Tool“ notwendiger Weise vorhanden sein sollte (Kap. 10). In Verlängerung des neunten Kapitels wird darauf aufbauend ein fachpraktisches Beispiel genannt, wie man u.a. Tendenzen von Bildungsverarmung begegnen kann und wie auf rationale aber sehr hilfreiche Weise sozioökonomisch Benachteiligten eine Unterstützung ermöglicht bzw. Maßnahmen umgesetzt werden (Kapitel 11). Das darauf folgende Kapitel soll dazu verwendet werden, die theoretischen Aspekte in Form einer Ableitung zu reflektieren und aktuelle politische Stellgrößen zu beleuchten (Kap. 12), um abschließend im Fazit die Erfahrungen und Erkenntnisse dieser Arbeit zusammenzufassen und einen Ausblick für die sozialpädagogische Praxis zu formulieren (Kap. 13).
Die Definition von Ungleichheit muss zur genauen Abgrenzung mehrere Ebenen umfassen, da sie als politisches Ideal (z.B. Ressourcengleichheit, Partizipationsgleichheit etc. pp.) oder unter soziobiografischem Blickwinkel (z.B. Wohlergehensgleichheit, Verteilungsgleichheit etc. pp.) betrachtet werden kann. Ausgehend von der Überlegung, wie man Gleichheit herstellen kann, um eine ausgewogene gesellschaftliche Balance herzustellen, muss man also die Frage aufstellen, welche Sachebenen der Bedürfnisbefriedigung tangiert sind. Gilt es materielle Güter umzuverteilen, müssen Bildungsebenen egalisiert werden, sollen Machtfaktoren vereinheitlicht werden oder muss man andere sachliche Ressourcen ausgleichen – kurzum: Welche Dimension sozialer Ungleichheit ist betroffen und wer definiert die Ebene der Anpassung/Gleichheit?[1]
Zur Beantwortung sollen nachfolgend zwei deutsche Soziologen exemplarisch hinzuzugezogen werden. Zum einen handelt es sich um Stefan Hradil (Professor für Soziologie am soziologischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz) und zum anderen um Reinhard Kreckel (Professor für Soziologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg). Beide haben begriffliche und theoretische Grundlagen für die Untersuchung von Ungleichheitsverhältnisse entwickelt und sind führende, renommierte deutsche Soziologen.
Bei der Bestimmung der Begrifflichkeit und Erscheinung sozialer Ungleichheit soll zunächst Hradils Definition eingebracht werden. Er meint, dass man beim Nutzen des Terminus „Soziale Ungleichheit“ bestimmte „Güter“ meint, die innerhalb einer Gesellschaft als „wertvoll“ ratifiziert werden. Demnach erfährt der Einzelne günstigere Lebensbedingungen, wenn er eine Menge dieser „Güter“ besitzt bzw. quantitative oder qualitative Vorteile gegenüber anderen Inhabern dergleichen „wertvollen Güter“, z.B. Einflussnahme, Wohlstand, Sicherheit, Gesundheit, Bildung, Autonomie verfügt. Er spricht ferner von „absoluter“ und „relativer“ Ungleichheit und meint dabei die verschiedenen Erscheinungsformen. So liegt seiner Meinung nach „absolute Ungleichheit“ vor, wenn Gruppen oder Einzelpersonen einer Gesellschaft nicht eine gleichgelagerte Partizipationsmöglichkeit erfahren oder keine ausgeglichene Mengenverteilung, z.B. im Finanz-, Bildungs- und Gesundheitssektor nutznießen können. „Relative Ungleichheit“, so Hradil weiter, besteht dann, wenn Personen nach bestimmten Verteilungskriterien, z.B. Leistungen, Alter, Dienstzeit anders honoriert bzw. sachlich oder geldlich entlohnt werden als andere. Trotz der vorgenommenen soziologischen Erörterung des Begriffs stellt er konzise klar, dass nicht alle Besser- oder Schlechterstellungen Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit sind, sondern:
„ […] nur jene, die in gesellschaftlich strukturierter, vergleichsweise beständiger und verallgemeinerbarer Form zur Verteilung kommen […]“. [2]
Folgt man dieser These, so gibt es eine bedingte Ungleichheit, allerdings kann durch persönliche und gesellschaftliche Stellfaktoren auf das Gleichheitsempfinden bzw. Egalisierungsbalance Einfluss genommen werden. Dieser Gedanke wird nun verlängert und die Diskussion durch einen weiteren soziologischen Vertreter bzw. dessen Sichtweise im anschließenden Abschnitt beleuchtet.
Kreckel ratifiziert die o.g. Kernthesen Hradils, formuliert jedoch die gesellschaftliche Realismus-Komponente scharfkantiger hinsichtlich einer Verteilungs- und Beziehungsgleichheit. Er stellt soziale Ungleichheit konzise als eine durch von:
„[…] Menschen gemachte und somit auch von Menschen veränderbare Grundtatsache heutigen gesellschaftlichen Lebens […]“ dar.[3]
Das Resultat dieser Stellgröße sozialer Ungleichverhältnisse nennt er „soziale Wirklichkeit“, wobei er gleichsam klarstellt, dass dieses beabsichtige Handeln auch unbeabsichtigte Folgen im gesellschaftlichen Leben hervorbringen kann. Unter gesellschaftlicher Perspektive betrachtet ist nach Kreckels Meinung soziale Ungleichheit eine Dissonanz zwischen Privilegierung und Diskriminierung, was allerdings nicht hinsichtlich biologischer Faktoren des betroffenen Personenkreises oder Individuums zu verstehen ist.[4] Ähnlich wie Hradil grenzt er dabei zwei Strukturzweige von Ungleichheitsausprägungen ab. Einerseits benennt Kreckel die „distributive Ungleichheit“ und meint damit eine dauerhafte Verteilungsdiskrepanz hinsichtlich allgemein verfügbarer und erstrebenswerter sozialer Güter und demgegenüber stellt er die „relationale Ungleichheit“ bei der er eine langfristige Beziehungsungleichheit bei der Besetzung von Positionen im Handlungs- und/oder Interaktionsrahmen meint.[5]
Abschließend zusammengefasst definiert Kreckel soziale Ungleichheit nunmehr wie folgt:
„Soziale Ungleichheit im weiteren Sinn liegt überall dort vor, wo die Möglichkeiten des Zugangs zu allgemein verfügbaren und erstrebenswerten sozialen Gütern und/oder zu sozialen Positionen, die mit ungleichen Macht- und/oder Interaktionsmöglichkeiten ausgestattet sind, dauerhafte Einschränkungen erfahren und dadurch die Lebenschancen der betroffenen Individuen, Gruppen oder Gesellschaften beeinträchtigt bzw. begünstigt werden.“[6]
Unter Berücksichtigung der Definition ist es also immanent wichtig ein Gegenmoment und eine Differenzierungsgröße aufzuspüren und praktikabel einzusetzen, um im gesellschaftlichen Rahmen nicht eine teilweise oder absolute bzw. kurz-, mittel- oder langfristige Benachteiligung und somit Ungleichgewicht der Chancenlage zu erfahren. Hier liegt auch die implizite Antwort auf die offene Frage eingangs dieses Kapitels. Die gesellschaftlichen Ratifizierungen und subjektive Rahmenbedingungen definieren unter objektiver Begutachtung eine (soziale) Ungleichheit und alle lebensweltlichen Bereiche sind dabei multidimensional betroffen. Das Vorliegen von Korrekturgrößen ist also (auch) im Sinne der Gefüge innerhalb einer Gesellschaft hinsichtlich der Klassen, Schichtungs- und Ständetheorie notwendig, da sonst weder vertikale, noch horizontale Bewegungen möglich wären und die Zugehörigkeit bzw. das Erlangen einer bestimmten Gesellschaftsposition ausschlaggebend und endgültig für den biografischen Verlauf des Einzelnen wäre. Dieser Sachverhalt soll im nun folgenden Kapitel näher besprochen werden.
Die Einordnung in die voran genannten sozialen Gefüge „Klassen, Stände und Schichten“ und somit eine Kategorisierung der Menschen ist aus soziologischer Sicht indiziert, wenn man Aussagen treffen möchte, bezüglich einer bestehenden Gleichheit oder Ungleichheit und korrelierten Bevölkerungsmenge. Folgt man den weithin publizierten Werken Marx‘ und Webers in Bezug auf die Mehrdimensionalität von Gesellschaftsformen, so ist festzustellen, dass eine Bevölkerungssegregation aufgrund divergenter „Einkommen, beruflichen Stellungen, sozialem Ansehen, dem Bildungsstand und Machtposition“ vorgenommen wird. Diese abgestuften Gesellschaftsdimensionen und soziale vertikale Ungleichheit/Differenzierung fasst u.a. Kreckel mit dem Begriff „Statuskonsistenz“ bzw. „Sozialkongruenz“ zusammen.[7] Die folgenden Abschnitte sollen nunmehr dazu verwendet werden, beispielhafte Erklärungen der Gruppenklientel abzuliefern und die Beweglichkeitsnotwendigkeit aufzuzeigen, um die theoretische Diskussion der Ungleichheitsthese abzurunden und eine Hinführung zur Bildungsproblematik einzuleiten.
Der Begriff des „Standes“ ist i.e.S. überholt, da er vorrangig in der mittelalterlichen bis hin zur vorindustriellen Zeit gebräuchlicher war und eine Unterscheidung der Bevölkerung nach ihrer familiären Herkunft qua Geburt vornahm. So wurde seinerzeit zwischen adeligen, bürgerlichen und bäuerlichen Herkunft unterschieden. Max Weber interpretierte den Bedeutungsaspekt des Standes hinsichtlich der Lebensweisen, gemeinsamen Eigenschaften und vorherrschenden Denk- und Verhaltensweisen und stellte heraus, dass Menschen allenfalls nach Berufsständen, Geburtsständen und politischen Ständen zu gruppieren bzw. klassifizieren seien[8]. Bei Betrachtung der Neuzeit ist demgegenüber festzustellen, dass heute allenfalls von wirtschaftlich-sozialen Kategorisierungen Gebrauch gemacht wird, wenn man von „Ständen“ spricht, so z.B. „Mittelstand". Stände sind dementsprechend ein rudimentärer Rest der Gesellschaftsunterteilung aus vorkapitalistischer Zeit und eine standesbindende, rechtliche Einordnung und eine Transformation in die heutige Zeit wäre tradiert.[9] Die herkunftsbedingte standesbindende Diskussion oder Verpflichtung ist somit global aufgehoben und allenfalls unter ethnokultureller Sichtweise weiterhin diskutabel.
Die Klasseneinteilung im Marx’- und Weber’schen Sinn hingegen spricht von einer Unterscheidung der gesellschaftlichen Stellung von Menschen im ökonomischen Gesamtkontext und meint damit, dass z.B. eine Gruppe A aufgrund fehlender oder ungenügender Besitztümer einer Gruppe B unterlegen sein kann. Es wird demzufolge in „Besitzklasse“ und „Erwerbsklasse“ unterschieden, was Zugangsmöglichkeiten bzw. Barrieren zur Folge hat. Dieser Aspekt wird u.a. durch Kreckel näher beleuchtet, der darlegt, dass Klassen ein Ausdruck der Stellung von Gesellschaftsmitgliedern in Bezug auf Produktionsmittel/-verhältnissen und somit durch die ökonomische Lage gekennzeichnet sind.[10] Dieser Sachverhalt wird ferner auch bei Hradil (2001) untermauert durch die folgende Aussage:
„Insofern Millionen von Familien unter ökonomischen Existenzbedingungen leben, die ihre Lebensweise, ihre Interessen und ihre Bildung von denen der anderen Klasse trennen und ihnen feindlich gegenüberstehen, bilden sie eine Klasse.“[11]
In Anbetracht der augenscheinlich vorherrschenden sozialen Deprivation zeigt sich, dass der Klassenbegriff eine aktuelle Brisanz erfährt, da sich neuzeitlich die Gesellschaftsordnung umstrukturiert. Hervorgerufen durch wirtschaftsbedingte Anstellungsrückgänge entstehen kurz-, mittel- oder langfristige sozioökonomische sehr variable Ausgangslagen bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, was wiederrum ein Entstehen bzw. tendenzielles Einordnen von BürgerInnen in Klassen zulässt. So kann z.B. erwartet/unterstellt werden, dass eine erwerbslose Bürgerschaft weniger kulturelle, gastronomische, lebensweltlich-aktive u.a. einkommensabhängige Teilhabemöglichkeiten in Anspruch nehmen können als gut, besser oder Top-Verdiener, was u.a. geschuldet ist an der finanziellen Berechnungsgrundlage der sozialstaatlichen Transferleistungen. Interessant und positiv erwähnenswert ist dennoch, dass horizontale Mobilität zwischen Klassen durch Gewinn, Arbeit oder anderen einträglichen Umständen bedingt steuerbar vorgenommen werden kann. Zusammengefasst ist dennoch festzuhalten, dass eine Kategorisierung in Klassen ein basaler Polarisationspunkt innerhalb der Bevölkerung darstellt und die soziale Ungleichheitsempfindung des Einzelnen potenziert.
Geht man nun weg von der Klassenbetrachtung und überlegt, ob es schichtenspezifische Charakteristika gibt, differenziert man nochmals die klassische Dreiteilung der Gesellschaftsstruktur, also die sog. „Mehrdimensionalität“. Der Schichtungsbegriff ist eine relativ moderne Bezeichnung, welche u.a. vorangetrieben durch Geiger, Renner und Dahrendorf ein gewandeltes Verständnis der „Bevölkerungstypisierung“ entstehen ließ. Ausgehend von den o.g. Vertretern kann man Schichten als vertikal gegenüberstehende Menschenkonzentrationen verstehen, die gruppenintern über ähnlich ausgeprägte Statuseigenschaften verfügen und z.B. durch artgelagerte Erwerbstypen, Bildungsausprägungen, Lebensstandards, Prestige, Kleidungsstile, Habitus etc. pp. verifizierbar sind.[12] Der Terminus bezieht sich also nicht nur auf die Ursache der Zugehörigkeit, sondern liefert auch eine Beschreibung oder transparente Modellierung der vorherrschenden ungleichen Lebensbedingungen innerhalb der Gesellschaft.[13] Zur Zuordnung in eine Schicht sind jedoch vorab die spezifischen Abgrenzungsparameter zu erforschen, um einer subjektiven Zuschreibung oder Wahrnehmungsverschiebung vorzubeugen. Anzumerken ist dabei, dass prinzipiell eine vertikale Mobilität zwischen den Schichten allenfalls möglich ist. Die Schichtungsthese lässt also die Aussage zu, dass, sofern es definierte Schichtungsspezifika gibt, eine stereotype Betrachtungsweise zulässig ist und ferner eine Zielgruppe nach Erkennen der o.g. kausalen Zugehörigkeitsmuster pauschalisiert benannt werden kann. Dieses eingrenzende Erfordernis bestätigt sich u.a. in Hradils semantischer Aussage:
„Lassen sich keine wirklichen Abgrenzungen erkennen, […], so kommt ein Schichtbegriff, […], zum Ergebnis, dass u.U. zwar soziale Ungleichheiten, nicht aber Schichtungen existieren.“[14]
Ausgehend von dieser Überlegung kann also die Vermutung geäußert werden, dass z.B. Angehörige der „Unterschicht“ qua ihrer Eigenschaften, Erscheinung bzw. Herkunft/Gruppenzugehörigkeit einer Benachteiligung unterliegen. Außerdem formuliert sich hiermit unter Einbezug der besprochenen Theorie neuerlich die Kernthese, ob aktuell eine bestimmte Bevölkerungsschicht besonders von sozialer Ungleichheit betroffen ist und spiegelt sich das im Bildungsbereich wider? Der Beweis über das Vorliegen herkunftsbedingte Disparitäten wird innerhalb des nächsten Kapitels angetreten.
Ausgehend von Becks Ausarbeitung über die Einflüsse der Moderne innerhalb der „Risikogesellschaft“, wonach der Zusammenhang einer Gesellschaft gewährleistet ist durch die „Erwerbsarbeit“[15] und Schulzes „Erlebnisgesellschaft“, was trivial definiert bedeutet, dass Individuen sehr egoistisch auf das Erreichen von möglichst viel Genuss konzentriert sind[16], soll in dieser Phase der Arbeit herausgestellt werden, ob in einer Gesellschaft mit abnehmender Erwerbstätigenzahlen und zunehmender Zahl der Arbeitslosen noch eine (Bildungs-)Gleichheit existiert bzw. ob sich, resultierend aus unterschiedlichen sozioökonomischen Ausgangslagen, eine Bildungsungleichheit entwickelt? Anders ausgedrückt: Ist Bildungskapital nur einer bestimmten Bevölkerungsschicht zur Aneignung und Steigerung der persönlichen, schulischen und beruflichen Perspektiven zugänglich?
Bei der Begutachtung zentraler Indikatoren für herkunftsbedingte Dispersitäten hat die Bildungsforschung durch Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse belegt, dass die soziale Herkunft von SchülerInnen eindeutig mit den erreichbaren Lernumständen, Bildungskompetenzen und Basisqualifikationen in Verbindung gebracht werden kann und somit eine „Sozialschichtungszugehörigkeit der Herkunftsfamilie“ ableitbar ist.[17] Die soziale Herkunft wird dabei i.d.R. an der sozioökonomischen Stellung von Familien (zumeist über die Berufstätigkeit der Eltern) gemessen. Im PISA-Framework wurde zur analytischen Differenzierung der Ungleichheitsdeterminanten des Bildungsprozesses erstmals neben der sozioökonomischen Stellung nunmehr auch das „kulturelle und soziale Kapital“ mitberücksichtigt. Diese von Bourdieu und Coleman mitgeprägten Begriffe stellen klar, dass individuelle kulturelle und soziale Ressourcen den Handlungsrahmen erweitern und somit positiv in die Bildungsökonomie einstreuen. Ihre Auffassungen spiegeln sich u.a. in diversen neuerlichen Schulleistungsstudien, wie z.B. TOSCA, PIRLS/IGLU, CivED u.a. wider. Leitet man nunmehr ab, dass eine Partizipationsprogression in Relation zur Einstufung innerhalb einer sozioökonomischen Schicht steht, so muss man feststellen, dass z.B. elterliche Erwerbslosigkeit bzw. Einkommenssicherung aus Sozialleistungen zu einer empfindlichen Verschlechterung der ökonomischen und sozialen Lebensverhältnisse führen und sich nachhaltig negativ auf das Bildungsverhalten bzw. Zugangsmöglichkeiten auswirkt.[18]
Fasst man die o.g. Aussagen zusammen, so ist demzufolge festzustellen, dass ein
reduzierter Inklusionsgradient innerhalb des „Bildungsmarktes“ aufgrund unterschiedlicher sozioökonomischer Ausgangslagen ein gesellschaftlich-existentes Problem und herkunftsbedingte Absonderungsquelle darstellt, da bei rationaler Betrachtung „Bildung" eine zentrale individuelle, evidente und gesellschaftliche Ressource des 21. Jahrhunderts ist. Die Bedeutung der Partizipationsmöglichkeiten im Bildungssektor und Tragweite herkunftsbedingter Dispersitäten kann abschließend durch die folgende Darstellung nachhaltig und eindringlich aufgezeigt werden. Sie untermauert nochmals illustrativ, dass neben den soziologischen Einflüssen des Elternhauses auch das sozioökonomische Grundsetting biografisch prägend ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Darstellungsschema Herkunft vs. Bildungserfolg[19]
Wie in den vorangestellten Kapiteln beschrieben wird, muss davon ausgegangen werden, dass ein unmittelbarer Zusammenhang von Herkunft und schulbiografischen Werdegang vorliegt. Die von der Shell Deutschland Holding in Auftrag gegebene 16. Jugendstudie stellt heraus, dass die Herkunftsfamilie nicht nur den Ausgangspunkt und primäre Sozialisationsinstanz darstellt, sondern auch einen prägnanten Einflussfaktor hinsichtlich der (schul-)biografischen Entwicklung darstellt. Es wird hierbei davon ausgegangen, dass ein beträchtlicher Teil von Kindern und Jugendlichen in spannungsbehafteten Rahmenbedingungen und unter prekären Lebensumständen aufwächst. Ausgehend von der Tatsache, dass in den Sozialwissenschaften nach wie vor der Begriff der „Sozialen Schichtung“ inklusive der Segmentierung in Ober-, Mittel- und Unterschicht implementiert ist, bestätigen u.a. Leven/Quenzel/Hurrelmann, dass neben den ökonomischen Ressourcen auch Bildung als Ungleichheitsdeterminante prägenden Einfluss auf die Lebensperspektiven nehmen. Unter Berufung auf Hradil et al. stellen sie deutlich heraus, dass es biografische Analogien zwischen der schulischer (Aus-)Bildung der Eltern und ihren Kindern gibt. Unter Ableitung der Tatsachen, dass beruflicher Erfolg gute bis höherwertige Bildungszertifikate erfordert, um ökonomisch „erfolgreich“ zu sein, ergibt sich hier eine dialektische Konnektivität. Die vorausgestellte Behauptung/Annahme, dass Herkunft im Kontext zur bedingt steuerbaren Mobilität und bildungstechnischen (Un-)Gleichheit steht, wird u.a. durch Leven et al. dadurch belegt, indem sie schreiben, dass
„ … Kinder mit Eltern, die über keinen oder einen einfachen Bildungsabschluss verfügen, hohe Bildungsabschlüsse deutlich seltener“ sind.[20]
Außerdem heißt es dort weiter:
„ … Aufstiege von ‚ganz unten‘ und Abstiege von ‚ganz oben‘ sind eher unwahrscheinlich. Insbesondere das Risiko, in der unteren Schicht zu verbleiben, hat in den letzten Jahren zugenommen.“ [21]
Darin zeigt sich, dass Bildungskapital ein Zugang zu (späteren) ökonomischen Kapital implementiert. Daraus ergibt sich der Sachverhalt, dass Jugendliche auffallend andersgeartete Ausgangsvoraussetzungen aufgrund ihrer sozialen Herkunft besitzen und der Bildungshintergrund der Eltern einen gravierenden Einfluss auf die schulische Entwicklung der Kinder nimmt. Festzuhalten ist an dieser Stelle jedoch, dass hierbei nicht von einer mangelhaften kognitiven Reifevererbung ausgegangen wird oder eine geistige Denkfähigkeit pauschal aberkannt werden soll. Vielmehr sind damit u.a. die finanziellen Fördermöglichkeiten angesprochen, welche unter Umständen zum Tragen kommen können oder eine fehlende Motivationslage an höherwertiger Schulbildung durch elterliche Berufsprägung und häuslicher Sozialisation vorliegen könnte.
In Anlehnung an diese Aussage wird klar deutlich, dass man eine Transformation des stereotypen Denkens, dass Bildungsungleichheit ein Phänomen der unteren Herkunftsschicht sei mitzeichnen. Ausgehend von dieser Radikalität soll im nunmehr folgenden Teilabschnitt eine fokussierte Betrachtung der elterlichen Bildungsvererbung als Chancenvariable vorgenommen werden.
Bei Betrachtung der Ausgangschancen heutiger Jugendlicher muss man die Entwicklung der Bildungslandschaft und der Dynamik von Zugangsqualifikationen mit in Betracht ziehen, um zu verstehen, warum eine Achsenverschiebung und Ungleichheitsausprägung stattgefunden hat. Während zur Mitte des 20. Jahrhundert in Deutschland der Besuch von Volks- oder Hauptschulen die weitverbreitete Normalität darstellte, kam es durch rasche technologische und wissenschaftliche Weiterentwicklungen zu einer gesteigerten Not-wendigkeit der Bildungserweiterung bzw. -anpassung. Vor dem Hintergrund der Verbesserung der eigenen Statusposition innerhalb der Gesellschaft und damit verbundenen ökonomischen Einordnung und perspektivischen Absicherung wurde eine zeitliche Ausweitung der Schulbildung notwendig. Da jedoch die elterliche Schulbildung dementsprechend „tradiert“ bzw. nicht mehr hinlänglich ausreichend war, um den geistigen und finanziellen Notwendigkeiten gerecht zu werden, entwickelte sich für Emporkömmlinge der „Arbeiterschicht“ mit „niedrigen“ Bildungsabschlüssen eine subjektive Benachteiligungsproblematik. Dieser Sachverhalt zeigt sich eindeutig in der Shell Jugendstudie 2010, welche mit der TNS Infratest Sozialforschung valide Daten vorlegt, nach denen nur ca. ein Viertel aller Jugendlichen von bildungsfremden Vätern einen höherwertigen Schulabschluss vorweist im Vergleich zu ca. dreimal so vielen Nachkommen von Vätern, die einen höheren Schulabschluss besitzen. Im Gegensatz dazu schließen ca. ein Drittel der Jugendlichen aus „einfachen Verhältnissen“ die Schule mit einem Hauptschulabschluss ab, wohingegen marginale vier von Hundert Jugendlichen die Seltenheit an Absolventen mit Vätern höherer Schulbildung darstellen. Der Einbezug der schulischen Abschlusszertifikate der Mütter wurde als nicht relevant beeinflussend determiniert.[22]
Die zugrundeliegenden Zahlen sind zur Verdeutlichung in Tabelle 1 dargestellt und sind der o.g. TNS Empirie entnommen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Schulabschlüsse von Jugendlichen unter Berücksichtigung des väterlichen Schulabschlusses
Nach analytischer Betrachtung der ausgewiesenen Zahlen kommt man demnach zur Erkenntnis, dass sich perspektivische Chancenungleichgewichte durch den Schulabschluss der Eltern auf das Bildungsniveau ergeben. Leven/Quenzel/Hurrelmann stellen dies eindringlich durch folgende Aussage heraus:
„Vor dem Hintergrund der Analysen rund um PISA hat sich gezeigt, dass die Schichtzugehörigkeit einen stärkeren Einfluss auf die besuchte weiterführende Schulform hat als die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Jugendlichen.“ [23]
Dementsprechend wird Bildung und die sich daraus ergebenden schulischen Qualifikationen und späteren Bonitäten familiär vorgeprägt, d.h. bildungsbiografische Richtungen sind aufgrund der sozialen Herkunft mitbestimmt. Hieraus ergibt sich die prekäre Erkenntnis, dass die soziale Herkunft bzw. der elterliche Qualifikationsstand bildungsperspektivisch Gewinner oder Verlierer hervorbringt und nachhaltig prägend auf die schulische/berufliche Orientierung von Kindern und Jugendlichen Einfluss nimmt.
Zur konkreten Betrachtung dieser Ableitung beschäftigt sich das anschließende Kapitel zur kontextualen Verlängerung der bislang gewonnenen Erkenntnisse und Darlegungen mit der Diskussion der Bildungschancen innerhalb der unteren Bevölkerungsschicht.
Ausgehend von der im letzten Kapitel getroffenen Positionierung ist ableitbar, dass die Schule ohne Abschluss zu verlassen oder keine Berufsausbildung abgeschlossen zu haben die Definitionen von „Bildungsarmut“ einschließt und VertreterInnen dieses Personen-kreises den sog. „Bildungsverlieren“ zugeordnet werden (können), wenngleich dies bedauerlicher Weise einen zuschreibenden Charakter und eine gesellschaftliche Etikettierungscharakter darstellt. Das Vorhandensein von diesen „Bildungsverlieren“ überrascht, da die Bundesrepublik Deutschland als hochentwickeltes Industrieland und Sozialstaat sich am Leitbild eines sozialen Teilhaberechts orientiert und sich politischen Gemeinwesen versteht, d.h. sie setzt vorrangig Mittel zur Teilhabe in den Bereichen Arbeit, Kultur und Soziales ein, nach dem Grundsatz der Chancengleichheit und Wahrung eines sozialen Aufstiegs.[24]
Betrachtet man nunmehr die Einkommensschichtung in Kombination mit den Bildungszugängen, so muss mittlerweile festgestellt werden, dass innerhalb der unteren Einkommensschichten bei abnehmender sozialer Aufwärtsmobilität ein Trend von Bildungsfremde mit einhergeht. Dies führt z.B. dazu, dass Nachkommen aus Familien der sogenannten „Arbeiterschichten“ aufgrund ihrer sozialen Herkunft und der sozioökonomischen Einflussfaktoren geringere Förderchancen bei schulischen Problemen haben und somit Aufstiegschancen eventuell schon frühzeitig dezimiert sind, oder sogar verwehrt bleiben im ferneren biografischen Verlauf, der Schullaufbahn, Ausbildung und Beruf. Das Vorhandensein dieser prekären Konstellation von herkunftsbedingter Bildungsentfremdung wurde bereits diskutiert, dennoch soll dieser Aspekt von „Bildungsverlierern“ unter konkreter Betrachtung der unteren Bevölkerungsschicht hinterfragt werden. Die gesteigerte Wahrnehmung und Beschreibung des Vorhandenseins von Bildungsaspiration stützt sich insbesondere auf den Blick der Studierquoten, woraus man ableiten kann, dass die soziale Herkunft seit Jahrzehnten eine entscheidende und zunehmende Bedeutung für den Bildungserfolg hat. Belegt wird diese Aussage u.a. in der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks unter Federführung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.[25] Das Vorliegen solcher Exklusionstendenzen lässt darauf schließen, dass herkunftsspezifische Ungleichheiten existieren und explizit die untere Bevölkerungsschicht trifft, was eine Werteverschiebung im Bereich der Chancen und Bildungszugänge bedeutet. Diese These wird u.a. durch Baumert/Maaz belegt, die festhalten:
„Herkunftsbedingte Ungleichheiten der Bildungsbeteiligung sind in Deutschland […] relativ ausgeprägt und besonders früh sichtbar. In der Sozialstrukturforschung besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass soziale (und ethnische) Disparitäten vor allem an den […] Gelenkstellen von Bildungskarrieren entstehen.“[26]
Unter bildungsbiografischer Betrachtungsweise und Berücksichtigung der HIS-Studienberechtigten-Befragung nach Isserstedt et al. (2007) ergibt sich eine Aggregation von randständigen Bildungspotentialen. Demzufolge persistieren Unterschicht- und Oberschicht-Abkömmlinge in auffälliger Weise nahe ihrer Bildungsherkunft und sozialen Schichtungen. Basierend auf diese Sachlage ist eine relativierte Bildungschance ableitbar, sofern man die Alterskohorten in ihrer Gesamtheit betrachtet. In der Verlängerung bedeutet dies etwa, dass z.B. nur etwa 60% der Unterschichtsemporkömmlinge studieren, wohingegen 85% der Oberschichtkinder einen Gegentrend markieren. Auffällig bei der Begutachtung der Bruttostudierquote ist, dass weniger als ein Viertel aller in Deutschland eingeschriebenen Studenten „Arbeiterkinder“ sind.[27]
Als ein Grund für diese geringe Beteiligung kann die familiäre Sozialisation und biografische Prägung dieser Gruppenangehörigen vermutet werden, da z.B. die Nutzenbewertung einer höheren Schulbildung und daraus resultierenden Eröffnung des Bildungsmarktes hin zum Studienabschluss mit nachfolgender akademischer Berufstätigkeit familienseitig als geringfügiger bedeutsam eingeschätzt wird und sich somit eine niedrigere Bildungsmotivation bzw. Wertevermittlungstendenz ergibt. Diese einsetzende intergenerationale Statusvererbung ist neben der elterlichen Bildungsaspiration auch durch das individuelle Nutzenkalkül (sog. „Rational-Choice-Theorie “) in den unteren Bevölkerungsgruppen erklärbar/geprägt. Im Zentrum dieser Theorie stehen Abwägungsprozesse zwischen Kostenfaktoren, Nutzen und der Erfolgswahrscheinlichkeit bei der Wahl einer Bildungslaufbahn. Diese Dialektik impliziert aber auch im Umkehrschluss eine bildungs- und berufsseitige Chancendezimierung hervorgehender Kinder. Besonders problematisch und kritisch stellt sich dieser Aspekt vor dem Hintergrund der Bildungsinflation und -expansion dar, was eine Notwendigkeit der (ständigen) Erweiterung des geistig-kognitiven Horizont meint, da die Einstiegsqualifikationen in den modernen Berufsbildern aufgrund neuer technischer Entwicklungen, gewachsener wissenschaftlicher Erkenntnisse und anderen neuzeitlichen Anpassungen marktsegmentübergreifende (Vor-)Kenntnisse verlangt bzw. erwarten lässt. Von daher ist eine familiäre Förderung (finanziell, emotional, kognitiv) zur Vorbeugung von Bildungsexklusion der Kinder unabdingbar. Außerdem muss festgehalten werden, dass ein niedriger Schulabschluss (z.B. Abgangszeugnis oder Berufsreifezeugnis [ugs. „Hauptschulabschluss“]), eventuell sogar verbunden mit Ansiedlung im unteren Notenverteilungsbereich, die heutigen Einstellungsvoraussetzungen nicht dauerhaft erfüllt und den zu erwartenden Qualifikationsbeibringung für zukünftige Job-Profile nicht genügen wird. Das bedeutet, dass Schulabschlüsse inflationären Einflüssen unterliegen und sich daneben eine schulische/berufliche Vorprägung abzeichnet und der sog. „soziale Fahrstuhleffekt“ ein-setzen kann.
Wie bereits dargestellt haben Kinder aus bildungsfremden oder sozialschwächeren Elternhäusern zwar aufgrund des allgemeinbildenden Verschulungssystems und dem generellen Sozialstaatsprinzip eine tendenziell gleiche Ausgangslage der Wahl bzw. beim sukzessiven Durchlaufen der schulischen Bildungswege in Deutschland, dennoch steht ihnen bei rationaler Betrachtung diesbezüglich nur eine begrenzte Handlungsalternative bei einsetzenden Problemen und einer praktischen Umsetzung der Verschulung zur Verfügung. Dies wird unter anderem erkennbar, wenn man speziell die dann notwendige finanzielle Förderfähigkeit der Eltern betrachtet. Sie ist außer Frage bei Unterschichtsangehörigen grenzwertig bzw. bei einer Vielzahl der sozioökonomisch schlechter gestellten Familien aufgrund von Transferleistungsbezug, die sich durch definierte Regelsätze darstellen, nur schwer umsetzbar/tragbar oder langfristige Mehrbelastung durch schulische Mehraufwendungen, wie z.B. Schulbücher, Schul-materialien, Bildungsreisen, Förderunterrichte und späteren Studienkosten nur bedingt perspektivisch konsolidierbar. Das Vorhandensein dieser eklatanten Bildungsbeeinflussung bestärken somit die Annahme, dass traditionelle Rollenmuster erkennbar sind, ergo: soziale und ökonomische Ausgangslagen aktive Stellmotoren für die biografische Entwicklung und der darin inkludierten schulischen Bildung sind. Der daraus resultierend sinkende Zukunftsoptimismus ist daher nur ein Zeichen der individuellen Exklusionsempfindung bei/nach durchlebter Positionierung.
Die Ursachen für das Vorhandensein von Bildungsverlierern im Kontext der Bildungsungleichheit innerhalb der merito-kratischen Gesellschaft und daraus resultierende politische Konsequenzen sollen im nun angegliederten Subkapitel beleuchtet werden.
Bei der Betrachtung von ursächlichen Faktoren für eine verschobene Ausgangslage im Bildungsrahmen stellt die grundsätzlich vorgenommene Pauschalkategorisierung in „Gewinner“ und „Verlierer“ einen traurigen Tiefpunkt im gesellschaftlichen Clusterdenken dar. Die Feststellung, dass bipolare Existenzen zur Differenzierung der Arbeits-und Wissensgesellschaft „notwendig“ sind im neuzeitlichen Gesellschaftskontext, läutet eine Diskussion um die basale Schlüsselqualifikation und Ausgangslagenbetrachtung der Bildungs- und Berufschancen ein. Bei kontextualer Betrachtungsweise der Bildungs-ungleichheit ist dabei festzuhalten, dass sog. „Bildungsverlierer“ oftmals auch parallel verstanden werden als „bildungsarme Personen“ oder als „Angehörige aus bildungsfremden Schichten“, ohne dabei eine Binnendifferenzierung von absoluter und relativer Bildungsarmut vorzunehmen[28]. Eine darlegende Definition beider Effekte liefern Allmendinger und Liebfried, welche absolute Bildungsarmut als das „Nicht-Erreichen eines Mindeststandards“ im Sinne von Analphabetismus oder Minimalschulabschlüsse bezeichnen. Im Vergleich dazu beschreiben sie relative Bildungsarmut als eine „Positionierung in einem Verteilungsspektrum“ und meinen damit, dass etwa bei einer Kohortenanalyse das untere Quintil oder Quartil die Schnittmenge an bildungsarmen Personen im gesamten Verteilungsschlüssel darstellen würde.[29]
Auffallend bei der Diskussion der Ursachen von Bildungsungleichheit und der Chancenlage ist die z.B. durch Berger/Keim/Klärner festgestellte Tatsache, dass der Personenkreis ohne (Haupt-)Schulabschluss überproportional durch Abkömmlinge von Eltern mit niedrigerem sozioökonomischen Status und/oder Migrationshintergrund gekennzeichnet ist. Basierend auf Daten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung aus dem Jahr 2008 kommen sie zu der Aussage, dass diese, als „absolut bildungsarm“ terminierten Jugendlichen, seit ca. den 1970er Jahre im Verlauf der Bildungsexpansion nahezu konstant bei 6-8% einen nicht unbedeutenden Prozentsatz im Vergleich zu den tendenziell sinkenden (bis nahezu stagnierenden) Absolventenzahlen mit Hauptschulabschluss, welche als „relativ bildungsarm“ bezeichnet werden können, kennzeichnen. Wenngleich Berger et al. im weiteren Verlauf darauf hinweisen, dass das Erreichen eines Hauptschulabschluss neuzeitlich nicht mehr unbedingt ein Gegenargument (relativer) Bildungsarmut darstellt und die Behauptung aufstellen, dass die Bezeichnung von Bildungsverlieren als „Randgruppe“ per se problematisch ist, zeichnet sich dennoch ab, dass die soziale Herkunft einen unmittelbaren Ausgangpunkt für die „Chancen(un)gleichheit“ darstellt. So legen sie unter Berufung auf Bos et al. (2007), Hovestadt/Eggers (2007) und das Konsortium Bildungsberichterstattung (2006) dar, dass ein überproportionaler Anteil von SchülerInnen mit niedrigem sozioökonomischen Status bzw. artgelagerten sozialer Herkunft eine signifikant schlechtere Chancengleichheit bei gleicher kognitiver Grundbefähigung bei der Wahl und dem Durchlaufen der Schullaufbahn inne hat.
Zur eindringlichen Veranschaulichung der empirischen Daten des BMBF soll die Abbildung 2 nach eigener Darstellung durch das o.g. Autorenteam dienen.
Abb. 2: Darstellung Schulabschlüsse im Kontext der absolutem und relativen Bildungsarmut
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei abschließender konziser Betrachtung der Ursächlichkeit bezüglich einer Bildungsverarmung und interdependierenden Bildungsungleichheit ist dementsprechend festzustellen, dass neben den 1974 von Boudon definierten primären und sekundären Herkunftseffekten, d.h. den eventuell divergenten Schulleistungsentwicklung von Kindern aufgrund herkunftsbedingter (Schul-)Leistungen oder unterschiedlicher sozialen Herkunft bei gleicher Schulleistung, auch das 1987 von Bourdieu beschriebene „Habitus-Konzept“, einen rahmenden Kausalaspekt für die Bildungsungleichheit darstellt. Das angesprochene „Habitus-Konzept“ gemäß Bourdieu meint dabei, dass es innerhalb der unteren Gesellschaftsschichtung herkunftsspezifische Denk- und Handlungsspezifika gibt, welche trotz der attribunalen Prozesse/Bedingungen auf die sozialisatorische Umwelt Einfluss nehmen, um z.B. mittels Variation und Modifikation den herkunftsbedingten, biografisch ursächlichen Dispositionen zu begegnen bzw. Arrangements zu entwickeln.
Außerdem sind, wie in einem der vorangestellten Abschnitte bereits vermutet, die sozialisierenden Einflüsse der Eltern bei der „Kompetenzenvererbung“ und Lernmotivation stark mit dem Besitz von kulturellen und ökonomischen Kapital verknüpft, was einen prägenden Einfluss auf die kindliche Bildungsentwicklung implementiert und somit als ursächlich für eine schleichende biografische Bildungsungleichheit sind.[30]
Demzufolge korrespondieren Fördermöglichkeiten, Bildungschancen und Bonität unmittelbar miteinander und sind generelle Gelenkstellen der resultierenden Bildungskarrieren von Kindern mit dem Effekt einer intergenerationalisierte Vererbung von (Bildungs-)Ungleichheit.
Der anschließende Abschnitt beleuchtet nunmehr die berufsethische Betrachtungsweise, um den theoretischen Rahmen dieser Arbeit abzurunden und der Komplexität des Themas gerecht zu werden. Damit soll ein ganzheitlicher Rahmen geschaffen werden, um die Frage zu klären, ob die Bewältigung herkunftsbedingter Disposition und schulbiografischer Benachteiligung ein legitimes Arbeitsfeld oder Arbeitsaufgabe für die Soziale Arbeit ist. Wenn dies der Fall ist, soll der Aspekt erörtert werden, was es bei positiver Begutachtung zu berücksichtigen gilt, wenn man dem erweiterten Fokus zur präventiven Kinder- und Jugendarbeit im Bildungssektor gerecht werden will.
[...]
[1] vgl. Dworkin 2011, S. 7-10.
[2] vgl. Hradil 2001, S. 28f.
[3] Kreckel 2004, S. 13.
[4] vgl. ebd., S. 13ff.
[5] vgl. Kreckel 2004, S. 20.
[6] Kreckel 2004, S. 17.
[7] vgl. Kreckel 2009, S. 143.
[8] vgl. Hradil 2001, S. 38.
[9] vgl. Kreckel 2009, S. 150f.
[10] vgl. Kreckel 2009, S. 144.
[11] Marx zit. nach Hradil 2001, S. 39.
[12] vgl. Hradil 2001, S. 40f.
[13] vgl. ebd., S. 354f.
[14] Hradil 2001, S. 356.
[15] vgl. Beck 1996, S. 220ff.
[16] vgl. URL1.
[17] vgl. Albert et al. 2010, S. 16f.
[18] vgl. Baumert/Maaz 2006, S. 11-20.
[19] vgl. Becker/Lauterbach 2008, S. 15.
[20] vgl. Leven/Quenzel/Hurrelmann 2010, S. 53f.
[21] Ditton zit. ebd., S. 54.
[22] vgl. Leven/Quenzel/Hurrelmann 2010, S.70ff.
[23] PISA-Konsortium Deutschland 2004 zit. ebd., S.72.
[24] vgl. Hurrelmann/Quenzel 2010, S. 11f.
[25] vgl. Isserstedt et al. 2007, S. 3-10.
[26] Baumert/Maaz 2010, S. 159.
[27] vgl. Isserstedt et al. 2007, S. 6.
[28] vgl. Berger/Keim/Klärner 2010, S.37f.
[29] vgl. Allmendinger/Leibfried zit. ebd., S. 38.
[30] vgl. Berger/Keim/Klärner 2010, S. 38-42
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