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Mehr InfosExamensarbeit, 2012, 51 Seiten
Examensarbeit
1,3
1. Einleitung
2. Gefühle und ihr positiver Nutzen
3. Die Rolle der Kognition bei Emotionen im 17. Jahrhundert
4. Das Problem der Kognition von Emotionen in der gegenwärtigen Debatte
4.1 Kritische Interpretationen der Theorien Descartes‘
4.2 Das Auftreten von Emotionen durch gesellschaftliche Prägung
5. Kritische Positionen zu Descartes in der modernen Debatte
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur
Abbildungsverzeichnis
1649 veröffentlichte der französische Philosoph René Descartes seine Abhandlungen über die Leidenschaften der Seele (frz. Les passions de l‘âme). In diesem Werk beschäftigt er sich mit der Entstehung von Affekten und Gefühlen, die er nicht nur kategorisch einteilt, sondern auch versucht, ihre Existenz und ihr Auftreten zu erklären. Nach genauen Beobachtungen von Menschen und ihren Gefühlen, sowie der Erforschung des eigenen Körpers hat er Thesen aufgestellt, mit denen er Emotionen begreifen möchte. Descartes geht davon aus, dass alles, was unsere Seele erleidet, sei es Trauer, Hass, Liebe, Freude oder ähnliche Empfindungen, durch natürliche Zusammenhänge, also rein mechanisch wirkende Vorgänge, abläuft. In seinen Ausführungen versucht Descartes folglich alle körperlichen Funktionen, die zu den verschiedenen Gefühlslagen führen und nach seiner Meinung mit ihnen notwendig einhergehen, darzulegen. Zudem stellt er die These auf, dass alle Emotionen Wirkungen auf den Menschen, seine körperlichen Reaktionen und Handlungen haben, die gut oder schlecht für den Lebensalltag sind. Inwiefern die Leidenschaften für uns nützlich sind und auf welche Art und Weise wir auf sie hören oder sie lieber beseitigen sollen, möchte Descartes in seinem Werk aufzeigen. Doch das Thema der Emotionen ist kein einfaches und wurde nicht nur im 17. Jahrhundert thematisiert. In der antiken Philosophie wurden Gefühle in erster Linie in ethischen Debatten angeführt. Gefühlen wurden in jenen Zeiten kein hoher Wert zugesprochen, es galt sie zu zügeln, um moralisch korrektes Handeln ermöglichen zu können. Wer sich am wenigsten seinen Gefühlsregungen hingab, galt als starker und ethisch korrekter Mensch. Dass Gefühle einen rationalen Charakter haben könnten, so wie man bei Descartes‘ Theorien über ihren Nutzen für den Lebensalltag vermuten kann, beachtete man nicht. Viele Denker zur Zeit Descartes‘, im 19. Jahrhundert und sogar noch heute, debattieren schließlich weiter über Gefühle, entwickeln Descartes‘ Positionen weiter oder widersprechen seinen Behauptungen. Darüber, dass Gefühle einen bestimmten Nutzen für unser Leben haben, sind sich aber heute die meisten Philosophen einig. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwiefern die Vernunft bei der Entstehung und der Erhaltung von Gefühlen eine Rolle spielt. Denn sind Emotionen für uns nützlich, beurteilen sie scheinbar Sachlagen und informieren uns über Situationen, in denen wir sie empfinden. Somit liegt es nahe, ihnen einen kognitiven Gehalt zuzusprechen. Ist ein solcher Gehalt denkbar oder sind Emotionen doch bloß phänomenale Erscheinungen? Wenn eine Art von Kognition auszumachen ist, kann man diese Fähigkeit dann den Gefühlen selbst zuschreiben oder spielt doch unsere mehr oder weniger bewusste Bewertung eines Ereignisses eine Rolle bei der Entstehung und Empfindung von Gefühlen?
Zunächst möchte ich in meiner Arbeit die Ausführungen Descartes‘ durchleuchten, um daran das Auftreten der Emotionen zu erläutern und die Rolle der Kognition somit herauszustellen (Kapitel 2 und 3). Dabei soll vor allem sein Traktat über die Leidenschaften der Seele als Primärtext fungieren, aber auch andere Texte Descartes‘ als Grundlage dienen, die Aufschluss über die Frage nach der Kognition bei Gefühlen geben können. Anschließend möchte ich im vierten Kapitel das aufgegriffene Thema anhand der aktuellen Debatten durchleuchten, die teilweise auf Descartes‘ Überlegungen zurückgreifen und in dessen Ausführungen Hinweise auf einen in Emotionen selbst liegenden kognitiven Gehalt suchen, aber auch weitere Anhaltspunkte zur Beantwortung der Frage nach diesem kognitiven Gehalt geben. Um eine allgemeine Kritik an Descartes‘ frühen Theorien in der aktuellen Debatte werde ich dabei nicht umhinkommen. Dadurch soll deutlich werden, inwieweit Descartes‘ Werke die nachfolgenden Überlegungen in der philosophischen Emotionstheorie vorangebracht haben und wo es dennoch Streitpunkte oder Weiterentwicklungen gibt. Da sich diese Stellungnahmen nicht nur auf die Frage nach der Kognition beziehen, widme ich diesem Thema ein ganzes abschließendes Kapitel (Kapitel 5).
„[…]die Menschen, die am meisten von […] [den Leidenschaften] bewegt werden, [sind] auch fähig […], am meisten die Süße dieses Lebens zu genießen.“[1]
So schließt René Descartes seine Abhandlungen über die „Leidenschaften der Seele“.
Inspiriert durch einen Briefwechsel mit der Prinzessin Elisabeth von Böhmen, die, von einem schicksalhaften Leben mit familiären Machtkämpfen und Todesfällen berührt, unter Trauer und Krankheiten zu leiden hatte, erklärt er in dieser Schrift die physischen Vorgänge beim Auftreten von Gefühlen, ihren positiven und negativen Effekten und wie man diese nutzen oder verändern kann.
Doch was genau meint Descartes damit, dass sich ein, wie im angeführten Zitat beschriebener, emotionaler Mensch an den positiven Aspekten seiner Gefühle erfreuen kann und was sind diese positiven Aspekte? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, muss zunächst einmal geklärt werden, was Gefühle überhaupt sind und wie sie entstehen. Laut Descartes ist der Mensch im dualistischen Sinne ein zusammengesetztes Wesen von Körper und Seele. Während der Körper ein materieller Gegenstand ist, der rein mechanisch für die Bewegungen seiner Glieder zuständig ist, lässt sich der Seele die einzige Aufgabe des Denkens zuschreiben[2]. Durch ihr Denken fasst sie äußere Gegenstände auf, die durch die Sinnesorgane wahrgenommen werden, oder kann aus eigener Kraft eigene Vorstellungen, die ihr nicht durch äußere Gegenstände direkt gegeben sind, entwickeln[3]. Die Seele kann auch Willensakte vollziehen, worauf erst im zweiten Kapitel ausführlicher eingegangen werden soll. Descartes nimmt somit folgende Einteilung der Aufgaben der Seele vor, die hier aber nicht näher erläutert werden braucht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Die Aufteilung der Seele
(vgl. PA, S. 33, Art. 17)
Gefühle ordnet Descartes weder allein dem Körper noch allein der Seele zu. Denn neben diesen beiden Substanzen nennt er noch eine Einheit, die die sehr enge Verbundenheit und Einflussnahme von Seele und Körper verdeutlichen soll: die Körper-Seele-Einheit[4].
Ferner lehrt mich die Natur durch jene Schmerz-, Hunger-, Durstempfindungen usw., daß ich meinem Körper nicht nur wie ein Schiffer seinem Fahrzeug gegenwärtig bin, sondern daß ich ganz eng mit ihm verbunden und gleichsam vermischt bin, so daß ich mit ihm eine Einheit bilde.[5]
Nur durch die Sinnesorgane des Körpers und seine inneren Organe und Funktionen wie Nervenbahnen, Blutströme und Lebensgeister, und die mit ihnen verbundene Seelentätigkeit, ist es uns möglich, Gefühle zu haben. Denn Gefühle werden nach Descartes in uns hervorgerufen, wenn wir in der Welt außerhalb unseres eigenen Körpers durch unsere Sinne Dinge wahrnehmen, die für uns von subjektiver Bedeutung sind. Diese äußeren Objekte werden durch die Bewegung der Lebensgeister in den Nervenbahnen durch unsere Seele repräsentiert. Das bedeutet, dass, beispielsweise bei Sehvorgängen, äußere Objekte durch „vermittelnde durchsichtige Körper zwischen ihnen und uns“[6] auf uns einwirken, wodurch die Bewegungen der Lebensgeister Impulse in unserem Körper weiterleiten, die durch die Berührung der hinter unseren Augen liegenden kleinen Fasern und deren Verbindung zum Gehirn eine Vorstellung des äußeren Objekts in unserer Seele darstellen. Mit den Lebensgeistern bezeichnet René Descartes „sehr subtile[…] Teile des Blutes“[7], die durch ihre Bewegungen und Strömungen in das Gehirn und in verschiedene Organe des Körpers Impulse weiterleiten, die uns letztendlich die äußeren Objekte als Bilder oder Vorstellungen repräsentieren und damit wichtige Informationen für den aus Körper und Seele zusammengesetzten Menschen geben. Denn die Außenwelt hat insofern Einfluss auf uns, als dass ihre Zustände gut, schlecht, gefährlich, erfreuend oder ähnliches für uns sein können. Durch ihre Wahrnehmung und die daraus entstehenden Gefühle werden wir dann informiert, ob wir uns näher mit der Situation befassen oder uns besser von ihr abwenden sollen. Es lässt sich also zusammenfassend sagen, dass Wahrnehmungen dadurch entstehen, dass unsere Sinnesorgane äußere Gegenstände aufnehmen, diese Informationen durch das Strömen der Lebensgeister in die Zirbeldrüse im Gehirn, welche der Hauptsitz der Seele ist, zusammengeführt werden, wo daraufhin ein Abbild des äußeren Objekts entsteht[8].
Hier tritt nicht nur die Frage auf, wie man sich diese durchsichtigen vermittelnden Körper zwischen dem Außenobjekt und unseren Sinnesorganen vorstellen muss, sondern ebenso das auch von Elisabeth von Böhmen erkannte Problem, dass es kaum nachvollziehbar ist, wie der materielle Körper durch seine physiologisch von Descartes erklärbaren Vorgänge ein gedankliches Bild in einer immateriellen Seele hervorrufen kann. Eine plausible Klärung dieses Einwands kann Descartes weder im Briefwechsel mit seiner Kritikerin noch in den anschließend entstandenen Leidenschaften der Seele geben. Er antwortet nur, dass es tatsächlich schwer ist, die Vereinigung von Seele und Körper wissenschaftlich zu erläutern. Denn dabei muss man sich nur auf das reine Denken und die eigene Vernunft berufen. Die Vereinigung aber muss man im Alltag empfinden und der „menschliche Geist [ist] nicht fähig […], sehr deutlich und zu gleicher Zeit den Unterschied zwischen Seele und Körper und ihre Vereinigung zu begreifen, weil man sie dafür zugleich als ein einziges Ding und als zwei begreifen muß, was sich widerspricht.“[9]. Aber nicht nur Dinge der Außenwelt werden der Seele durch diesen Vorgang präsent, sondern auch Dinge, die wir direkt auf unseren Körper beziehen, wie Hunger oder Schmerz. Diese Wahrnehmungen werden uns ebenso durch die gleichen Nervenbahnen bewusst, was auch zeitgleich mit Repräsentationen der Außenwelt stattfinden kann.[10] Von der Zirbeldrüse bewegen sich die Lebensgeister weiter durch die Nervenbahnen in bestimmte Muskeln, wodurch körperliche Reaktionen wie Herzklopfen, Erbleichen, Zittern oder das Bewegen bestimmter Glieder entstehen. Je nach Bedeutung der äußeren Objekte oder Situationen für uns entstehen unterschiedliche Gefühle. Die Bedeutung ist dabei sehr individuell und abhängig von Erfahrungen und der „Beschaffenheit des Körpers oder der Kraft der Seele“[11]. Wenn ein von uns wahrgenommenes Objekt für uns von Bedeutung ist, werden wir verwundert. Durch die Verwunderung bewerten wir den Gegenstand, der uns so überrascht und dem wir daraus folgend Achtung oder Missachtung entgegenbringen[12]. Erst dadurch werden die Lebensgeister geweckt, die folglich in die für die Emotion zuständige Hirnregion und für die Bewegung zuständigen Muskeln im Körper strömen und somit unsere Gefühle auslösen.[13]
Und daraus, daß einige dieser Wahrnehmungen mir angenehm, andere unangenehm sind, ist vollkommen gewiß, daß mein Körper oder vielmehr mein ganzes Ich, sofern es aus Körper und Geist zusammengesetzt ist, von den umgebenden Körpern auf mannigfache Art zuträglich und unzuträglich beeinflußt werden kann.[14]
Descartes nennt sechs Grundemotionen. Alle anderen Gefühle sind nur „Spezifizierungen von ihnen“[15]. Zu den Grundemotionen zählt er zunächst die Verwunderung, dann die Begierde und die Gegensatzpaare Liebe und Hass, sowie Freude und Traurigkeit. Diese Grundemotionen entstehen laut Descartes durch die beschriebenen physiologischen Vorgänge, während die weiteren Gefühle, auf die er im dritten Teil seiner Leidenschaften der Seele eingeht und die er die „besonderen Leidenschaften“[16] nennt, auf diesen aufbauen.
Nachdem nun geklärt ist, wie unsere Gefühle physisch durch die Zusammenarbeit von Körper und Seele entstehen, lässt sich auch leicht ihr Nutzen erkennen: Wie bereits erwähnt, hat der Körper Einfluss auf die Seele, denn nur durch diese Verbindung können Leidenschaften entstehen, die die Seele veranlassen, Handlungen, die auf Grund der Strömungen der Lebensgeister von der Zirbeldrüse zu den Muskeln folgen, „zu billigen und zu solchen beizutragen, die dem Körper dienen und ihn bewahren oder in irgendeiner Weise vervollkommnen.“[17] Laut Descartes werden der Seele somit durch Gefühle wie Freude oder Traurigkeit mitgeteilt, was gut oder schlecht für sie und den Körper ist. Wenn die Seele diesen Nutzen oder Schaden erkannt hat, entsteht die Begierde nach etwas, was sich durch die Gefühle als gut für uns vorstellt, oder nach etwas, was dem entgegensteht, was sich uns durch eine negative Leidenschaft als Übel präsentiert[18]. Anders ausgedrückt: Leidenschaften erhalten oder intensivieren unsere Gedanken über bestimmte Dinge, die gut für uns sind[19] und veranlassen uns somit, dass wir uns mit diesen Dingen befassen oder uns von schädlichen Dingen abwenden. Auch, wenn uns Gefühle häufig lästig erscheinen, sind sie doch zunächst „von Natur aus gut“[20] und uns dienlich. Denn durch Liebe und Hass verbinden wir uns mit Gegenständen oder Subjekten, die sich uns als besonders gut für unseren Körper und unsere Seele darstellen oder halten uns von jenen fern, die abträglich erscheinen[21]. Durch Furcht oder Schlaffheit wird die Seele davon abgehalten, Handlungen zu veranlassen, die schlecht für uns sind[22]. Zorn hilft der Seele „Beleidigungen zurückzuweisen“[23] und die Begierde spornt uns an, für etwas zu kämpfen, was uns gut erscheint, indem sie sich auf das Begehren des Guten und gegen das Wollen des Schlechten richtet[24]. Durch Freude genießen wir das Gute[25], während Trauer die Seele Übel oder Fehler erkennen lässt[26].
Man kann Gefühle folglich als eine Art Informations-Träger bezeichnen, die unserem körperlichen und psychischen Wohlergehen und Überleben dienen. Solche Schutzmechanismen können auch ohne Gefühle auftreten, wie es zum Beispiel der Fall ist, wenn wir unsere Augen schließen oder schnell zurückweichen, wenn jemand seine Hand wie bei einem Schlag auf uns zu bewegt, auch wenn wir wissen, dass unser Gegenüber unser Freund ist und uns niemals schlagen würde. Wir sprechen dann von Reflexen oder Affekten, die nur auf Grund der Wahrnehmung der äußeren Gegenstände und den darauf folgenden mechanistischen Körpervorgängen automatisch verlaufen[27]. Gefühle sind aber Informations-Träger auf einer zweiten Ebene, die uns helfen, eine Situation bewusst wahrzunehmen und sie zu reflektieren, anstatt schnelles Handeln zu erzeugen. Denn die Verwunderung, die jedem weiteren Gefühlszustand vorausgeht, lässt uns bereits erkennen, ob eine äußere Wahrnehmung für uns in irgendeinem Sinne bedeutsam ist oder nicht. Würden unsere Körperfunktionen keine Reflexe zustande bringen, sondern nur auf Grund von Gefühlen handeln, hätten wir die Armbewegung unseres Freundes wahrscheinlich gar nicht weiter beachtet, sondern sie als bloße Geste während unserer Unterhaltung verstanden.
Zudem können Emotionen, auch ohne dass sie eine aktive Handlung nach sich ziehen sondern nur durch ihre innerorganischen Bewegungen, gesundheitsfördernd sein: So wirkt ein erhöhter Pulsschlag, der mit dem Gefühl der Liebe umhergeht, verdauungsanregend[28] oder führt bei der Freude zu einem Wärmeempfinden durch die bessere Durchblutung[29]. Beide Emotionen lassen uns durch schneller fließendes und feineres Blut in den Venen, was eine rötliche Gesichtsfarbe verursacht, auch gesünder und fröhlicher aussehen[30]. Durch die starke Erregung der Lebensgeister, die durch die Begierde ausgelöst wird, wird unser Körper beweglicher und unsere Sinne schärfer[31].
Bei all diesem positiven Nutzen der Gefühle, muss aber ebenso erwähnt werden, dass sie auch negative Effekte mit sich bringen können. Denn so wie die Liebe oder die Freude gesund sind, können negativ konnotierte Gefühle zu physisch und psychisch schlechten Zuständen führen: Hass bringt beispielsweise einen unregelmäßigen Pulsschlag mit sich, der Stiche im Herzen oder Erbrechen verursachen kann[32].
Diese Überzeugung, dass auch negative Gedanken und Gefühle den menschlichen Körper und die Psyche krank machen können, versuchte René Descartes auch seiner Brieffreundin Elisabeth von Böhmen zu erläutern. Er wusste von ihren Schicksalsschlägen und führte diese als Grund für Elisabeths starke Erkrankung an:
„[…] eine Person, die […] sich aber fortgesetzt Tragödien vor Augen stellt, deren sämtliche Akte unheilvoll sind, und sich nur damit beschäfigt, Gegenstände der Trauer und des Erbarmens zu betrachten, […] ich glaube, sage ich, daß das allein genügen würde, ihr Herz daran zu gewöhnen, sich zusammen zu ziehen und Seufzer auszustoßen; infolgedessen könnten, da der Kreislauf des Blutes verzögert und verlangsamt wird, die gröbsten Teilchen dieses Blutes durch Aneinanderhaften ihr leicht die Milz verstopfen, indem sie sich in deren Poren behindern und festsetzen; und die feinsten Teilchen könnten durch Zurückhaltung ihrer Bewegung ihre Lunge beeinträchtigen und einen Husten verursachen, der auf die Dauer sehr zu fürchten sein würde.“[33]
Bisher scheint Descartes bereits eine sehr plausible Theorie über das Entstehen und die Daseinsberechtigung von Gefühlen gefunden zu haben. Da er aber schon in seinen Meditationen erkannte, dass die Sinne uns häufig täuschen und er nun erklärt, dass auch die Emotionen durch Sinneswahrnehmungen entstehen, muss er sich mit dem Problem auseinandersetzen, dass die scheinbar für unser Wohlergehen so wertvollen Gefühle uns auch häufig täuschen können[34]. Wir müssen uns vor solchen falschen Emotionen hüten, denn durch sie kommen uns äußere Gegenstände oder Subjekte häufig wertvoller vor als sie sind. Oder für uns schädliche Dinge wirken durch täuschende Leidenschaften positiv, so wie eine Schokoladentorte für Diabetiker.
Doch wie ist es möglich, Täuschungen zu erkennen und uns vor ihnen zu hüten? Hier tritt die Vernunft hinzu, kognitive Arbeit ist also nötig: Wir müssen uns unseres Verstandes bedienen, um falsche Gefühle zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Mit diesen kognitiven Vorgängen beschäftigt sich das folgende Kapitel.
[...]
[1] PA, S. 325, Art. 212.
[2] Vgl. PA, S. 33, Art. 17.
[3] Vgl. ebd., Art. 20.
[4] Vgl. PA, Art. 28, S. 47-49.
[5] Meditationes, S. 145.
[6] PA, S. 25, Art. 13.
[7] Ebd., S. 17, Art. 10.
[8] Vgl. ebd., S. 41, Art. 23; S. 51-61, Art. 30-35.
[9] Briefe, S. 272.
[10] Vgl. PA, S. 41-43, Art. 24.
[11] PA, S. 61, Art. 36.
[12] Vgl. ebd., S. 95-97, Art. 53 f.
[13] Vgl. ebd., S. 109 ff., Art. 70.
[14] Meditationes, S. 147.
[15] PA, S. 109, Art. 69.
[16] Ebd., S. 235, Art. 149.
[17] PA, S. 209, Art. 137.
[18] Vgl. ebd., S. 207-209, Art. 137.
[19] Vgl. ebd., S. 115, Art. 74.
[20] Ebd., S. 319, Art. 211.
[21] Vgl. ebd., S. 217 ff., Art. 142.
[22] Vgl. ebd., S. 273, Art. 174.
[23] PA, S. 311, Art. 203.
[24] Vgl. ebd., S. 135, Art. 87.
[25] Vgl. ebd., S. 141, Art. 91.
[26] Vgl. ebd., S. 143, Art. 92.
[27] Vgl. ebd., S. 25 ff., Art. 13.
[28] Vgl. PA, S. 151 ff., Art. 97.
[29] Vgl. ebd., S. 153 ff., Art. 99.
[30] Vgl. ebd., S. 175, Art. 115.
[31] Vgl. ebd., S. 155, Art. 101.
[32] Vgl. ebd., S. 153, Art. 98.
[33] Briefe, S. 292 f.
[34] Vgl. PA, S. 133, Art. 85.
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