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Mehr InfosExamensarbeit, 2011, 59 Seiten
Examensarbeit
Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung (Realschulen) Freiburg
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Die Inzidenz einer vorderen Kreuzbandruptur ist im Alter von 15 bis 30 Jahren am höchsten, da sich dies als das sportintensivste Altersintervall darstellt. Nitsch schreibt, dass „Frauen […] eine bis zu achtmal höhere Verletzungsrate als Männer aufweisen. [Außerdem geht] jede dritte Kreuzbandverletzung zeitgleich mit einer Meniskusverletzung einher, auch die Begleitverletzungen von [anderen] Bändern und Gelenkknorpel sind häufig.“[1]
Gerade Fußball stellt eine Paradesportart dar, bei der selbstverschuldete Kreuzbandverletzungen an der Tagesordnung sind. Interessanterweise treten Verletzungen des vorderen Kreuzbandes (VKB) zu über 70% ohne Fremdeinwirkung auf. Ursächlich hierfür ist eine muskuläre Dysbalance der Oberschenkelmuskulatur: Die ischiocrurale Muskulatur ist im Verhältnis zur Quadriceps-Muskulatur zu schwach. Dies führt dazu, dass bei plötzlichen Richtungsänderungen oder Stoppbewegungen die benötigte Kraft der Oberschenkelrückseite (Hamstrings) zu schwach ist, um das Gelenk in seiner Position zu halten. Es kann hierdurch zu Kreuzband- und Meniskusrupturen kommen.
Um diesem Phänomen entgegenzuwirken, ist eine allgemeine Kraftzunahme der Oberschenkelmuskulatur, insbesondere der ischiocruralen Muskulatur, wünschenswert. Wenn es durch den Schulsport gelänge, einen signifikanten Kraftzuwachs der Hamstring-Muskulatur (ischiocrurale Muskulatur) im Vergleich zur Quadriceps-Muskulatur zu erreichen, wären verletzungsprophylaktische Effekte in Bezug auf Kreuzbandrupturen zu erwarten. Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass die Max-Weber-Schule Freiburg eine Eliteschule des Fußballs ist, wurde als Titel der Dokumentationsarbeit „Sportartspezifische Verletzungsprophylaxe im Sportunterricht am Beispiel Fußball“ gewählt.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Effekte eines dreimonatigen Oberschenkeltrainings im Schulsport zu erforschen. Es sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, ob durch ein wöchentliches, jeweils 25-minütiges Training signifikante Zuwächse in der Quadriceps-Muskulatur bzw. der ischiocruralen Muskulatur erzielt werden können. Außerdem soll überprüft werden, inwieweit sich Unterschiede bei der Entwicklung der weiblichen Experimentalgruppe (n = 15) im Vergleich zur männlichen Kontrollgruppe (n = 15) einstellen. Daraus ergeben sich folgende Forschungsfragen, die im Rahmen dieser Arbeit beantwortet werden sollen:
Hat dreimonatiges, wöchentlich durchgeführtes, oberschenkelspezifisches Krafttraining von ca. 25 Minuten bei weiblichen Jugendlichen im Alter von 16 bis 18 Jahren (Wirtschaftsgymnasium Eingangsklasse) einen signifikanten Einfluss auf die Kraftzunahme der Hamstrings bzw. des Quadriceps? Wenn ja, welche verletzungsprophylaktischen Folgen lassen sich hierdurch ableiten und welche Implikationen ergeben sich für die Praxis, insbesondere für den Schulsport?
Um diese Fragen beantworten zu können, bedarf es der Klärung folgender Punkte:
- Wie lässt sich der Ist-Zustand der Experimentalgruppe (EG) und der Kontrollgruppe (KG) objektiv überprüfen?
- Mit welchen Übungen lässt sich eine Kraftzunahme der o.g. Muskelgruppen erreichen?
- Wie lässt sich der Zustand der beiden Gruppen nach der Trainingsphase objektiv messen?
Im theoretischen Teil dieser Arbeit wird ein kurzer Überblick über den aktuellen Forschungsstand gegeben. Isokinetische Mess- und Trainingssysteme werden vorgestellt. Weiterhin wird geklärt, wie sich Krafttraining auf die Gesundheit auswirkt, und ob Krafttraining im Jugendalter sinnvoll ist. Außerdem wird auf Gesundheitserziehung und Verletzungsprophylaxe durch den Sportunterricht eingegangen, bevor einige Grundsätze für funktionelles Krafttraining mit Jugendlichen geschildert werden.
Anschließend wird die Planung und Durchführung der Unterrichtseinheit geschildert. Es folgt eine Beschreibung der unterrichtspraktischen Umsetzung und die Reflektion der Ergebnisse. Diese beinhaltet neben der Stundenbeschreibung auch einen empirischen Teil. Hier wird kurz auf den Ist-Zustand der Maximalkraftwerte der Oberschenkelmuskulatur der Experimentalgruppe (n=15) und der Kontrollgruppe (n=15) eingegangen. Nachfolgend wird die dreimonatige unterrichtspraktische Durchführung des oberschenkelspezifischen Krafttrainings geschildert und bewertet. Abschließend werden die Effekte des Krafttrainings in einer Ausgangsmessung überprüft und kritisch hinterfragt.
Die empirische Untersuchung teilt sich in folgende Phasen auf:
- Phase 1: Eingangsmessung der Maximalkraftwerte der EG am 21.09.2010 und der der KG am 24.09.2010 in der Mooswaldklinik Freiburg.
- Phase 2: Ausgangsmessung der Maximalkraftwerte der KG am 16.12.2010 und der EG am 21.12.2010 in der Mooswaldklinik Freiburg.
- Phase 3: Auswertung und Deutung der Ergebnisse der Messergebnisse mittels SPSS.
- Phase 4: Zusammenfassung der Ergebnisse und kritische Diskussion. Implikationen für die Praxis werden herausgearbeitet, d.h. Aussichten und Chancen des Krafttrainings im Schulsport in Bezug auf die allgemeine Gesundheit und Fitness der Jugendlichen und auf verletzungsprophylaktische Effekte für aktive Fußballerinnen und Fußballer. Weiterhin werden Verbesserungsvorschläge für die eigene Untersuchungsmethode erläutert.
Die Ergebnisse werden in der Schlussbetrachtung hinterfragt und kritisch bewertet.
Knobloch und Martin-Schmitt schreiben, dass es Hinweise auf die häufigere Verletzung des Kniegelenks bei Fußballerinnen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen gibt. Die beiden Autoren berufen sich auf Bjordal et al., welche 1997 herausfanden, dass das Risiko für eine VKB bei Junioren für Mädchen 5,4-mal höher als für Jungen gleichen Alters liegt.[2] Als Ursachen nennen sie sind unter anderem Trainingsdefizite, Muskelschwäche, Dysbalance zwischen Kraft und Mobilität, Ermüdung der Muskulatur und aerobe Schwächen.
Im Folgenden werden drei aktuelle Studien und deren Ergebnisse kurz zusammengefasst und kritisch hinterfragt. Anschließend werden Gemeinsamkeiten und Widersprüche der Studien beleuchtet.
Knobloch und Martin-Schmitt erfassten ab der Saison 2003/2004 bei 24 Fußballspielerinnen der ersten Frauenmannschaft des FC Bayern München alle Verletzungen, die zu mindestens einer Spielpause führten. Ab der Winterpause 2003 absolvierten die Spielerinnen zusätzlich zu ihrem regulären Training koordinatives und propriozeptives Training. Über den Saisonbereich hinweg konnte eine deutliche Leistungssteigerung beobachtet werden. Weiterhin sank die Anzahl der leichteren Muskelverletzungen sowie schwereren Muskelverletzungen signifikant. Die Anzahl der VKB-Verletzungen konnten seit Beginn des propriozeptiven Trainings vollständig verhindert werden.
Kritik und Würdigung:
Propriozeptives Training ist gut dazu geeignet, die Rate von Muskel- und Bänderverletzungen, die zu einer Spielpause führen, zu reduzieren. Schwere Muskelverletzungen konnten in vorliegender Studie sogar vollständig verhindert werden. Allerdings sind weitere Studien vonnöten, welche die Übungen und deren Einfluss auf die Verletzungen standardisiert überprüfen.
In der Studie “Incidence of Anterior Cruciate Ligament Injuries among Elite Ballet and Modern Dancers“ untersuchten Liederbach et al. den Zusammenhang von VKB-Verletzungen und Ermüdung bei Balletttänzern. Von 298 Tänzern zogen sich zwölf innerhalb von fünf Jahren eine Ruptur des VKBs zu. Es zeigte sich, dass circa 67% der Verletzungen gegen Abend und 75% der Verletzungen gegen Ende der Saison auftragen.[3] Als Ursache für diese Verteilung wurde der Einfluss von Ermüdung und von Erschöpfung auf die neuromuskuläre Gelenkskontrolle gesehen.
Kritik und Würdigung:
Die Ergebnisse zeigen, dass Rupturen des VKBs ohne Fremdeinwirkung durch eine ermüdete Muskulatur begünstigt werden. Bis dato ist diese Studie allerdings die einzige, die auf einen Zusammenhang zwischen spezifischem Zeitpunkt und dem Auftreten von VKB-Verletzungen hinweist.[4] Da sich die Verletzungen in dem oben aufgeführten Zeitraum hauptsächlich abends bzw. gegen Saisonende ereigneten, sind Zusammenhänge zwischen Belastungsdauer und dem Auftreten von Verletzungen wahrscheinlich. Der Faktor Ermüdung ist demnach als möglicher Risikofaktor bei Verletzungen zu berücksichtigen.
In der Studie “The Relationship of Hamstrings and Quadriceps Strength to Anterior Cruciate Ligament Injury in Female Athletes“ wurde die Hypothese aufgestellt, dass bei weiblichen Athletinnen mit Verletzungen des vorderen Kreuzbandes (FACL[5] ) im Vergleich zur weiblichen Kontrollgruppe ohne Verletzungen (FC[6] ) und männlichen Kontrollgruppe ohne Verletzungen (MC[7] ) die Maximalkraft der Kniebeuger (ischiocrurale Muskulatur) verringert und die Maximalkraft der Kniestrecker (Quadricepsmuskulatur) vergrößert ist.
Es stellte sich heraus, dass bei Verletzungen des VKB ohne Fremdeinwirkung die ischiocrurale Muskulatur der 16 Fußball- und sechs Basketballspielerinnen (FACL) im Vergleich zur MC signifikant schwächer waren. Die FC unterschied sich nicht von der MC bezüglich der ischiocruralen Muskulatur. Umgekehrt unterschieden sich die FACL nicht im Vergleich zur MC in der Maximalkraft der Quadricepsmuskulatur und die FC zeigten eine verringerte Maximalkraft der Quadricepsmuskulatur relativ zur MC.
Kritik und Würdigung:
Die Ergebnisse dieser Studie belegten, dass weibliche Athletinnen mit VKB-Rupturen zum einen verringerte ischiocrurale Maximalkräfte im Vergleich zur männlichen Kontrollgruppe entwickeln konnten, zum anderen aber keine verringerte Maximalkräfte der Quadricepsmuskulatur vorlag. Im Gegensatz dazu zeigten weibliche Athletinnen ohne VKB-Verletzung reduzierte Quadriceps-Maximalkräfte und gleiche ischiocrurale Maximalkräfte im Vergleich zur männlichen Kontrollgruppe.
Gezielte Interventionen, welche die relative Maximalkraft der ischiocruralen Muskulatur vergrößern, könnten zu einem beachtlichen Rückgang des Verletzungsrisikos und zu einer Leistungssteigerung bei Sportlerinnen führen.
Zusammenfassung der Studien:
Betrachtet man die wissenschaftliche Forschung zur Ursachenentstehung von Kniegelenksverletzungen, so ist festzustellen, dass zum einen der Faktor Geschlecht, zum andern der Faktor Ermüdung bzw. Erschöpfung eine zentrale Rolle gespielt hat. Weiterhin können mangelndes propriozeptives und koordinatives Training, muskuläre Dysbalancen, sowie „Unterschiede in der Kniegelenksmechanik und der neuromuskulären Gelenkstabilisation“[8] eine Ruptur des VKBs ohne Fremdeinwirkung bei Frauen begünstigen. Die Studie von Myer et al. belegt, dass gezielte Interventionen der ischiocruralen Muskulatur das Verletzungsrisiko selbstverschuldeter Kreuzbandverletzungen minimiert.
In den letzten Jahren ist in den Industrienationen zum einen die Lebenserwartung gravierend gestiegen, zum anderen nimmt allerdings auch die Krankheitsanfälligkeit mit wachsendem Alter zu. Eine Progression chronisch und degenerativ verlaufende Krankheiten ist auch zunehmend bei jüngeren Altersgruppen festzustellen.[9] Die Folgen sind unter anderem Einbuße von Lebensqualität, Ausfall von Erwerbstätigkeit, und Kostenanstieg im Gesundheitswesen. Um die o.g. Krankheiten auf ein Minimum zu reduzieren, sollten – bevor es überhaupt zum Krankheitsausbruch kommt – präventive Maßnahmen ergriffen werden. Zimmermann schreibt:
„Ziel der Prävention […] ist es, Krankheiten zu verhindern oder, positiv formuliert, gesunde Lebensjahre zu gewinnen. Das Risiko, in künftigen Lebensjahren zu erkranken, sollte möglichst stark gesenkt werden. Nicht nur die Verlängerung des Lebens schlechthin, sondern vor allem das „gesunde Altern“ und damit die Steigerung der Lebensqualität ist das Anliegen der Prävention […].“[10]
Ein langes und gesundes Leben setzt voraus, dass die Grundsteine hierfür bereits im Jugendalter gelegt worden sind. Nur wer im jüngeren Alter Reserven und Fähigkeiten aufbaut, wird im Alter in der Lage sein, auf diese zurückzugreifen.
Der gesundheitliche Stellenwert eines Krafttrainings mit Erwachsenen ist unumstritten. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien haben einen großen Beitrag zur gesellschaftlichen Anerkennung geleistet. Krafttraining mit Heranwachsenden wird jedoch oftmals kritisch beäugt und stereotypische, sowie pauschalisierte Behauptungen reichen von einem geringen Nutzen „bis hin zur Beeinträchtigung des Wachstums und einer erhöhten Verletzungsanfälligkeit.“[11] Studien, welche Verletzungen der Epiphysen nach oder während eines kontrollierten sowie dosierten Krafttrainings mit Jugendlichen nachweisen, existieren nicht.[12]
Reuter weist auf mögliche Risiken des Krafttrainings bei Heranwachsenden hin, beispielsweise die reduzierte Belastbarkeit des passiven Bewegungsapparates und eine damit einhergehende Gefährdung der Epiphysenfugen.[13] Wenn einige Grundsätze jedoch beachtet werden, überwiegt die Vielzahl der Chancen bei Weitem. Im Folgenden wird kurz auf einige positive physiologische Effekte von Krafttraining bei Jugendlichen eingegangen.
Moderates Krafttraining führt gemäß Reuter zu einem Anstieg von HDL-Lipoproteinen.[14] Somit sind positive Wirkungen auf die Blutfettwerte gegeben. Auch fanden Faigenbaum et al. heraus, dass sich der Blutdruck Jugendlicher in Ruhe nach etwa dreimonatigem Krafttrainingsprogramm verminderte oder zumindest gleich blieb.[15] Ein weiterer positiver Effekt ist die Verbesserung der kardiorespiratorischen Fitness. Die Jugendlichen können außerdem von einer guten Körperhaltung mit muskulär stabilisierten Gelenken profitieren.
Nachgewiesen sind überdies positive Effekte auf das Knochenwachstum. Reuter führt an, „dass durch Krafttraining im Kindes- und Jugendalter die Entwicklung der Knochen positiv beeinflusst wird und so größere Belastungen des passiven Bewegungsapparates besser toleriert werden können.“[16] Regelmäßig durchgeführtes Krafttraining – sofern die Häufigkeit und Intensität moderat bleibt – kann über einen längeren Zeitraum das Knochenwachstum fördern.[17] Es kommt zu einer höheren Knochendichte, welche osteoporoseprophylaktische Auswirkungen mit sich bringen. Krafttraining kann zudem die sportmotorischen Fähigkeiten, sowie die allgemeine Leistungsfähigkeit verbessern.
Reuter verweist auf Henja et al., welche herausfanden, dass Sportler, die ein regelmäßiges Krafttraining durchführen, ein geringeres Verletzungsrisiko aufweisen als Sportler ohne ein begleitendes Krafttraining.[18] Reuter berichtet des Weiteren, dass ein signifikant niedrigeres Verletzungsrisiko im Kniegelenk bei Fußballspielern von High-School Mannschaften auftrat, die ein Krafttraining absolvierten.[19] American College of Sports and Medicine bestätigt diese Ergebnisse und argumentiert, dass ein Krafttrainingsprogramm geeignet ist, das Verletzungsrisiko bei Jugendlichen nachhaltig zu minimieren.[20]
Neben den bereits aufgeführten positiven gesundheitsbezogenen Adaptionen werden durch Krafttraining eine Verbesserung der Innervationsfähigkeit der Skelettmuskulatur und eine Erweiterung des Energiepotentials der Muskulatur – bedingt durch eine Vergrößerung des Muskelquerschnitts – erzielt.[21] Ferner hat Krafttraining eine rehabilitative und psychische Bedeutung für die Entwicklung von Jugendlichen. Neben der Wiederherstellung von muskulärer Leistungsfähigkeit nach Verletzungen kommt es gewöhnlich zu einer Verbesserung der Körperwahrnehmung und einer Steigerung des Selbstwertgefühls.
Schiffer et al. unterstreichen den Nutzen eines kontrollierten und adäquaten Krafttrainings bei Jugendlichen, eine gute Ausbildung der Trainer bzw. Sportlehrer vorausgesetzt.[22]
Wie bereits oben beschrieben, spricht nichts gegen ein moderat durchgeführtes Krafttraining mit Jugendlichen. In der Literatur finden sich einige Grundsätze für ein Krafttraining mit Heranwachsenden. Diese Gestaltungsempfehlungen sind allerdings oft nur sehr allgemein formuliert. Es wird darauf eingegangen, dass die Übungsausführung richtig demonstriert werden muss und ein zielgerichtetes Aufwärmen erfolgen soll. Auch sollen Fehlbelastungen des Bewegungsapparates, Ausgleichsbewegungen, ruckartige und schwungvolle Bewegungen, Pressatmung und eine abrupte Belastungssteigerung vermieden werden. Das Training soll ständig beaufsichtigt werden und die Bewegungsgeschwindigkeit, mit der die jeweiligen Übungen durchgeführt werden, soll möglichst gleichmäßig sein.[23]
Boeckh-Behrens und Buskies unterscheiden beim gesundheitsorientierten Fitness-Krafttraining zwei Varianten: die kraftausdauerorientierte und die muskelaufbauorientierte Variante[24]. Letztere ist stärker dazu geeignet, Muskelmasse aufzubauen. Allerdings fordert sie auch eine höhere Belastungsintensität und eine geringere Wiederholungszahl. Gerade im Anfängertraining scheint es aus Gründen der Überbeanspruchung sinnvoll, die erstgenannte Variante zu wählen. Hier wird mit einer größeren Wiederholungszahl und geringerer Intensität trainiert. Boeckh-Behrens und Buskies verweisen auf ein sogenanntes sanftes Krafttraining, welches „zu großen Verbesserungen in der Maximalkraft und Kraftausdauer [führt]. Die einzelne Trainingsserie wird hierbei nicht wie im herkömmlichen Training bis zur letztmöglichen Wiederholung […] durchgeführt, sondern deutlich vorher abgebrochen.“[25]
Da im Rahmen dieser Arbeit objektive Messungen der Maximalkraftwerte mithilfe isokinetischer Verfahren durchgeführt wurden, wird nun kurz auf isokinetische Mess- und Trainingssysteme eingegangen.
Der Begriff „Isokinetik“ stammt aus dem Griechischen und wird übersetzt mit iso = gleich und kinesis = Bewegung, womit eine gleichbleibende Bewegungsgeschwindigkeit während der Ausführung einer Bewegung gemeint ist.[26] Die ersten isokinetischen Test- und Trainingssysteme wurden von James Perrine in den siebziger Jahren entwickelt und spielen seitdem eine wichtige Rolle in Sport und Therapie.
Herkömmliches Gewichtstraining, z.B. mit Hanteln, ist dadurch gekennzeichnet, dass mit einer fixen Gewichtsbelastung eine Bewegung mit einer unbekannten Bewegungsgeschwindigkeit durchgeführt wird. Bei einer isokinetischen Trainingsform wird mit einer konstanten, vorher festgelegten Bewegungsgeschwindigkeit gearbeitet, bei der sich der Widerstand stets der momentan möglichen Kraftentwicklung des Muskels anpasst.[27] Der Widerstand, der durch den Isokinet aufgebaut wird, passt sich zu jedem Zeitpunkt der Bewegung der physiologischen Kraft des Muskels an. Hierdurch kann eine optimale muskuläre Auslastung erreicht werden.
Außerdem bieten isokinetische Messverfahren die Möglichkeit, standardisierte, objektive, reliable und valide Testergebnisse zu gewinnen. Aus diesem Grund findet die Isokinetik Anwendung in der „diagnostischen Objektivierung von Muskeldefiziten und Muskeldysbalancen.“[28] Der Haupteinsatzbereich besteht heutzutage neben medizinischer Kraftdiagnostik und der Unterstützung der Physiotherapie auf sportwissenschaftlichem und trainingsbegleitendem Gebiet. Die isokinetische Messmethodik bietet „eine gute Möglichkeit, bei isolierten Bewegungen einzelner Muskelgruppen Defizite der Maximalkraftentwicklung zu objektivieren, die anschließend therapiert werden können“.[29]
Die Möglichkeit der Erfassung von Muskeldefiziten und Muskeldysbalancen besteht in der Berechnung von Quotienten und der Darstellung von Relationen der reziproken, d.h. der wechselseitigen Muskulatur eines Gelenks. Eine Vielzahl der bekannten Studien beschäftigte sich mit dem Verhältnis zwischen Quadriceps- und Ischiocruralmuskulatur. „Als physiologisch wurde ein Verhältnis von Kniebeuger- zu Kniestreckmuskulatur zwischen 0.6 und 0.7 unter isometrischen […] Bedingungen angesehen. [Allerdings ist die Interpretierbarkeit dieses Verhältnisses] zurückhaltend zu beurteilen, da die Quotienten einer hohen interindividuellen Variabilität und der verwendeten Winkelgeschwindigkeit unterliegen.“[30]
Der isokinetische Test wird normalerweise mit einer Testgeschwindigkeit von 60°/sec durchgeführt. Hier soll eine Aussage über die Möglichkeit der Maximalkraftentwicklung getätigt werden. Die Qualität der Bewegungsausführung stellt sich in der Reproduzierbarkeit der Drehmomentkurven, auch physiologische Kraft-Verlaufs-Kurven genannt, dar. Das gemessene maximale Drehmoment stellt sich als höchste Amplitude der Drehmomentkurve dar, der der entsprechende Gelenkwinkel zugeordnet wird. Weiterhin gibt der Quotient Drehmoment durch Körpergewicht die Maximalkraft in Beziehung zum Körpergewicht an (Relativkraft) und erlaubt eine Beurteilung der erreichten Maximalkraft im Gegensatz zum Drehmomentmaximum.
Ein wichtiger Messwert ist das Kraftverhältnis des Agonisten zum Antagonisten. Das maximale Drehmoment der physiologisch kräftigeren Muskelgruppe gilt als 100%, die physiologisch schwächere Muskelgruppe wird als Prozentsatz davon ausgedrückt. Bei Winkelgeschwindigkeiten von 60°/sec gilt ein Quotient von ca. 65% als normal, d.h. die Kraft der Flexoren beträgt etwa zwei Drittel der Kraft der Extensoren.[31]
Außerdem lassen sich aus dem isokinetischen Test die verrichtete Arbeit, die Leistung, die Beschleunigungsenergie und die Ausdauerkapazität ermitteln. Diesen wird allerdings bei der Interpretation der Messergebnisse keine Beachtung geschenkt. Alle aufgeführten Parameter werden im Rechts-Links-Vergleich dargestellt, so dass die Defizite im Seitenvergleich numerisch wie grafisch abgelesen und interpretiert werden können.
An der Max-Weber-Schule in Freiburg wird das Fach Sport je nach Klassengröße und deren Zusammensetzung von Jungen und Mädchen entweder koedukativ oder nach Geschlechtern getrennt unterrichtet. Da für die Studiendurchführung und vor allem für die Analyse der Messergebnisse eine gleichgeschlechtliche Gruppe von Vorteil ist, wurde zu Beginn des Schuljahres die Sportgruppe in eine 16-köpfige Mädchengruppe aufgeteilt. Die Lerngruppe reduzierte sich bereits nach der ersten Schulwoche auf 15 Schülerinnen, da eine Schülerin die Schule nach dem Erhalt eines Ausbildungsplatzes verließ.
Entwicklungsstand und Leistungsvermögen der Schülerinnen sind relativ homogen, ihr Sportinteresse als auch ihr Engagement sind durchweg als positiv zu bewerten. Alle Schülerinnen zeigen am gesundheitsorientierten Krafttraining großes Interesse und Leistungsbereitschaft. Eventuell auftretende Probleme mit einer übergewichtigen Schülerin konnten bereits zu Beginn des Schuljahres ausgeräumt werden: sie hat als Einzige beim Ausfüllen eines Fragebogens („Erwartungen an den Sportunterricht“) Krafttraining als ihre Wunschdisziplin angegeben. Die Schülerinnen sind äußerst diszipliniert, aufmerksam und motiviert. Auch ihre sozialen Kompetenzen sind als sehr ausgereift zu beurteilen: die Schülerinnen gehen tolerant und respektvoll miteinander um. Nach einer kurzen Kennenlernphase haben sich die Mädchen schnell aneinander gewöhnt. Eine Schülerin der WGE3 mit Migrationshintergrund wurde sofort und problemlos in die Gruppe integriert. Eine Grüppchenbildung war bisher nicht zu beobachten.
In der zweiten Woche nach Schuljahresbeginn wurden isokinetische Eingangsmessungen an der Mooswaldklinik durchgeführt: am 21.09.2010 für die Experimentalgruppe (EG) und am 24.09.2010 für die Kontrollgruppe (KG). Hierzu musste von der Direktion eine Genehmigung[32] eingeholt werden, damit die Messungen als schulische Veranstaltung gelten und die Schülerinnen und Schüler, sowie die Lehrkraft versichert sind. Außerdem wurde die Einverständniserklärung der Eltern[33] über die Teilnahme deren Kinder an der Studie eingefordert.
Die folgenden Sportstunden fanden in den angrenzenden Sporthallen der MWS statt. Die Sportanlage der MWS besteht aus einer größeren und einer kleineren Halle. Da die WGE3 zum Schuljahresbeginn in zwei Gruppen aufgeteilt wurde und der Sportunterricht beider Gruppen zeitgleich stattfand, war eine Absprache mit dem anderen Fachlehrer notwendig. Die beschränkten Räumlichkeiten verursachten jedoch keinerlei Probleme, abgesehen von einem organisatorischen Mehraufwand, da Krafttraining selbst auf engem Raum durchgeführt werden kann.
Da die MWS nur bedingt mit Lang- und Kurzhanteln, Pezzibällen, Thera-Bändern, etc. ausgestattet ist, mussten einige Utensilien ausgeliehen oder selbst von der Lehrkraft mitgebracht werden. Außerdem bedurfte es einer zeitlichen Umstellung der eigentlichen Planung, da zwei der 15 Schülerinnen in Elzach wohnen. Sie haben wegen dem langen Anfahrtsweg von der Direktion eine Sondergenehmigung erhalten und durften zehn Minuten nach Stundenbeginn erscheinen. Da alle Schülerinnen an dem oberschenkelspezifischen Krafttraining teilnehmen sollten, wurde das Krafttraining immer erst zehn Minuten nach Unterrichtsbeginn gestartet. Die Ausgangsmessungen der Maximalkraftwerte des Oberschenkels wurden wieder in der Mooswaldklinik Freiburg durchgeführt. Sie fanden für die KG am 16.12.2010 und für die EG am 21.12.2010 statt. Da die Messung den ganzen Tag dauerte, konnten einige Schülerinnen und Schüler an Teilen des regulären Unterrichts nicht teilnehmen. Die betroffenen Lehrer wurden hierüber in Kenntnis gesetzt.[34]
In den Vorbemerkungen des Lehrplans Sport für das berufliche Gymnasium der sechs- und dreijährigen Aufbauform wird dem Sportunterricht einen „unersetzlichen Beitrag zur Gesundheitserziehung und zum individuellen Wohlbefinden“[35] beigemessen. Außerdem leistet er einen unverzichtbaren Beitrag zur ganzheitlichen Bildung, Erziehung und Persönlichkeitsentfaltung. Weiterhin werden soziale Verantwortung und Verständnis übergeordneter Zusammenhänge durch die Vermittlung von Fachkenntnissen im Sportunterricht geschult. Durch den Schulsport werden Schülerinnen und Schüler ermutigt, sich „Ziele zu setzen und diese […] auch zu erreichen“[36]. Dem Lehrplan sind drei primäre fachspezifische Ziele zu entnehmen: Das Erreichen eines verantwortungsvollen Umgangs mit der eigenen Körperlichkeit, die Stärkung des Gesundheitsbewusstseins und der Leistungsbereitschaft, sowie die Unterstützung „bei der Suche nach einem Weg zu lebensbegleitendem Sporttreiben“[37]. Die Schülerinnen und Schüler sollen also zum Sport und durch den Sport erzogen werden.
Das durchgeführte Krafttraining der Oberschenkel zur Verletzungsprophylaxe ist für die Schülerinnen absolutes Neuland. Gerade dies bietet eine einzigartige Chance, die Schülerinnen zu einem lebenslangen Sporttreiben zu bewegen, indem ihnen die Notwendigkeit dessen bewusst gemacht wird. Sportunterricht soll die körperliche, emotionale und geistige Entwicklung fördern. Die dabei zu berücksichtigenden übergeordneten Lernziele sind in sechs pädagogische Perspektiven zusammengefasst worden. Die vorliegende Arbeit zielt insbesondere auf Punkt 4 des Curriculums ab: Gesundheitsbewusstsein entwickeln, Fitness verbessern. Lernziele dieser Unterrichtseinheit sind die Erhaltung und Verbesserung der allgemeinen Fitness der Schülerinnen und Schüler. Ihnen wird der Begriff Gesundheit verdeutlicht und Kenntnisse einer gesundheitlichen Lebensführung vermittelt. Überdies erkennen sie gesundheitliche Risiken, lernen Bewegungen funktionsgerecht auszuführen und lernen sich auf intensive Belastungen vorzubereiten.
Die Zielsetzungen des Lehrplans „Berufliches Gymnasium der sechs- und dreijährigen Aufbauform von 2003 Baden-Württemberg“ werden in der vorliegenden Unterrichtseinheit somit erfüllt.
[...]
[1] Nitsch (2010), o. S.
[2] Vgl. Knobloch (2006), S. 26.
[3] Vgl. Liederbach et al. (2008), S. 1779.
[4] Gehring (2009), S. 108.
[5] FACL = female anterior cruciate ligament
[6] FC = female control group
[7] MC = male control group
[8] Gehring (2009), S. 100.
[9] Vgl. Zimmermann (2000), S. 9.
[10] Zimmermann (2000), S. 9.
[11] Schiffer et al. (2010), S. 31.
[12] Vgl. Schiffer et al. (2010), S. 31.
[13] Vgl. Reuter (2003), S. 61.
[14] Vgl. Reuter (2003), S. 57.
[15] Vgl. Faigenbaum et al. (1993), S. 345.
[16] Reuter (2003), S. 58.
[17] Vgl. Reuter (2003), S. 60.
[18] Vgl. Henja et al. (1982), S. 28.
[19] Vgl. Reuter (2003), S. 60.
[20] Vgl. American College of Sports and Medicine (1993), S. 1.
[21] Vgl. Zimmermann (2000), S. 26.
[22] Vgl. Schiffer et al. (2010), S. 33.
[23] Vgl. Weineck (2010), S. 378.
[24] Vgl. Boeckh-Behrens et al. (2005), S. 47.
[25] Boeckh-Behrens et al. (2005), S. 48-49.
[26] Vgl. Froböse (2003), S. 81.
[27] Vgl. Hünig (2007), S. 3.
[28] Felder (1999), S. 50.
[29] Vgl. Felder (1999), S. 51.
[30] Vgl. Felder (1999), S. 52.
[31] Vgl. Hünig (2007), S. 9.
[32] Vgl. Anlage 4.
[33] Vgl. Anlage 1.
[34] Vgl. Anlage 3.
[35] Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2008), S. 2.
[36] Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2008), S. 2.
[37] Vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2008), S. 3.
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